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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutscher Befreiungskrieg

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Deutscher Befreiungskrieg (Januar bis Juni 1813).

endlich auch beim Hof der Umschwung ein. Am 22. Jan. reiste der König nach Breslau, und von hier erließ er 3. Febr. den Aufruf zur Bildung freiwilliger Jägerkorps. Der ungeahnte Erfolg desselben (nicht bloß Jünglinge, auch ältere Männer in angesehener Stellung traten in die Reihen, alle Stände, Korporationen, Gemeinden wetteiferten in Gaben für die Ausrüstung der Freiwilligen) ermutigte den König, den entscheidenden Schritt zu thun. Allerdings setzte er im Kampf mit Frankreich seine Dynastie, ja den preußischen Staat selbst aufs Spiel, denn Napoleon hatte schon früher ausgesprochen, daß er einen Fehler begangen, indem er Preußen, wenn auch zerstückelt, bestehen ließ, und er würde denselben nicht zum zweitenmal begangen haben. Am 28. Febr. schloß Hardenberg mit Rußland den Vertrag von Kalisch ab, der freilich Preußen zur zweiten Rolle verurteilte und für den Frieden nur Unbestimmtes festsetzte. Es folgten nun nacheinander die Stiftung des Eisernen Kreuzes, der Aufruf: "An Mein Volk" vom 17. März, die Verordnung über die Bildung der Landwehr und des Landsturms, endlich 27. März die förmliche Kriegserklärung an Frankreich.

Der Zweck des Kriegs war nicht bloß die Wiederherstellung des preußischen Staats, sondern ein Aufruf an die Deutschen, welchen Alexander und Friedrich Wilhelm 26. März von Kalisch aus erließen, wie ein 29. März zu Breslau zwischen beiden abgeschlossener Vertrag erklärten zugleich die Befreiung Deutschlands vom französischen Joch für den Zweck des Kampfes, verkündeten die Wiedergeburt des Deutschen Reichs, forderten alle Deutschen auf, sich der Erhebung anzuschließen, und bedrohten jeden Fürsten, der dieser Aufforderung nicht Folge leiste, mit Verlust seiner Staaten. Die freiwilligen Jägerkorps, namentlich die von Major v. Lützow errichtete "schwarze Schar der Rache", sollten den Kern für die erwartete deutsche Volkserhebung bilden. Diese Hoffnungen erfüllten sich indes nicht. Die Fürsten hielten sich mit wenigen Ausnahmen aus Furcht und Eigennutz neutral oder blieben Napoleon treu; die Stimmung im außerpreußischen Deutschland war noch weniger schwungvoll und patriotisch als 1809. Nur einzelne begeisterte Jünglinge aus diesem Teil Deutschlands traten in die Lützowsche Schar ein, wie vor allen der Sänger der Freiheitskriege, Theodor Körner.

So standen Rußland und Preußen vorläufig allein. Ersteres hatte nur einen Teil seines Heers zur Verfügung; Preußen stellte aus den seit 1807 rastlos ausgebildeten Reserven ein reguläres Heer von 128,000 Mann auf, wozu noch 150,000 Mann Landwehr kamen, die allerdings wegen mangelnder Waffen und Montur nur zum Teil verwendbar war. Überhaupt wurden die preußischen Rüstungen und die Bewegung der Truppen vielfach gehemmt durch die von den Franzosen noch behaupteten Festungen an der Weichsel, Oder und Elbe, wenn auch die Feldarmee unter dem Vizekönig Eugen bis an die Elbe zurückgegangen war. Für den Offensivkrieg waren zunächst nur 36,000 Mann in Schlesien verfügbar, welche unter den Befehl Blüchers gestellt wurden, und 54,000 unter York, Bülow und Borstell in der Mark. Den Oberbefehl führte der russische Feldmarschall Kutusow, der aus übertriebener Vorsicht und Eigensinn sofort Scharnhorsts Plan vereitelte, ohne Zögern in Deutschland einzudringen und den Rheinbund zu sprengen, ehe Napoleon herankam. Langsam setzte man sich durch Sachsen, dessen König nach Prag floh, nach Thüringen in Marsch. Währenddessen hatte Napoleon, schon Ende 1812 nach Paris zurückgekehrt, mit Aufbietung aller Kräfte gerüstet. 350,000 Mann wurden im Kaiserreich ausgehoben, und wenn auch nur ein Teil sofort für Deutschland verfügbar war, so stellten die Rheinbundstaaten doch bereitwilligst ihre Kontingente. Das Wiedererstarken der französischen Macht machte sich schon Anfang April an der untern und mittlern Elbe bemerkbar, wo die Franzosen dem weitern Vordringen der leichten Truppen der Alliierten ein Ziel setzten. Am 2. April kam es in Lüneburg und am 5. bei Möckern zu den ersten blutigen Zusammenstößen, bei denen sich die Tapferkeit und der Opfermut der Preußen und Russen herrlich bewährten. Ende April stießen die Vortruppen der Verbündeten, welche 90,000 Mann stark waren, schon auf die französische Hauptarmee (120,000 Mann), welche Napoleon durch Franken und Thüringen bis an die Saale herangeführt hatte, und Wittgenstein, der nach Kutusows Tode den Oberbefehl erhalten, beschloß, dieselbe, während sie im Marsch war, 2. Mai bei Großgörschen in der Ebene von Lützen anzugreifen. Der Angriff mißlang infolge von Wittgensteins ungeschickter Leitung. 8000 Preußen und 2000 Russen bedeckten das Schlachtfeld, Scharnhorst und Blücher waren verwundet; aber keine Kanone, kein Gefangener ging verloren, und den Franzosen, die noch größere Verluste erlitten, wurden auch Trophäen abgenommen. Trotzdem wurde auf Verlangen der russischen Generale der Rückzug angetreten, um hinter der Spree bei Bautzen eine neue Stellung zu nehmen. Sachsen wurde preisgegeben, und der König Friedrich August schloß sich sofort Napoleon an. Am 20. und 21. Mai griff dieser die Alliierten, die ihm den Übergang über die Spree verwehren wollten, bei Bautzen an und zwang sie 21. Mai zum Rückzug, der in aller Ordnung vor sich ging. Napoleon hatte erheblichere Verluste erlitten als die Alliierten und sowohl Kanonen als Gefangene eingebüßt. Das glückliche Treffen bei Hainau (25. Mai) bewies allerdings, daß der Mut der Truppen ungebeugt war; indessen die Lage war sehr bedenklich. Die Russen wollten bis Polen zurückgehen, um sich neu zu rüsten. Preußen war noch nicht im stande, allein den Krieg auf sich zu nehmen, denn die Rüstung der Landwehr war noch nicht vollendet; überdies war das Hauptheer schon von der Mark abgeschnitten, indem dies nach Schweidnitz abschwenkte, während die Franzosen Breslau besetzten. Da gewährte Napoleon 4. Juni den Waffenstillstand von Poischwitz, da sein Heer zu arg mitgenommen war und er sowohl Verstärkungen heranziehen, als seine Verbindungen nach Westen herstellen wollte.

Das preußische Volk empfand die Kunde vom Waffenstillstand wie einen Donnerschlag, und das Unglück von Hamburg, das den Franzosen wieder in die Hände fiel und von Davoût aufs grausamste behandelt wurde, wie der Überfall der Lützowschen Freischar (17. Juni) bei Kitzen vermehrten noch den schmerzlichen Eindruck der bisherigen Unglücksfälle. Trotzdem verlor man den Mut nicht. Die Rüstungen wurden mit allem Eifer und bewundernswertem Opfermut vollendet, Ende Juni waren 140,000 Mann Landwehr kriegstüchtig, und Rückerts, Schenkendorfs und Körners Lieder fachten die Begeisterung bis zur höchsten Glut an. Der Waffenstillstand aber brachte auch einen gewichtigen Vorteil durch den Beitritt Österreichs zur Koalition gegen Napoleon, ohne den ein Sieg nicht sicher war. Kaiser Franz I. und sein Minister Metternich wollten zwar keinen deutschen Freiheitskrieg, sondern bloß die 1805 und 1809 verlornen Provinzen wiedergewinnen und hatten bisher dies