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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Braunschweig

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Braunschweig (Geschichte).

durch das alte Grundsteuersystem aufgehoben, welchem im September die Publikation der neuen Gerichtsverfassung und einer neuen Strafprozeßordnung nach den Grundsätzen der Öffentlichkeit und Mündlichkeit folgte. Am 22. Dez. wurden die Stände vertagt, nachdem schon 1. Dez. die seit längerer Zeit gepflogenen Verhandlungen wegen einer Militärkonvention mit Preußen zum Abschluß gebracht worden waren. Bezüglich der Beschlüsse über die Neugestaltung der Union erklärte B. im Oktober 1850 nur unter der Bedingung seine Zustimmung, daß die künftige Ausführung der Unionsverfassung der jetzigen Gestalt derselben entspreche. Im November wurde das ganze braunschweigische Truppenkorps infolge eines Beschlusses des preußischen Ministeriums mobil gemacht. Dem Durchzug österreichischer Exekutionstruppen beschlossen Regierung und Land sich zu widersetzen. Als aber auf Grund der Unionsverheißungen Preußen um Hilfe angerufen wurde, vermied letzteres, B. eine bestimmte Erklärung über seine Absichten zugehen zu lassen.

Im Spätherbst 1850 schlug die Regierung eine Abänderung des provisorischen Wahlgesetzes dem Landtag vor, konnte aber dessen Zustimmung erst erlangen, als sie mehrfache Abänderungen der Vorlage angenommen hatte. Dagegen wurde die Aufhebung der deutschen Grundrechte durchgesetzt, mit Ausnahme der Abschaffung aller Standesvorrechte und der Gewährleistung der Preßfreiheit. Die zu Anfang 1852 von Österreich in Wien eröffneten Zollkonferenzen beschickte B. zwar auch, gab aber keine bindenden Erklärungen ab und blieb in der Folge, als Bayern mit seiner Koalition den Zollverein zu sprengen gedachte, letzterm treu, erneuerte nach Abbruch der Verhandlungen Preußens mit der Koalition die Zollvereinsverträge mit Preußen und gab auch dem am 17. Febr. 1853 zu stande gekommenen Handelsvertrag zwischen Österreich und Preußen seine Zustimmung. Der Beitritt Braunschweigs zu dem Deutsch-Österreichischen Postverein erhielt mit Anfang 1852 Geltung. Infolge der Bundesbeschlüsse über das Vereinswesen und die Presse hob ein Gesetz vom 16. Nov. 1854 alle Vereine und Verbrüderungen von Arbeitern mit politischen, sozialistischen und kommunistischen Zwecken auf. In der Landtagssession von 1863 bis 1864 kamen wichtige Gesetzesentwürfe zur Beratung und zum Abschluß: eine weitere Reform der Gewerbegesetzgebung auf dem Boden voller Gewerbefreiheit, jedoch unter Beibehaltung freier Genossenschaften, eine Umgestaltung der Gewerbesteuer, eine neue Medizinalordnung, eine Reform der Strafanstalten, namentlich Einführung der Einzelhaft.

Beim Ausbruch der Krisis des Jahrs 1866 suchte B. anfangs eine neutrale Haltung einzunehmen. Als aber seitens der preußischen Regierung wiederholte Aufforderungen wegen eines Bündnisses an den Herzog ergingen, gab er denselben 6. Juli nach. Die Truppen Braunschweigs wurden infolge davon sofort in Marschbereitschaft gesetzt, nahmen aber, da sich die Aktion bereits ihrem Ende nahte, keinen Anteil an derselben. Am 16. Juli trat sodann der Landtag des Herzogtums zusammen, welcher nach wenigen Tagen die Vorlagen der Regierung bezüglich des Bündnisses mit Preußen genehmigte. Im Krieg 1870 und 1871 gegen Frankreich nahmen die braunschweigischen Truppen lebhaften Anteil an den Kämpfen um Metz, bei Orléans, Le Mans und vor Paris, obwohl der Herzog sich hartnäckig weigerte, eine Militärkonvention mit Preußen abzuschließen und die braunschweigischen Truppen in die preußische Armee einzureihen. Daher wurde das braunschweigische Infanterieregiment (Nr. 92) nach Metz verlegt.

Vornehmlich beschäftigte seit 1866 die Frage der Erbfolge die Bevölkerung Braunschweigs. Unter den alten Verhältnissen wäre es nicht beanstandet worden, daß nach dem Absterben des unvermählten Herzogs Wilhelm B. an die in Hannover residierende welfische Linie falle, also mit Hannover vereinigt werde. Die Ereignisse von 1866 aber und die Stellung, welche seitdem die hannöversche Linie zu Preußen und dem Deutschen Reich einnahm, machten diese Eventualität zu einer Unmöglichkeit. Eine Kommission der Landesversammlung von 1871 verhandelte über die Erbfolgefrage mit der Regierung und schlug derselben vor, den deutschen Kaiser zu bitten, "im Fall der Thronerledigung des Herzogtums die einstweilige Regierung desselben mit allen durch die Verfassung mit der Regierungsvormundschaft verbundenen Rechten und Pflichten bis dahin zu übernehmen, daß ein anerkannter Thronfolger die Regierung definitiv anzutreten unbehindert sei". Die Regierung erklärte sich 1872 mit Entschiedenheit dagegen, einigte sich jedoch 28. März 1873 mit dem Landtag dahin, daß nach dem Tode des Herzogs, falls der berechtigte Thronerbe an der Übernahme der Regierung behindert wäre, ein Regent eingesetzt werden sollte, der von dem Herzog und dem Landtag zu bestimmen sei. Als Regent ward der Großherzog von Oldenburg ausersehen, der auch annahm. Doch scheiterte die Ausführung des Regentschaftsgesetzes an der Weigerung des deutschen Kaisers, die von ihm erbetene Garantie darüber zu übernehmen, da derselbe der Entscheidung des Reichs, dem die Prüfung der Erbfolge in einem deutschen Bundesstaat zustehe, nicht vorgreifen wollte. In anbetracht der möglichen Vereinigung mit Preußen wurden schon 1873 die Staatseisenbahnen an die Berlin-Potsdamer Bahn für 30 Mill. Mk. verkauft und teils die Staatsschulden damit bezahlt, teils die Gemeinden und Kreise dotiert. Nach dem Tode des Königs Georg V. ward die Regentschaftsfrage im Landtag im Dezember 1878 von neuem angeregt und 16. Febr. 1879 das von der Regierung vorgelegte Regentschaftsgesetz angenommen, welches die Bildung eines Regentschaftsrats aus den drei stimmführenden Mitgliedern des Staatsministeriums und den Präsidenten des Landtags und des Oberlandesgerichts in Aussicht nahm. Dagegen fand die Frage der Militärkonvention keine Erledigung. Als 18. Okt. 1884 Herzog Wilhelm in Sibyllenort starb, trat der Regentschaftsrat unter dem Vorsitz des Staatsministers Grafen Görtz-Wrisberg zusammen und übernahm im Einverständnis mit der Reichsregierung die Verwaltung des Landes. Der Herzog von Cumberland (s. d.) hatte zwar durch Patent vom 18. Okt. von dem Herzogtum Besitz ergriffen und dies den deutschen Fürsten mit dem Bemerken angezeigt, daß er die deutsche Reichsverfassung anerkennen wolle. Das Ministerium hatte aber das Patent sowie den Befehl des Herzogs, sich mit ihm in Beziehung zu setzen, unbeachtet gelassen. Nur das Privatvermögen des verstorbenen Herzogs fiel jenem zu, während das Fürstentum Öls aus die Krone Preußen, Sibyllenort nebst den Allodialgütern auf den König von Sachsen übergingen. Da nun trotzdem weniger in B. als in Hannover die Welfen eine Agitation für die welfische Thronfolge in B. begannen in der Hoffnung, von B. aus die Wiederherstellung des hannöverschen Throns mit größerm Erfolg betreiben zu können, beantragte Preußen, das übrigens das Erbrecht des Herzogs von