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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bukarest

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Bukarest.

Gebäude erfahren haben. Noch vor wenigen Jahrzehnten bot B. einen ganz orientalischen Anblick dar; heute hat es ein wesentlich andres Aussehen. Die Straßen sind gepflastert oder chaussiert und haben zum größten Teil Gasbeleuchtung. Nur der Schmutz im Winter, der Staub im Sommer sowie die Unreinlichkeit der Straßen u. Plätze überhaupt und der Mangel an Trinkwasser fallen noch unangenehm auf. Erst die gegenwärtig im Bau begriffene Wasserleitung dürfte diesem Übelstand bald abhelfen. Über die Dimbowitza, ein schlammiges Flüßchen, das früher durch seine Überschwemmungen gefährlich war, jetzt aber um 10 m tiefer gelegt ist, führen 15 Brücken, darunter eine von Stein, vier von Eisen, die übrigen von Holz. Im Zentrum der Stadt, wo der Handel seinen Sitz hat, sind die Straße Lipzcani (so genannt, weil früher die hiesigen Magazine ausschließlich mit Waren von der Leipziger Messe versehen waren) und die nach N. ziehende Hauptstraße Calea Victoriei bemerkenswert und als diejenigen Stadtteile zu nennen, deren Aussehen sich täglich mehr dem der europäischen Hauptstädte nähert. Hier finden sich die meisten großen öffentlichen Gebäude, und solide, schöne Wohnhäuser mit zwei, ja drei Stockwerken und eleganten Magazinen zur ebenen Erde haben die alten weitläufigen Wohnungen und die orientalischen Karawanseraien mit ihren niedrigen Gewölben verdrängt. In den Nebenstraßen und Vorstädten sind die Häuser meist einstöckig und stehen weniger regelmäßig. Sämtliche Bauwerke sind von Ziegelsteinen, außen bemalt und mit metallenen Dächern bedeckt. Die zahlreichen Kirchen haben meist die gewöhnliche Kreuzform; nur sehr wenige zeichnen sich durch Größe oder künstlerischen Charakter aus. Wie die Häuser, sind auch sie niedrig, eine Folge der Erdstöße, welche wiederholt (besonders 1793 und 1802) die Gegend heimsuchten. Als die vornehmsten Kirchen Bukarests sind zu nennen: die Metropolitankirche (1656 erbaut), auf einem Hügel, umgeben von der Wohnung des Erzbischofs von Rumänien und dem Sitzungsgebäude der Nationalversammlung; die Kirche Radu-Voda (1570 erbaut), in der Nähe die Kapelle Bucur, welch letztere man für das älteste Gebäude der Stadt hält; die Kirche Mihail-Voda (von 1592), deren Kloster jetzt als Staatsarchiv dient; die Kirche Curte-Veche (1387 gegründet, nach dem Brand von 1847, welcher fast den vierten Teil der Stadt in Asche legte, neuerbaut). Mehrere andre Kirchen wurden neuerdings restauriert, so St. Georg im Handelsquartier, St. Spiridion mit originellen Glockentürmen, Sarindar (Basilika von 1592) in der Hauptstraße. Auch die Kirche Antim, eine der schönsten der Stadt, und die durch harmonische Verhältnisse und Skulpturenschmuck ausgezeichnete Kapelle Stavropoleos (von 1724) verdienen Erwähnung. Eine Hauptzierde der Stadt bildet die katholische Kathedrale, deren Bau 1875 vom Erzbischof Paoli begonnen und 1884 beendet wurde. Die ältere Hauptkirche, Baratzie genannt, liegt im Handelsviertel; auch zwei protestantische Kirchen sind vorhanden. Unter den Synagogen ist nur eine einzige (ein schöner Backsteinbau) bemerkenswert. Sonstige öffentliche Gebäude sind: das gegenwärtig im Umbau befindliche königliche Palais an der Hauptstraße; die Akademie, ein Neubau auf der Stelle des alten Klosters St. Sava, mit einem Boulevard und einem Garten, in dessen Mitte sich die Bronzestatue des walachischen Fürsten Michael (gest. 1601) von C. Beleuze und die Marmorstatue des Gelehrten I. Heliade erheben; das alte Hospital Coltza mit einem viereckigen Turm, der im 18. Jahrh. von den Soldaten Karls XII. von Schweden erbaut ward, aber beim Erdbeben von 1802 teilweise einstürzte und gegenwärtig als Feuerturm benutzt wird; das Hospital Brankovano mit einer 1885 vollendeten, im byzantinischen Stil erbauten Kirche inmitten eines schönen öffentlichen Gartens; das Nationaltheater mit 1000 Plätzen, worin das Lustspiel in rumänischer Sprache und die italienische Oper kultiviert werden; das Gebäude der Nationalbank; das Dampfbad auf dem Boulevard Elisabeth; die Zentralhalle; die 1884 vollendete Militärschule; das Militärhospital; der Justizpalast und mehrere Kasernen im westlichen Teil der Stadt. Hier befinden sich auch das Asyl Helena, eine 1860 von der Fürstin Helene Cusa gegründete Waisenanstalt, und das Kloster Kotrotscheni, die königliche Sommerresidenz; auf der entgegengesetzten Seite das Kloster Vakareschti, jetzt Gefängnis. Unter den Privatgebäuden endlich sind hervorzuheben: die beiden Paläste Brankovano, die Paläste Soutzo, Ghika (gegenwärtig Beamtenlokale) und die großen Hôtels du Boulevard, Brofft und Impérial. Seit einigen Jahren hat man auf mehreren der großen öffentlichen Plätze der Stadt Gärten oder Squares angelegt. Außerdem befindet sich in der Mitte derselben ein großer und schöner öffentlicher Garten, Tschismedji genannt, dessen von Fischen und Schwänen belebter Teich gegenwärtig tiefer gelegt und mit fließendem Wasser versehen wird; der Korso von B., die nach dem Erbauer benannte Chaussee Kisselef, liegt im N. der Stadt, am Ende der Hauptstraße Calea Victoriei. Endlich besitzt B. auch eine eisenhaltige Mineralquelle mit provisorischer Badeeinrichtung, die während des Sommers stark besucht ist. Die Zahl der Einwohner belief sich 1879 auf 221,805 (eine Volkszählung im April 1885 ergab nur 155,000 Seelen); im J. 1878 bekannten sich unter den 177,646 Einw. der eigentlichen Stadt 132,987 zur griechisch-katholischen Religion, 16,991 zum römischen Katholizismus, 5854 zum Protestantismus; ferner waren 796 armenische Christen und 206 Lipowaner; Juden zählte man 20,749 (mit 10 Synagogen und 20 Kapellen). Die Römisch-Katholischen, welche zwei Kirchen und ein Kloster mit Mädchenschule besitzen, sind wie die Protestanten zum größern Teil Deutsche. Auch findet sich eine kleine Anzahl Türken, welche jedoch keine Moschee in B. besitzen. - Die Industrie ist noch wenig entwickelt und beschränkt sich auf die Etablissements zur Herstellung der gewöhnlichen Verbrauchsgegenstände: Mühlen, Bäckereien, Brauereien, Gasfabriken, Ziegeleien, Seife- und Lichtefabriken, Gießereien, Seilereien, Druckereien etc. Ein großer Teil der Handwerker sind Deutsche und Ungarn. Der Handel ist im Niedergang begriffen, doch immerhin noch recht lebhaft. B. bildet das Zentrum sehr ausgedehnter Handelsverbindungen, sowohl im Königreich selbst als nach dem Ausland, und die Einfuhr fremder Waren, namentlich der verschiedensten Luxusgegenstände, ist sehr bedeutend. Es bestehen 5 größere Bankinstitute, darunter die Nationalbank mit

^[Abb.: Wappen von Bukarest.]