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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutsch-französischer Krieg von 1870/71

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Deutsch-französischer Krieg von 1870/71.

gung bereiten. Daher verlangte Gramont 12. Juli von dem preußischen Botschafter in Paris, Freiherrn v. Werther, er solle den König zur Absendung eines an Napoleon gerichteten Entschuldigungsschreibens bewegen, und Benedetti erhielt den Auftrag, von dem König die Versicherung zu fordern, daß er in Zukunft niemals seine Einwilligung zu der etwa wieder aufgenommenen Thronkandidatur des Prinzen Leopold erteilen werde. Diese Zumutung wies der König entschieden ab und verweigerte dem Botschafter eine weitere Audienz über diesen Gegenstand. Hierauf ward in Paris sofort 14. Juli die Einziehung der Reserven beschlossen und 15. Juli die für einen Krieg erforderlichen Vorlagen, vorläufiger Kredit von 66 Mill., Einberufung der Mobilgarde und Anwerbung von Freiwilligen betreffend, vor den Gesetzgebenden Körper gebracht. Die Minister begründeten den Krieg damit, daß die gerechten Forderungen Frankreichs in einer beleidigenden Weise (dies war durchaus erfunden) von Preußen abgelehnt worden seien, und erlangten auch trotz der Warnungen weniger Deputierten, vor allen Thiers', der aber nur die Opportunität des Zeitpunktes der Revanche an Preußen bestritt, die Zustimmung beider Kammern.

So stürzte sich die Regierung Napoleons III., gedrängt von der Ruhmsucht des einmal aufgeregten Volkes, mit verhängnisvollem Leichtsinn und blindem Vertrauen auf die militärische Übermacht Frankreichs in den Krieg. Man glaubte an die Überlegenheit von Chassepot und Mitrailleuse, an eine Erhebung der von Preußen 1866 annektierten Provinzen, an eine Neutralität oder gar Allianz Süddeutschlands, an den Beistand Dänemarks, Italiens und Österreichs. Nicht bloß die Menge, sondern selbst die Minister und die Kaiserin Eugenie, welche ihren "kleinen Krieg" haben wollte, hielten eine Niederlage der französischen Armee für eine Unmöglichkeit. In Deutschland war man einige Zeit ruhig geblieben; erst als man sich über die Absichten Napoleons nicht mehr täuschen konnte, kehrte (15. Juli) der König nach Berlin zurück und erließ noch an demselben Tag die Mobilmachungsorder. Unmittelbar darauf erfolgten die gleichen Ordern in den süddeutschen Staaten, welche den Casus foederis anerkannten, und auch die zuerst abgeneigten Kammern von Bayern und Württemberg mußten der allgemeinen Stimme folgen und verwilligten den verlangten Kredit. Am 19. Juli, 1½ Uhr nachmittags, erfolgte die offizielle Kriegserklärung Frankreichs. Am gleichen Tag eröffnete der König den außerordentlichen Reichstag des Norddeutschen Bundes mit einer Thronrede, worin er der allgemeinen patriotischen Stimmung einen würdigen Ausdruck gab. Man nahm den Krieg voll Mut und Entschlossenheit an; man hatte ihn nicht gesucht, sich aber darauf vorbereitet. Um die fremden Mächte günstig für Deutschland zu stimmen, ließ Bismarck 25. Juli in der "Times" den Entwurf eines Offensiv- und Defensivtraktats veröffentlichen, welchen Frankreich im Frühjahr 1867 Preußen wiederholt angetragen, dieses aber abgelehnt hatte. Nach diesem Traktat sollten Frankreich und Preußen sich verbinden, um für Frankreich die Erwerbung Luxemburgs und Belgiens, für Preußen die Anerkennung seiner Herrschaft über Deutschland zu bewirken. Die Folge war eine große Entrüstung, namentlich in England; doch verhielt sich dessen Regierung gänzlich neutral in dem bevorstehenden Kampf. In Österreich und Italien waren allerdings maßgebende Persönlichkeiten nicht abgeneigt, Frankreich zu Hilfe zu kommen; doch waren beide Staaten noch nicht gerüstet und Österreich genötigt, auf Rußland Rücksicht zu nehmen.

Die beiden Heere und ihre Aufstellung.

Während man allgemein erwartete, daß eine Invasion in deutsches Gebiet der französischen Kriegserklärung unmittelbar folgen würde, kamen die ersten Tage des Augusts heran, ohne daß ein französisches Korps jenseit der Grenze sich blicken ließ. Die Ursachen dieser Zögerung waren aber sehr triftig: die Enttäuschung hinsichtlich der Haltung Süddeutschlands, die höchst umständliche und zeitraubende Einziehung der Reserven, der bedenkliche Mangel an Material, Proviant, Munition etc., die, in Paris konzentriert, nicht rasch genug verteilt werden konnten, endlich die unzureichende, den Angaben auf dem Papier nicht entsprechende Zahl der Mannschaften. Die gesamte Streitmacht, welche Anfang August schlagfertig stand, die sogen. Rheinarmee, zählte nicht mehr als 250,000 Mann. Das 1. Korps unter Marschall Mac Mahon ward in der Gegend von Straßburg aufgestellt. Ihm zunächst stand das 5. Korps unter General de Failly bei Bitsch, links von demselben, Saarbrücken gegenüber, das 2. Korps unter General Frossard. Weiter zurück von der Grenze, als Reserve des 2. Korps, stand das 3. Korps unter Marschall Bazaine bei Metz und links von demselben das 4. Korps unter General Ladmirault bei Diedenhofen. Außerdem wurden noch das 6. Korps bei Châlons unter Marschall Canrobert, die kaiserliche Garde bei Nancy unter General Bourbaki und das 7. Korps bei Belfort unter General Douay konzentriert. Den Oberbefehl übernahm der Kaiser Napoleon III. selbst, der die Kaiserin in Paris zur Regentin einsetzte und 28. Juli in Metz eintraf; der bisherige Kriegsminister Leboeuf ward Generalstabschef.

In Deutschland, wo die Mobilmachung in nicht viel mehr als einer Woche vollendet wurde, ward beschlossen, drei Armeen aufzustellen, sämtlich unter dem Oberbefehl des Königs von Preußen, dem Moltke als Chef des Generalstabs zur Seite trat, und diese am Mittelrhein auf der Operationsbasis Koblenz-Mainz-Mannheim zu konzentrieren. Die erste Armee unter dem Kommando des Generals v. Steinmetz bildete den rechten Flügel; sie bestand aus dem 7. und 8. Armeekorps, der 1. und 3. Kavalleriedivision und war 60,000 Mann stark mit 180 Geschützen. Das Hauptquartier war in Koblenz. Die zweite Armee unter dem Kommando des Prinzen Friedrich Karl von Preußen bildete das Zentrum; sie bestand aus dem Gardekorps, dem 3., 4., 9., 10. und 12. Armeekorps, der 5. und 6. Kavalleriedivision und war 194,000 Mann stark mit 534 Geschützen. Das Hauptquartier war in Mainz. Die dritte Armee unter dem Kommando des Kronprinzen von Preußen bildete den linken Flügel; sie bestand aus dem 5. und 11. norddeutschen Armeekorps, dem 1. und 2. bayrischen Korps und dem kombinierten württembergisch-badischen Korps. Sie zählte 130,000 Mann mit 480 Geschützen; das Hauptquartier war in Mannheim. Die Gesamtzahl der in erster Linie aufgestellten Macht betrug demnach 384,000 Mann mit 1194 Geschützen. In Reserve blieben das 1. und 2. Armeekorps bei Berlin, das 6. in Schlesien. Den Küstenschutz übernahmen die 17. Division und 3 Landwehrdivisionen unter General Vogel v. Falckenstein. Da die Franzosen, welche überdies von der Zahl und den Bewegungen der deutschen Truppen keine genügende Kenntnis hatten, nicht zur Offensive schritten, so setzten sich 30. Juli die deutschen Heere gegen die französische Grenze in Bewegung.