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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: China

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China (geistige Eigenschaften der Chinesen, Tracht, Wohnung).

kern, eine Reihe überraschender Erfindungen gemacht, eine umfassende, besonders encyklopädische, Litteratur hervorgerufen sowie in staatlichen Einrichtungen Größeres geschaffen als alle andern asiatischen Nationen. Diese Kultur darf uns aber doch keine besonders hohe Meinung von ihren Anlagen geben. Sie sind nicht umsichtig, orientieren sich schwer und erhalten ihre Ideen immer ausschließlich auf bestimmte Zwecke konzentriert; sie vergessen bei Verfolgung einer Aufgabe, deren Lösung im allgemeinen oder in einem gewissen Sinn sie sich vorgenommen haben, alles andre, führen dafür aber das Begonnene oft bis in die kleinsten Details mit staunenswerter Genauigkeit und unermüdlicher Geduld aus. Alles in C. bewegt sich in bestimmten Geleisen. Den Charakter der Chinesen kennzeichnet Gleichgültigkeit. Fleißig, nüchtern und mäßig in Speise wie Trank, im Sinn auf das Praktische gerichtet, machen sie als Kaufleute den Europäern auch aus Nationalgefühl erfolgreiche Konkurrenz. Feine und gefällige Umgangsformen findet man durchgehends in den östlichen Provinzen und im mittlern C.; Zudringlichkeit und Unfreundlichkeit treten bei den Bewohnern des Südens hervor; geistig tief stehen und roh in Manieren sind die Bewohner des Westens. Diese Verschiedenheit spricht sich auch im Benehmen gegen die Europäer aus, die bald artiger, bald grober Behandlung ausgesetzt sind. Die Gebildeten sind den Europäern oft übelwollend. Treubruch und Verschmitztheit sind im Verkehr mit Europäern Grundzüge aller Chinesen.

Die Kleidung ist nach den Provinzen verschieden, doch hat sie einen durchaus ständigen Zuschnitt und ständige Bestandteile. Der gemeine Mann trägt Jacke und Beinkleid, der Reichere während des Sommers Beinkleid und ein langes, weites Obergewand von Seide oder Leinwand ohne Kragen, mit weiten Ärmeln, das für gewöhnlich frei herunterhängt, aber auch durch einen seidenen Gürtel zusammengehalten wird. An letzterm werden der Fächer in seidener Scheide, ein gestickter Tabaksbeutel, eine Taschenuhr in einem gestickten Beutel, eine Dose mit Feuerstein und Stahl getragen, zuweilen auch ein Messer in einer Scheide und ein Paar Eßstöckchen. Als Kopfbedeckung tragen die Beamten im Sommer kegelförmige Kappen aus Bambusgefäde, auf der Spitze mit einem Knopfe versehen, der den Rang des Trägers anzeigt, und von dem ein Büschel von karmesinroter Seide oder roten Pferdehaaren herunterhängt. Die Landleute tragen im Sommer große, schirmartige Bambushüte, gegen regnerische Witterung eine Art Rohrgestell, an welchem das Wasser abläuft. Der Stoff ist meist Baumwollzeug. Der komplette Anzug eines Arbeiters kommt auf 4-5 Mk. zu stehen und hält sechs Monate aus. Tuch wird nur von Wohlhabenden getragen. Um der Kälte zu begegnen, tragen die niedern Volksklassen im Winter drei oder mehr baumwollene Kleider übereinander oder wattieren sie mit Baumwollabfall; Reichere kleiden sich in Tuch und Pelz. Die Feier- und Staatsanzüge sind außerordentlich kostbar und möglichst reich mit Seide und Gold bestickt, die Tressen sind jedoch vielfach falsch. Strümpfe, meist aus Baumwolle oder aus Seide gewebt oder auch aus Baumwollzeug zusammengenäht, werden allgemein getragen, schmiegen sich jedoch in der Form nicht dem Bein an und werden unter dem Knie mit farbigem Strumpfband befestigt. Die Schuhe sind aus baumwollenem oder seidenem Oberzeug gefertigt und mit papierener oder lederner Sohle versehen; Reiche tragen im Winter Schuhe von Tuch, Atlas oder Samt. Der Landmann geht großenteils barfuß, die Lastträger pflegen Sandalen von Stroh anzulegen. Vom Tragen weißer Wäsche, ebenso von Tisch und Betttüchern wissen die Chinesen nichts, wie denn überhaupt Reinlichkeit weder in der Kleidung noch am Körper den Chinesen nachzurühmen ist. Die Frauentracht ist ähnlich wie die der Männer, nur von größerer Länge und Weite; ein Schleier wird nie getragen, Augenbrauen, Wange und Lippen werden geschminkt; das Haar wird, je nach dem Geschmack; bei Verheirateten in allerlei künstlichen Gestalten zusammengeordnet, mit Gold und Silbernadeln, mit Goldplättchen und Perlen sowie mit natürlichen und künstlichen Blumen aufgeschmückt; die Unverheirateten lassen es in langen Zöpfen herabhängen. Die Männer scheren das Haar am Vorder- und Hinterkopf kahl ab, während es um den Scheitel in einen Zopf zusammengebracht wird, der lang über den Rücken herabhängt. Dieser Zopf, der jetzt als wesentlicher Bestandteil eines echten Chinesen angesehen wird, ist übrigens keine uralte Kleidungssitte, sondern erst durch das jetzige Herrscherhaus eingeführt worden. Vor dem 40. Lebensjahr einen Schnurrbart, vor dem 60. weitern Bart zu tragen, ist gegen die Sitte. Neben dem Zopf gehören zu den Seltsamkeiten der Chinesen noch die lang gezogenen Nägel an der linken Hand und die verkrüppelten Füße der Frauen, indem man bei den Mädchen das Wachstum des Fußes durch Einzwängung dergestalt erstickt, daß er, mit dem Schuh bekleidet, wie eine Art Huf erscheint und zum ordentlichen Gang seine Fähigkeit verliert.

Die Wohnungen der Chinesen sind sehr verschiedener Art. Auf den Flüssen und in den großen Häfen leben viele ganz auf Schiffen, neben dem Wohnschiff befinden sich oft andre als Schweinestall oder Gemüsegarten. Andre leben auf festgelegten Flößen. Die Häuser sind einstöckig, höchstens zweistöckig und der Mehrzahl nach entweder bloß in ihrer Hinterwand oder in zwei Seitenwänden aus gebrannten oder ungebrannten Ziegelsteinen gebaut, sonst teils aus Brettern, teils aus mit Lehm angestrichenem Flechtwerk oder aus Matten zusammengefügt und sehen meist ärmlich und schmutzig aus. Der Boden ist nicht gedielt und uneben; statt Glas bedeckt Papier die Fensteröffnungen, und die Stuben sind stets ungenügend beleuchtet und gelüftet. Der Hausrat besteht aus wenigen Stühlen und Tischchen; als Bettstelle dienen im südlichen und mittlern C. gewöhnlich zwei Schemel und einige daraufgelegte Bretter, auf welche zu unterst Stroh oder eine Strohmatte und darüber eine feine Binsenmatte zu liegen kommt; Federbetten sind unbekannt. Das Gebäude ist im Viereck um einen Hof in der Mitte aufgeführt. Das nächste Zimmer am Eingang dient zur Aufnahme von Besuchen und als Eßzimmer; weiter hineinwärts liegen die Gemächer für das weniger öffentliche Leben, deren Zugänge durch Vorhänge geschlossen sind. Diese Häuser haben bei Vornehmen eine besondere Ahnenhalle, wo die Stammtafeln des Hausstandes hängen, Weihrauch brennt und auf Tischchen zierliche Schälchen mit Thee und Schüsselchen mit gesottenem Reis stehen. Auch in den Städten sind die Häuser nur selten aus Stein gebaut, mitunter aber zweistöckig; die öffentlichen Gebäude weisen mehr Umfang als Pracht auf. Die mit den Wohnungen der Reichern verbundenen Parke und Gärten sind geschmackvoll angelegt. Die Angaben der Reisenden über die Bevölkerung der großen Städte weichen oft außerordentlich voneinander ab und sind ganz unzuverlässig. Als größere Städte sind bekannt: Peking, Kanton, Siantan, Singan, Tschangtschou, Tiëntsin, Tschingtu, Hankeou, Wutschang, Futschou, Hang-^[folgende Seite]

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