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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Dampfschiff

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Dampfschiff (Turbinenschiffe; Schiffsdampfmaschinen und -Kessel).

Anwendung von nur einer Schraube mit gleicher Kraft erreicht werden.

Eine dritte Klasse von Dampfschiffen ist nach dem Turbinen oder hydraulischen Reaktionssystem gebaut. In diesen "Prallschiffen" wirkt die Zentrifugalkraft eines im Schiff eingebauten Wurfrades, welches durch die Dampfmaschine bewegt wird und durch Röhren im Boden des Schiffs das Wasser empfängt, das, vom Umfang des Rades nach zwei Knierohren geleitet, aus deren beweglichen, horizontal liegenden Ausflußschenkeln mit großer Geschwindigkeit ausströmt. Da zur Erreichung des größten Effekts der freie Abfluß des Wassers soviel wie möglich durch nichts behindert werden darf, so geschieht dieser Abfluß unmittelbar über der Oberfläche des Fahrwassers horizontal längsschiffs. Geschieht der Abfluß des Wassers in horizontaler Richtung nach hinten zu, so bewegt sich das Schiff vorwärts; werden die Abflußrohre so gedreht, daß der Ausfluß nach vorn stattfindet, so geht das Schiff rückwärts. Bei schräger Lage der Röhren geht das Schiff langsamer, während ihre senkrechte Lage den Stillstand des Schiffs bewirkt; werden aber die beiden Röhren einander entgegengesetzt gestellt, so dreht sich das Schiff um seine Achse. Die Geschwindigkeit des Schiffs wächst und fällt in dem Maß, wie der Sinus des Neigungswinkels, den das Abflußrohr gegen den Horizont bildet, an Größe zu- oder abnimmt. Infolge dieser Eigenschaften steht den Turbinenschiffen eine außerordentliche Lenkbarkeit zur Verfügung. Trotz derselben scheiterte ihre allgemeine Einführung am geringen Effekt dieses Propellers; dergleichen Konstruktionen sind, weil der Fortgang ihrer Schiffe nicht über 10 Meilen zu steigern war, nur vereinzelt geblieben.

Bauart der Dampfschiffe.

Äußerlich unterscheiden sich Dampfer und Segelschiffe sehr wesentlich. Zwar verursacht (abgesehen von den Raddampfern, deren Schaufelräder von großen, halbcylindrischen Radkasten umschlossen sind) der Motor im Äußern keine auffallende Veränderung, denn man kann beim Schraubenschiff nur den Ausschnitt für die Schraube vor dem Steuerruder sowie beim Prallschiff nur die Ausflußrohre sehen. Ab er der ganze Habitus des Dampfers ist ein andrer, auch abgesehen von dem Schornstein, der auf Kriegsschiffen zuweilen teleskopisch eingerichtet und nicht selten doppelt und mehrfach vorhanden, zuweilen auch zum Umlegen (der Brücken wegen) eingerichtet ist, und abgesehen von der Takelage, welche auf allen Dampfern viel schwächer ist und weiter auseinander stehende Masten führt als auf Segelschiffen. Der Bau des Dampferrumpfes ist viel gestreckter als der des Seglers: dieser ist etwa viermal so lang als breit, der Seedampfer ist fünf- bis sieben- und neuerdings oft zehnmal so lang als breit, der Flußdampfer sogar acht- bis sechzehnmal. Früher baute man die Dampfer ausschließlich aus Holz, jetzt aus Eisen oder Stahl.

Für Berechnung der Maschinen beim Bau eines Dampfers muß der Widerstand bekannt sein, den das Schiff bei seiner Bewegung im Wasser erleidet. Im allgemeinen wächst der Widerstand mit der Größe des Hauptquerschnitts und mit dem Quadrat der Geschwindigkeit des Schiffs. Zur Bestimmung des Widerstandes ist indessen das Produkt aus dem Hauptquerschnitt und jenem Quadrat der Geschwindigkeit noch mit einer je nach der Bauart des Schiffs groß oder klein ausfallenden Zahl, dem Widerstandskoeffizienten, zu multiplizieren. Diesen Widerstandskoeffizienten von vornherein haarscharf anzugeben oder ihn gar zu berechnen, ist unmöglich; durch Versuche hat sich herausgestellt, daß derselbe für sehr gute Schiffsformen 0,05-0,10 beträgt, bei einem prismatischen Schiff ohne alle Verfeinerung der Form dagegen 1,1. Für wirklich gut geformte Schiffe dürfte anzunehmen sein, daß der Widerstand fast nur von der Reibung des Wassers an den Schiffswänden herrührt, entsprechend der Reibung, welche in Röhren fließendes Wasser erleidet. Dem entsprechend bedürfen sehr lange Schiffe stärkerer Maschinen als kürzere von gleichem Querschnitt, wie sie in Nordamerika auf den Binnendampfern teilweise noch im Gebrauch sind.

An die Dampfkessel der Dampfschiffe, welche meist in der Mitte des Schiffs und möglichst tief liegen, aber auf nordamerikanischen Booten nicht selten auf dem Hauptdeck aufgestellt sind (Fig. 1), stellt man in vielen Beziehungen ähnliche Anforderungen wie an die der Lokomotiven, und die günstigen Erfahrungen, welche man bei diesen mit Röhrenkesseln gemacht hat, führten, namentlich seit Benutzung hoch gespannter Dämpfe, zur allgemeinen Einführung dieser Kesselgattung auf Dampfschiffen. In Seedampfern, welche ihre Kessel mit Seewasser speisen, bringt dessen Salzgehalt den Übelstand hervor, daß sich bei fortschreitender Verdampfung eine Salzkruste auf der innern Kesselwandung ablagert, welche die Verdampfung erschwert und die Verbrennung der Kesselbleche veranlaßt. Seedampfer waren daher gezwungen, in verhältnismäßig kurzen Zeiträumen einen Teil des Kesselwassers abzulassen und aus See zu ersetzen. Wegen des damit verbundenen bedeutenten ^[richtig: bedeutenden] Wärmeverlustes ist die Oberflächenkondensation, bei der ein Rohrsystem angewandt wird, in welchem der Dampf mit durch Seewasser gekühlten Metallflächen in Berührung kommt, eingeführt worden. Das so gewonnene Kondensationswasser wird mittels der Speisepumpe in die Kessel zurückgeschafft. Die Oberflächenkondensation gewährt bedeutende Ersparnis (20 Proz.) an Brennmaterial und hat namentlich auch die Anwendung hoch gespannter Dämpfe auf Seeschiffen ermöglicht. Die Spannung der Dämpfe beträgt jetzt durchschnittlich 6 und erreicht mehr als 8 Atmosphären. Ein weiterer Vorteil ist für Niederdruckmaschinen durch die Überhitzung des Dampfes erzielt worden, welche für den Kesseldampf auf seinem Weg nach den Cylindern die Wärme der abziehenden Heizgase nutzbar macht. Das Heizmaterial der Schiffskessel ist vorzugsweise Steinkohle und Anthracit; die Wal- und Robbenboote verbrennen auch Fischrückstände, und auf dem Schwarzen Meer und der Wolga werden mit großem Vorteil Petroleum-Destillationsrückstände benutzt.

Die Dampfmaschinen der Dampfschiffe gehören sehr verschiedenen Systemen an. Die hauptsächlichsten Maschinentypen für Radschiffe sind Oszillations-, Diagonal-, Balancier- und Turmmaschinen. Unter diesen Maschinenformen ist die Balanciermaschine eine der ältesten, die in Europa nun aber fast ganz ausgestorben ist. Nachdem sie ihre Ursprüngliche Gestalt, welche das erste in Europa bewährte Dampfboot (der Bellsche Komet) 1812 auf dem Clyde zwischen Glasgow und Greenock zeigte, mannigfach verändert und modernisiert hatte, war sie zum herrschenden Typus geworden. Sehr verschieden davon ist die amerikanische Balanciermaschine, welche lange schon und gegenwärtig noch die herrschende Maschinenform auf den Fahrzeugen der Binnengewässer des östlichen Nordamerika bis zum St. Lorenzstrom hinauf darstellt, aber auch auf flach gehenden Küstendampfern der allergrößten Art dort noch heute heimisch ist. Während die englische Balanciermaschine