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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Camoens

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Camoens.

Schuldhaft. In C. regte dieses neue Mißgeschick eine heitere Saite seines Innern an; er schrieb an den Vizekönig ein scherzhaftes Gedicht, das ihm denn auch sofort die Freiheit verschaffte. Auf die Wirkung seines Gedichts im Vaterland baute C. neue Pläne der Zukunft, und es entstand in ihm der Wunsch, nach Portugal heimzukehren, um sein Buch selbst dem König zu überreichen. Während er mit diesem Entschluß umging, erhielt er von dem frühern Vizekönig, Francisco Barreto, der eben Gouverneur des Forts Sofala geworden war, die Einladung, ihn dahin zu begleiten. C. willigte ein in der Hoffnung, dort früher ein Schiff zu finden, das ihn nach Europa mitnehmen könnte, und Barreto, der den Dichter um seiner Unterhaltung willen an sich fesseln wollte, streckte ihm die Reisekosten bis Sofala vor, wo er nach kurzer Zeit ein daselbst anlegendes, auf der Rückreise nach Portugal begriffenes Schiff zur Weiterreise benutzte. Der unedle Plan des Gouverneurs, C. durch die Rückforderung der ihm geliehenen Geldsumme zum Bleiben zu zwingen, ward durch die Freigebigkeit einiger Passagiere vereitelt, welche die nötige Summe sogleich zusammenschossen. Auf dem Schiff traf C. auch den berühmten Geschichtschreiber Indiens, Dom Diego do Couto, mit dem er ein inniges Freundschaftsbündnis schloß, und von welchem noch die Handschrift eines vortrefflichen Kommentars zu den "Lusiaden" existiert. Mit diesem einzigen Schatz stieg C. nach 16jähriger Abwesenheit 1569 zu Lissabon ans Land, begleitet von den einzigen, die ihm stets treu blieben: seinem Sklaven und seinem Unglück. Jetzt, wo er seinem Elend durch die Veröffentlichung eines Werkes, das 30 Jahre lang seinen Geist beschäftigt hatte, ein Ende zu machen hoffte, begrüßte ihn auch in Lissabon der Schrei allgemeiner Angst und Not. Die Pest wütete unter der Bevölkerung, und dieser Umstand trat dem Druck des Gedichts noch drei Jahre hindernd entgegen. Erst 1572 erschien die erste Ausgabe in geschmackvoller Ausstattung und mit der Dedikation an den jungen König Dom Sebastian. Dieser soll dem Dichter zur Belohnung eine Jahrespension von 10,000 Reis, d. h. 25 Thlr., ausgesetzt haben, wozu ihm noch die Erlaubnis zuteil wurde, überall in Begleitung des Hofs erscheinen zu dürfen. Die Wahrheit dieser Angabe ist bestritten worden, doch ist so viel gewiß, daß C. die letzten Jahre seines Lebens langsam dahinsiechte; aber erst als auch sein Geist durch das nach der Schlacht von Alkazar (1578) plötzlich über Portugal hereinbrechende Unglück die tiefste Wunde erhalten hatte, die dem Sänger der "Lusiaden" geschlagen werden konnte, eilte er rasch seiner Auflösung entgegen. C. starb 10. Juni 1580 im Hospital. Man begrub den Dichter in der Kirche des St. Annen-klosters, wie man ihn hatte leben lassen, ohne alle Auszeichnung, und so kam es, daß, als 15 Jahre nach seinem Tode Dom Gonzalo Coutinho dem großen Mann "eine würdigere Ruhestätte" errichten wollte, sein Grab nur mit Mühe (wenn überhaupt) aufgefunden wurde. Es ward ihm ein prächtiges Grabmal errichtet. Bald erkannte man denn auch den Wert seines Gedichts, und hatte man den Dichter im Leben verkannt und verfolgt, so wurde er nun tm Tod fast vergöttert. Seine Landsleute gaben ihm den Beinamen des Großen; sein Heldengedicht fand Eingang bei hoch und niedrig; eine Ausgabe folgte der andern, und ein Jahrhundert hindurch ertönten Gesänge daraus im Munde des Volkes.

C. bildet den großen Schlußstein der Blütezeit der portugiesischen Poesie. Was nach ihm in dichterischen Versuchen geleistet wurde, ist im glücklichern Fall Nachklang der glänzenden Vergangenheit. Entdeckt auch der strenge Kunstrichter in C.' Epos manches Fehlerhafte, z. B. die durch gängige Verquickung der griechischen Mythologie mit der christlichen, so belebt doch ein echt dichterischer und wahrhaft epischer Geist die ganze Ausführung, und die darin sich aussprechende Vaterlandsliebe, Empfänglichkeit für kühne nationale Bestrebungen sowie die vollendete Sprache und der bezaubernde Wohlklang der schön gebauten Ottaven geben dem Werk im Original einen unwiderstehlichen Reiz. C. nannte sein Gedicht "Os Lusiadas" (d. h. die Nachkommen des Lusus, des fabelhaften Ahnherrn der Portugiesen), weil es die poetische Verherrlichung nicht eines einzelnen Helden, sondern der Portugiesen überhaupt ist. Es besingt die Umschiffung Afrikas durch Vasco de Gama und die erste Begründung portugiesischen Verkehrs mit Malabar, verherrlicht aber in episodischen Erzählungen die ganze ältere Geschichte Portugals und in Form begeisterter Prophezeiungen auch die spätern Entdeckungen und Großthaten der Portugiesen in Indien. Unter den Episoden, welche das Ganze beleben, ist die Erzählung von dem Tode der Ines de Castro (dritter Gesang) die berühmteste. Daneben bricht auch das persönliche Gefühl des Dichters an zahlreichen Stellen mit Macht hervor, und diese männlich-kräftigen lyrischen Ergüsse, meist in schwermütigem Ton gehalten, erhöhen den Reiz des Gedichts. Wodurch sich aber dasselbe am wesentlichsten von jedem andern Epos unterscheidet, das ist die Kraft und Wahrheit seiner Naturschilderungen, vor allen die Schilderung des Weltmeers. Die "Lusiaden" sind nach Humboldts Ausspruch ("Kosmos", Teil 2) das "maritime Epos", welches die ganze majestätische Größe des ozeanischen Meers spiegelt. Die eigentliche Handlung desselben ist nicht in einen Kampf zwischen Portugiesen und Indern zu setzen, sondern in den Kampf mit dem Weltmeer und in den Sieg über dessen furchtbare Gewalt. Das Gedicht besteht aus zehn Gesängen, die zusammen 1102 achtzeilige Stanzen enthalten. Die erste Ausgabe erschien zu Lissabon 1572; spätere Ausgaben: 1597, 1607, 1609, 1633, 1651; mit Interpretationen von Montenegro, 1613; mit den Argumenten jedes Gesanges von Barreto, 1669. Einen Kommentar in spanischer Sprache, jedoch mit willkürlichen Textabänderungen, lieferte der Geschichtschreiber und Dichter Manoel de Faria y Souza (Madr. 1639, 2 Bde.); eine Ausgabe mit Anmerkungen Fereira (Neap. 1731, 2 Tle.; Rom 1732). Neuere Ausgaben erschienen zu Coimbra 1800, 2 Bde., von J. M. ^[Joze Maria] de Souza Botelho (Par. 1817 u. 1819, sehr korrekt, aber selten); mit Noten von Fonseca (das. 1846) und von Coelho (Lissab. 1880). Ju Deutschland erschienen Ausgaben von Winterfeld (Berl. 1810), eine nach der Juromenhaschen Textrevision besorgte Ausgabe (Leipz. 1874); eine kritische Textausgabe (mit Varianten) von Reinhardstöttner (Straßb. 1874) sowie einige zur Feier des 300jährigen Todestags (1880). Im ganzen zählt man gegen 100 Ausgaben und ca. 45 Übersetzungen des Gedichts in fremde Sprachen, darunter eine ins Lateinische von Thomé de Faria (Wien 1622). Ins Spanische wurde dasselbe übersetzt von Tapia (Salamanca 1580), Caldera (Alcala de Henares 1588), Gargez (Madr. 1591) u. a.; ins Italienische von Paggi (Lissab. 1659, Turin 1772); ins Französische von Fournier und Desaules (in Prosa, 1825; neue Ausg. 1847), Millié (1811), Ragon (1842), Albert (1858), Azevedo (1869) etc.; ins Englische von Fanshaw (1655), Mickle

^[Artikel, die unter C vermißt werden, sind unter K oder Z nachzuschlagen.]