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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutscher Orden

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Deutscher Orden (Eroberung des Preußenlandes).

Masovien auf den Rat des Heidenbekehrers und ersten Bischofs der Preußen, Christian, der selbst vor ihnen hatte flüchten müssen, den Deutschen Orden zur Bekämpfung der gefährlichen Nachbarn herbeizurufen und ihm als Preis für die Hilfe nicht bloß das bereits zum polnischen Reiche gehörige, nur augenblicklich wieder abgerissene Kulmer Land als Eigentum zu verheißen, sondern ihm auch zur Eroberung aller preußischen Gaue seine Einwilligung zu gewähren. Doch durch das eben erfahrene Mißgeschick vorsichtig gemacht, ging der Hochmeister nicht eher auf das Anerbieten ein, als bis auch der Kaiser ihm den Besitz jener Lande, wenn er sie den Heiden abnähme, urkundlich zugesichert hatte. Im März 1226 verlieh Friedrich II. dem Hochmeister Hermann v. Salza und seinen Nachfolgern das Kulmer Land und Preußen und übertrug sie ihnen für den Fall der Eroberung als Lehen des Reichs. Hierdurch erhielten die Hochmeister des Deutschen Ordens die Reichsfürstenwürde, in der sie nachher fast immer erscheinen, und wahrscheinlich fügten sie bei dieser Gelegenheit zu ihren alten Schildeszeichen noch den schwarzen Adler hinzu. Die endgültige, wenngleich etwas beschränkte Zustimmung des Papstes ist erst in einer mehrere Jahre jüngern Urkunde ausgesprochen. (Das Genauere über Erwerbung, Eroberung und Verwaltung Preußens durch den Deutschen Orden s. Ostpreußen, Geschichte.)

Nach mehrjährigen Verhandlungen, durch welche genauere politische und kirchliche Abmachungen mit polnischen Fürsten und Bischöfen getroffen wurden, entsandte endlich der Hochmeister zu Anfang des Jahrs 1230 den Ordensritter Hermann Balk mit Rittern und Knechten zur Eroberung der übertragenen Lande und ernannte ihn zugleich zum Landmeister derselben. Anfangs waren die Unternehmungen des Ordens von großen Erfolgen begleitet, da man mit nicht allzu großer Anstrengung erst das Kulmer Land gewann, dann am rechten Ufer der Weichsel und Nogat hinab bis ans Frische Haff und endlich längs des Südufers des Haffs bis an den Pregel und darüber hinaus bis ins Samland hinein vordrang. Dabei hatte nur der westliche Nachbar, der Herzog Swantopolk von Pommern, durch das schnelle Wachstum der neuen Macht erschreckt, ernsten und nicht ganz ungefährlichen Widerstand versucht, ward aber schließlich doch zum Frieden gezwungen. Die Preußen selbst unternahmen den ersten gemeinsamen und darum Erfolg verheißenden Widerstand erst, als bereits 30 Jahre gegen sie gekämpft und reichlich die Hälfte ihrer Gaue von den Fremden in Besitz genommen war. Sie fanden bei den stammverwandten Litauern Unterstützung; die Stellung der Polen war, wenn sie auch die Heiden nicht geradezu zu unterstützen wagten, gleichfalls aus wachsender Eifersucht mindestens zweideutig. 15 Jahre bedurfte der Orden, welcher beim Anfang der Empörung alles Gewonnene bis auf drei Punkte verloren hatte, um auf den frühern Stand zurückzukommen. Nach weitern 8 Jahren, 1283, waren endlich auch die östlichen Landschaften, die zum größten Teil nicht von Preußen, sondern teils von Litauern, teils von den ebenfalls stammverwandten Jadzwingern bewohnt waren, erobert, so daß die Bezwingung und Gewinnung des ganzen Heidenlandes, bei welcher der Orden vielfach durch deutsche Kreuzfahrer unterstützt wurde, von der untern Weichsel bis etwa zur mittlern Memel hin 53 Jahre erfordert hatte. Mit der Eroberung des Landes hielt die Kolonisation gleichen Schritt: von den unter großen Vergünstigungen hereingerufenen deutschen Einwanderern wurde eine ganze Reihe von Städten begründet, verwüstete Dörfer hergestellt und neue angelegt, Anziehenden ritterlichen Standes Grundeigentum gewährt, endlich auch solchen Eingebornen, die sich gutwillig unterwarfen, Landbesitz gelassen.

Während dieser Zeit war endlich auch der dritte große Landerwerb für den Deutschen Orden vor sich gegangen, indem der 1202 zur Bekämpfung der Liven, Kuren und Esthen gestiftete Orden der Schwertbrüder, der keine große Macht besaß und schließlich in die äußerste Gefahr gekommen war, mit päpstlicher Bewilligung 1237 in den Deutschen Orden übertrat und ihm seine Besitzungen und Anrechte zubrachte; der letztere gewann hierdurch Kurland, Semgallen und Livland, während Esthland noch über ein Jahrhundert lang (bis 1346) im Besitz der Dänen blieb. (Genaueres s. unter Schwertbrüderorden und Livland.) Doch war dieser Zuwachs an Landbesitz und Streitkräften auf der andern Seite mit schlimmen Nachteilen verknüpft, indem der Orden durch ihn in ärgerliche Händel mit den dortigen Bischöfen, die eine wesentlich andre Stellung als die vier preußischen einnahmen, zumal mit dem Erzbischof von Riga, dem Metropoliten für Livland und Preußen, verwickelt wurde und auch die Zahl der äußern Feinde wachsen sah. Die Russen freilich kamen nur für den äußersten Osten in Betracht; aber die Litauer konnten ihre Angriffe leicht nach beiden Seiten hin machen, nach Livland wie nach Preußen. Um sie sobald wie möglich zu bezwingen, und um ihrer ursprünglichen Verpflichtung, der Bekämpfung der Heiden, auch weiterhin obzuliegen und sich so die fernere Unterstützung der Christenheit zu sichern, begannen die Ritter gleich nach der Unterwerfung Preußens Krieg gegen die Litauer und setzten denselben so lange fort, bis diese nach ihrer Vereinigung mit Polen (1386) und ihrer Bekehrung zum Christentum dem Orden an Macht gleich und gefährlich wurden. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. dehnten sich die Besitzungen des Ordens am weitesten aus: wir hören von Landkomturen von Livland, Preußen, Deutschland, Österreich, Apulien, Sizilien, Spanien, Romanien (griechisches Kaiserreich) und Armenien; Palästina verwaltete der Hochmeister selbst; mit der Zeit aber gingen die Besitzungen in allen diesen Ländern bis auf die ersten vier verloren. Aus Palästina mußten die Ritter 1291 weichen, als Akka, der einzige Punkt, den die Christen so lange behaupteten, verloren ging. Nunmehr wurde der Hauptsitz des Ordens, das Ordenshaupthaus, nach Venedig verlegt.

Von den Hochmeistern, die nach Hermann v. Salza, welcher 19. März 1239 zu Barletta in Apulien starb, während zweier Menschenalter an der Spitze des Ordens standen, läßt sich fast niemals die Regierungsdauer genau bestimmen. Hermanns nächster Nachfolger, Landgraf Konrad von Thüringen, der höchstens ein Jahr lang im Amt war, starb 24. Juli 1240. Es folgten Gerhard v. Malberg, der 1242 und 1243, Heinrich v. Hohenlohe, der 1245-48 erwähnt wird, Günther, von dem nur Name und Todestag bekannt sind, Poppo v. Osterna, der 1256 abdankte; Anno v. Sangerhausen, gewählt 1256, starb 8. Juli 1273 (oder 1274); Hartmann v. Heldrungen starb 19. Aug. 1282; Burkard v. Schwanden resignierte 1290; Konrad v. Feuchtwangen starb 1296; Gottfried v. Hohenlohe, gewählt 3. Mai 1297, entsagte im Oktober 1303; Siegfried v. Feuchtwangen, gewählt 18. Okt. 1303, starb 5. März 1311. Der letzte der genannten Meister verlegte, da an eine Rückkehr nach Palästina nicht mehr