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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Descensus; Descensus ad infĕros; Descente

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Descensus - Descente.

That, indem er als erste Bedingung von Philosophie aussprach, daß sie alle gegebene Erkenntnis, jede Voraussetzung von sich zu weisen habe (Cartesianischer Zweifel), um aus dem schlechthin Gewissen durch Denken die Welt der Wahrheit völlig neu sich aufzubauen und nichts gelten zu lassen, als was in diesem Wiederherstellungsprozeß die Probe gehalten habe. Von dem festen Punkte, den ihm das Selbstbewußtsein gewährt, ausgehend, ist er Vater der nachfolgenden Philosophien geworden und hat durch die Originalität und Selbständigkeit, durch die Klarheit und Einfachheit seines Gedankenganges und durch die Leichtigkeit und Natürlichkeit seiner Darstellung großen Einfluß geübt. Sein System erregte lebhaften Widerspruch bei Philosophen, insbesondere aber bei Theologen. Hobbes, Gassendi, Huet, Daniel Voetius, Schook, der Jesuit Valois u. a. traten als D.' Gegner auf, verfolgten ihn zum Teil fanatisch, klagten ihn des Skeptizismus und Atheismus an und erwirkten sogar in manchen Ländern, wie in Italien 1643, in Holland durch die Dordrechter Synode 1656, Verbote gegen seine Philosophie als eine gefährliche. Dagegen fand D. Anhänger in Holland und Frankreich (besonders unter den Jansenisten von Port-Royal und den Mitgliedern der Congrégation de l'Oratoire). Vornehmlich suchten De la Forge, Clerselier, Rochault, Regis, Arnauld, Pascal, Malebranche, Geulings u. a. sein System zu verbessern und weiter zu entwickeln.

Um die physiologische und psychologische Anthropologie hat sich D. trotz mehrerer Irrtümer manche Verdienste erworben; doch größerer und dauernderer Ruhm gebührt ihm als Mathematiker, als welcher er sich auch selbst seinen philosophischen und theologischen Gegnern gegenüber stets in einer ehrfurchtgebietenden Superiorität behauptete. Er ward der Schöpfer der analytischen Geometrie, erkannte zuerst die wahre Bedeutung der negativen Wurzeln der Gleichungen, fand die Anzahl der positiven und der negativen Wurzeln in den Abwechselungen der Zeichen für die Glieder jeder Gleichung, gab eine neue und sinnreiche Auflösung der Gleichungen des vierten Grades, führte zuerst die Exponenten ein und legte dadurch den Grund zur Rechnung mit Potenzen, lehrte, wie man an jeden Punkt einer geometrischen Kurve, mit Ausnahme der mechanischen oder transcendenten, Tangenten und Normalen ziehen kann, und zeigte, was vielleicht sein Hauptverdienst ist, wie man die Natur und Eigenschaft jeder Kurve durch eine Gleichung zwischen zwei veränderlichen Koordinaten ausdrücken kann, wodurch er der Geometrie eine neue Bahn eröffnete, auf der die schönsten Entdeckungen gemacht worden sind. Seine "Géométrie" (1637), welche Schooten mit einem trefflichen Kommentar begleitete (Leid. 1649), und seine "Dioptrique" (1639), welche zuerst das von Snellius entdeckte Gesetz der Brechung der Lichtstrahlen, die aus einem Mittel in ein andres übergehen, darlegte und die großen Entdeckungen von Newton und Leibniz vorbereitete, sind ein bleibendes Denkmal des großen Verdienstes, welches er sich um die physikalischen Wissenschaften erworben hat. Die nach ihm benannten Cartesianischen Teufel sind, gegen jene Entdeckungen gehalten, in der That nur Spielereien zu nennen. In seinen kosmogonischen Versuchen wollte er, ähnlich wie Demokrit und dessen atomistische Nachfolger, die Bewegung der Himmelskörper durch Wirbel erklären, welche in Strömungen des das Weltall erfüllenden Äthers bestehen sollten, eine Theorie, die, so großes Aufsehen sie auch im 17. Jahrh. machte, jetzt unter die Kuriosa gezählt wird. D.' Hauptschriften sind: "Discours de la méthode pour bien conduire la raison et chercher la vérité dans les sciences" (zugleich mit seinen Abhandlungen über die Dioptrik, die Meteore und die Geometrie, Leid. 1637; lat. 1644); "Meditationes de prima philosophia etc." (Amsterd. 1641; hrsg. von Barach, Wien 1862); "Principia philosophiae" (Amsterd. 1644); "Traité des passions" (das. 1650; lat., das. 1656); "Traité de l'homme et de la formation du foetus" (das. 1668, lat. 1677). In mehrfacher Hinsicht lehrreich ist auch die Sammlung seiner Briefe (Frankf. a. M. 1692). Eine Ausgabe seiner sämtlichen Werke in lateinischer Sprache erschien zuerst Amsterdam 1670 bis 1683 und daselbst 1692-1701; in französischer Sprache herausgegeben von V. Cousin (Par. 1824-1826, 11 Bde.) und von Aimé-Martin in 1 Band (1881). Von Foucher de Careil sind "Œuvres inédites de D." (Par. 1859-60) und "D., la princesse Elisabeth et la reine Christine, d'après des lettres inédites" (1879) veröffentlicht worden. Seine nur beiläufig in seinen Schriften (besonders in dem nicht bloß von den Affekten und Leidenschaften, sondern von jeder Gattung Gefühle, Neigungen und Empfindungen handelnden Buch "De passionibus") geäußerten Ideen über die praktische Philosophie haben mehrere seiner Schüler in besondern Werken gesammelt. Das vorzüglichste darunter ist: "Ethica cartesiana s. ars bene beateque vivendi ad clarissimas rationes et sanae mentis ideas ac solidissima Ren. Cartes. principia formata" (Halle 1719, franz. 1692). Deutsche Übersetzungen von philosophischen Hauptschriften des D. haben K. Fischer (Mannh. 1863) und v. Kirchmann (Berl. 1870, 4 Tle.) veranstaltet. Sein Leben beschrieben Tepelius (Nürnb. 1674), Bayle (Amsterd. 1681) und Baillet (Par. 1691). Vgl. außer der anziehenden Schilderung Kuno Fischers in seiner "Geschichte der neuern Philosophie", Bd. 1 (3. Aufl., Münch. 1878): Millet, D., sa vie, ses travaux, ses découvertes avant 1637 (das. 1867); Derselbe, D. etc. depuis 1637 (das. 1871); Bouillier, Histoire et critique du Cartésianisme (das. 1842); Derselbe, Histoire de la philosophie cartésienne (3. Aufl., das. 1868); Hock, Cartesius und seine Gegner (Wien 1835); Löwe, Das System des D. (das. 1867); Schmid aus Schwarzenberg, René D. und seine Reform der Philosophie (Nördling. 1859); Bertrand de Saint-Germain, D. considéré comme physiologiste et comme médecin (Par. 1869); Koch, Die Psychologie D.' (Münch. 1881); Natorp, D.' Erkenntnistheorie (Marb. 1882).

Descensus (lat.), Senkung, z. B. D. uteri, Gebärmuttersenkung.

Descensus ad infĕros (lat.), s. v. w. Höllenfahrt Christi (s. d.). Unter diesem Titel hat Tischendorf ("Evangelia apocrypha", Leipz. 1853) eine auf gnostischer Grundlage um 400 entstandene Legende von der Höllenfahrt herausgegeben, welche den zweiten Teil des schon zuvor bekannten Evangeliums des Nikodemus (s. d.) bildet.

Descente (franz., spr. dessāngt) oder Grabendescente, im Festungskrieg der vom Angreifer für den Sturm ausgeführte, gegen feindliches Feuer gedeckte Gang aus dem Couronnement des Glacis in den Festungsgraben zum Grabenübergang und zur Bresche. Sie ist unterirdisch, wenn als Minengalerie angelegt, bedeckt, wenn mit der bedeckten Sappe, offen, wenn mit der offenen Sappe (s. d.) ausgeführt. In der Baukunst versteht man unter D. ein schief aufsteigendes Gewölbe unter oder über einer Treppe.