Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

810

Deutschland (Bevölkerungszunahme; Auswanderung).

mäßig; dasselbe gilt für Stadt und Land. Dann aber trat durch die Eisenbahnen und die sich ausdehnende Industrie eine Änderung ein, zunächst eine allmähliche. Die Stürme des Jahrs 1848 mit ihren Folgen sowie ungünstige Wirtschaftsverhältnisse im Inland gegenüber dem Auftauchen neuer verlockender Erwerbsquellen im Ausland bewirkten eine steigende Auswanderung, die im Anfang der 50er Jahre in den südwestlichen Staaten und auch in einigen Teilen der preußischen Monarchie eine Bevölkerungsabnahme herbeiführte. Diese hörte zwar sogleich wieder auf, aber die Erweiterung des Eisenbahnnetzes und die Konzentration der Industrien hatten bei einer im ganzen ziemlich gleichbleibenden Zunahme für bestimmte Gegenden und Städte eine auffallende Vermehrung, dagegen für ausgedehnte Landstriche eine gleichmäßige, andauernd schwache Zunahme, zum Teil sogar eine Abnahme im Gefolge. Wenn schon die Zählungen von 1867 diese Entwickelung andeuteten, so trat dieselbe bei den nachfolgenden Zählungen von 1871, 1875 und 1880 in gesteigertem Grad hervor.

In größern Zeiträumen betrachtet, kommen Gebiete (Regierungsbezirke und ähnliche Flächengrößen) mit Volksabnahme in der Periode 1816-34 nicht vor; eine nur schwache Zunahme zeigen das Königreich Hannover und der württembergische Jagstkreis, eine starke dagegen die Gebiete nördlich der Warthe und rechts der Oder, wo die Bezirke Gumbinnen, Bromberg, Köslin sogar um mehr als 2 Proz. jährlich wuchsen; auch der Regierungsbezirk Oppeln, das Königreich Sachsen, das obere Moselgebiet der Rheinprovinz und die hessische Provinz Starkenburg nahmen stark zu.

In der nächsten Periode, 1834-52, trifft man im allgemeinen ein geringeres Wachstum der Bevölkerung an. So liegt eine breite Fläche schwacher Zunahme von der Wesermündung bis zum Bodensee: Herzogtum Oldenburg, Regierungsbezirke Hannover und Hildesheim, Herzogtum Braunschweig, Kurhessen, Waldeck und das ganze rechtsrheinische Bayern (ausschließlich Oberbayern) sowie auch wiederum der Jagstkreis, ferner der Donaukreis und Hohenzollern, Lothringen und Unterelsaß. Im NW. schließt sich mit gleich schwacher Vermehrung der Regierungsbezirk Münster an. Die Landdrostei Osnabrück zeigt sogar eine Abnahme (um 0,05 Proz. jährlich). Die starke Zunahme im NO. beschränkt sich in dieser Periode auf die Bezirke Stettin, Köslin, Marienwerder; ferner bleibt Oppeln stark zunehmend, und als neues Gebiet starken Wachstums tritt der gleichfalls montanindustrielle Bezirk Düsseldorf hinzu.

In dem Zeitraum 1852 bis 1867 bleiben die Gebiete schwachen Zuwachses mit Ausnahme der Landdrostei Hannover und des Regierungsbezirks Mittelfranken zunächst dieselben; zu ihnen tritt aber nicht nur eine Anzahl benachbarter Gebiete (Aurich, Minden, Lippe, ganz Württemberg, mehrere badische Kreise), sondern es finden sich unter jenen Gebieten und neben ihnen noch eine Anzahl Landstriche mit geradezu abnehmender Bevölkerung (Waldeck, Kurhessen, Oberhessen, Lothringen, Hohenzollern, badischer Kreis Waldshut sowie Mecklenburg-Strelitz). Mecklenburg-Schwerin zeigt nur noch einen schwachen Zuwachs. Ferner befindet sich kein Teil des Nordostens mehr in starker Zunahme, selbst der Bezirk Oppeln ist auf 1½ Proz. zurückgegangen, während dem westlichen Bezirk Düsseldorf sich Arnsberg mit rascher Volksvermehrung anschließt. Von Sachsen kommt die Amtshauptmannschaft Leipzig hinzu, außerdem Hamburg und Bremen.

Von 1867 bis 1875 bewegt sich die Bevölkerungszunahme in der eingeschlagenen Richtung weiter. Unter den abnehmenden Teilen treten nun beide Mecklenburg und ganz Elsaß-Lothringen auf, und zu dem bereits in voriger Periode abnehmenden badischen Kreis Waldshut tritt Mosbach hinzu. Der ganze Nordosten des Reichs nimmt schwächer zu, aber im Königreich Sachsen treten die Kreishauptmannschaften Dresden und Zwickau zu den Gebieten starken Wachstums.

Sonach hat die Bevölkerungszunahme des Nordostens von ihrer anfänglichen Stärke von Periode zu Periode nachgelassen. Im SW. des Reichs befindet sich ein ausgedehntes geographisches Gebiet, das in Bezug auf Bevölkerungszuwachs fast gar keine Fortschritte aufzuweisen hat. Der Bezirk Oppeln erhält sich in starker Vermehrung. Die andauernd stärkste Vermehrung findet von vornherein im Königreich Sachsen statt, wo nur die Kreishauptmannschaft Bautzen zurückbleibt; sodann folgt der Regierungsbezirk Düsseldorf, dem sich dann Arnsberg anschließt. Durch mäßige, aber konstante Zunahme zeichnen sich besonders Oberbayern und die Provinzen Sachsen und Schleswig-Holstein aus, auch Thüringen, welches jedoch einen allmählich abnehmenden Prozentsatz aufweist. Besondere Hervorhebung verdient die kürzere Periode 1875-80, in der noch mehr als 1871-75 eine allgemein steigende Zunahme auftritt. Sogar Elsaß-Lothringen, welches 1871-75 noch im jährlichen Durchschnitt um 0,29 Proz. (der mittlern Bevölkerung) abnahm, vermehrte sich um 34,866 Seelen oder 0,45 Proz. durchschnittlich jährlich. Doch liegen in den weiter unten mitgeteilten Angaben über die Bevölkerungsbewegung und Auswanderung der letzten Jahre die sichern Anzeichen, daß die eben abgelaufene Periode 1880-85 (nach Ausweis der Volkszählung vom Jahr 1885, deren Ergebnisse zur Zeit noch nicht veröffentlicht sind) einen Rückschlag ergeben wird.

In den altpreußischen Provinzen stieg die Bevölkerung von 1816 bis 1880 um mehr als das Doppelte (von 100 auf 215), in den neuen nur von 100 auf 147; am größten war die Zunahme in den Regierungsbezirken Oppeln (100:275), Arnsberg und Düsseldorf (100:275) sowie in Danzig, Marienwerder, Köslin, Bromberg (100:247), am geringsten in Minden und Münster (100:141). Berlin hatte 1819: 200,867, 1880: 1,122,330; Breslau 1819: 78,135, 1880: 272,912; Görlitz 1819: 9901, 1880: 50,307; Dortmund 1819: 4453, 1880: 66,544; Essen 1819: 4721, 1880: 56,944; der ehemalige Kreis Beuthen im oberschlesischen Steinkohlengebiet 1819: 28,171, 1880: 305,378; Stadt- und Landkreis Dortmund (im Ruhrkohlengebiet) 1819: 31,243, 1880: 183,729; Stadt- und Landkreis Bochum 1819: 28,801, 1880: 236,828; die Kreise Essen, Duisburg und Mülheim a. d. Ruhr 1819: 66,916, 1880: 348,789 Einw. Im Königreich Sachsen vermehrten sich (im Zeitraum 1816-80) 100 Einw. auf 249, in Bayern 100 auf 147, in Württemberg 100 auf 140, in Baden 100 auf 156, in Hessen 100 auf 167, in Thüringen 100 auf 166, in Mecklenburg 100 auf 178.

Auswanderung.

Wenngleich D. in der Volkszahl den zweiten Platz unter den europäischen Staaten einnimmt, bildet es doch nur einen Teil des alten Deutschen Reichs. Gegenüber den nichtdeutschen Stämmen im O. Deutschlands wohnt jenseit seiner Grenzen eine bedeutende Volksmenge deutschen Stammes auf einstmals deutschem Gebiet, namentlich in Österreich-Ungarn, wo 1880 noch 10 Mill. die deutsche als Muttersprache angaben; dann schließen sich die Schweiz mit 2 Mill., Belgien zu mehr als der Hälfte, die Niederlande fast