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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Geschichte 962-1024. Sächsische Kaiser).

des Abendlandes sowie zur Begründung einer allgemeinen christlichen Kultur im Mittelalter wesentlich beigetragen. Aber wie alle Nationen, die sich zu ausschließlich dem Dienst einer weltgeschichtlichen Idee hingeben, so hat auch die deutsche ihrer Stellung an der Spitze des Abendlandes schwere Opfer bringen müssen und ihre gesunde politische und materielle Entwickelung dauernd geschädigt. Nicht bloß, daß in den Kämpfen um Italien unzählige deutsche Heere zu Grunde gegangen sind: verhängnisvoller war, daß die Deutschen ihren wichtigsten Lebensinteressen entfremdet wurden; die großartig begonnene Kolonisation an der Ostgrenze geriet ins Stocken, die politischen Institutionen wurden nicht befestigt und weiter ausgebildet, die untern Stände den mächtigen Vasallen wehrlos preisgegeben und D. fort und fort durch jede auswärtige Verwickelung auch in innere Unruhen und Wirren gestürzt.

Die Aufgabe, die Otto auf sich geladen, war sogar für ihn fast zu schwierig. Seit seiner Kaiserkrönung mußte er sich beinahe ausschließlich in Italien aufhalten, um immer neue Empörungen zu unterdrücken, und vermochte doch nicht die südlichen Provinzen Kalabrien und Apulien dem griechischen Kaiserreich zu entreißen. Wieviel weniger waren seine Nachfolger der Stellung gewachsen. Sein 18jähriger Sohn Otto II., der ihm 973 folgte, war bereits gewählt und gekrönt und trat daher ohne Schwierigkeit die Regierung an. Er verband mit seiner Bildung einen energischen, thatkräftigen Geist. Eine Empörung seines Vetters, Herzog Heinrichs des Zänkers von Bayern, unterdrückte er und schwächte Bayern durch Abtrennung Österreichs, das als Markgrafschaft den Babenbergern gegeben wurde, und Kärntens, das er zum selbständigen Herzogtum erhob. Er bezwang aufs neue die Böhmen und Dänen und strafte einen treulosen Überfall des französischen Königs Lothar durch einen Rachezug bis vor die Thore von Paris (978). Als er aber 980 nach Italien zog und 982 die Eroberung Süditaliens unternahm, erlitt er südlich von Cotrone durch die Sarazenen eine völlige Niederlage, und ehe er sie rächen konnte, starb er 983 in Rom, einen dreijährigen Sohn, Otto III., hinterlassend, der zwar schon zum König gewählt und gekrönt war, dessen Unmündigkeit aber Heinrich der Zänker sofort zum Versuch benutzte, die Regentschaft und dann die Krone an sich zu reißen. Allerdings wurde durch die Entschlossenheit Theophanos, Ottos Mutter, und die Weisheit des Erzbischofs Willigis von Mainz dieser Versuch vereitelt und die rechtmäßige Thronfolge gewahrt; aber die Wenden und Dänen, welche sich auf die Nachricht von Ottos II. Niederlage und Tod erhoben und mit dem Christentum die verhaßte Herrschaft der Deutschen abgeschüttelt hatten, wieder zu unterwerfen, war die Regentin Theophano nicht im stande. Während der Regierung der Kaiserin wie nach ihrem Tod (991) erlangten die Reichsfürsten, die Herzöge, Markgrafen, Pfalzgrafen und Grafen, die Erzbischöfe, Bischöfe und größern Äbte, einen maßgebenden Einfluß auf die Regierungsgeschäfte, wandelten die ihnen übertragenen Ämter in erbliche Lehen um und rissen die Güter des Reichs und die Regalien der Krone (Münzrecht, Zollrecht und Gerichtsbann) an sich. Sobald Otto III. mündig geworden (996), zog er nach Rom, wo er sich mit geringen Unterbrechungen bis ans Ende seines Lebens aufhielt. Seinem Volk, seinem deutschen Vaterland entfremdet, hing er dem phantastischen Gedanken nach, die Macht der Religion durch eine große Reform der Kirche zu erhöhen und das alte römische Reich in allen seinen Formen wiederherzustellen. D. überließ er sich selbst, ja er schwächte es, indem er durch Errichtung des selbständigen Erzbistums Gnesen die Lostrennung der Polen von dem Verband mit D. beförderte. Aber nicht einmal in Rom und Italien selbst vermochte er die kaiserliche Macht zur allgemeinen Anerkennung zu bringen. Durch einen Aufstand aus Rom vertrieben, starb er 1002 ohne Erben.

Nicht ohne Schwierigkeiten errang der letzte noch übrige Sproß des sächsischen Herrscherhauses, Herzog Heinrich von Bayern, Sohn Heinrichs des Zänkers, Urenkel König Heinrichs I., bei der Bewerbung um die Krone den Sieg über seine Nebenbuhler Hermann von Schwaben und Eckard von Meißen. Nur die bayrischen, fränkischen und oberlothringischen Großen wählten ihn zum König; die Stimmen der übrigen mußte er durch Zugeständnisse erkaufen. Während seiner Regierung (1002-1024) war Heinrich II. unermüdlich thätig, das Reich und den Kaiserthron wieder aufzubauen. Nach außen hin gelang ihm dies nur teilweise. Gegen den mächtigen und kühnen Polenherzog Boleslaw Chrobry kämpfte er mit entschiedenem Unglück und mußte im Frieden von Bautzen (1018) nicht bloß dessen Unabhängigkeit anerkennen, sondern ihm auch die Lausitz abtreten, während er Böhmen behauptete. Das Land nördlich der Elbe ging in einem großen Aufstand der Wenden in Holstein und Mecklenburg gänzlich verloren. In Italien besiegte er den Markgrafen Arduin von Ivrea, der sich zum unabhängigen König hatte erheben wollen, erlangte 1014 die Kaiserkrone und stellte 1022 auf einem dritten Römerzug das kaiserliche Ansehen in ganz Italien wieder her. In D. selbst hatte er in der ersten Zeit seiner Herrschaft fortwährend mit Empörungen einzelner Großen zu kämpfen; selbst Grafen und Herren wagten, ihm den Gehorsam zu verweigern. Wenn es ihm auch endlich gelang, Ruhe und Frieden im Reich zu stiften und die Fürsten zur Botmäßigkeit zurückzuführen, so mußte er doch die Erblichkeit ihrer Lehen anerkennen und ihren Beirat in allen wichtigen Angelegenheiten sich gefallen lassen. Gegen den anmaßenden Trotz und die Habsucht der weltlichen Großen suchte er eine Stütze in der hohen Geistlichkeit, deren politischen Einfluß er durch Verleihung von weltlichen Ämtern und Besitzungen vermehrte, die er aber durch das unbeschränkte kaiserliche Ernennungsrecht in Abhängigkeit von sich erhielt. Hierdurch und durch seinen Eifer für kirchliche Dinge (er trug sich ernstlich mit dem Gedanken einer streng asketischen Kirchenreform) hat er den Namen des Heiligen und die Kanonisation erworben. Mit seinem Tod 1024 erlosch das sächsische Herrscherhaus. Die Schöpfung Heinrichs I. und Ottos I., die unter Otto III. zusammenzubrechen drohte, hat Heinrich II. wiederhergestellt, freilich nicht ohne erhebliche Einbußen an innerer Kraft und äußerer Macht. Vor allem hatte sich aber die Verschmelzung der deutschen Stämme zu einem Volk, zu einer Reichseinheit dauerhaft und unlöslich erwiesen.

Der Kampf mit der Kirche unter dem fränkischen Kaiserhaus. 1024-1125.

(Hierzu die "Geschichtskarte von Deutschland I".)

Die Einheit des deutschen Volkes zeigte sich bei der großen Wahlversammlung im September 1024 in Kamba am Mittelrhein bei Mainz zur Neuwahl eines deutschen Königs. Die eigentliche Wahl, die auf den fränkischen Grafen Konrad, den Urenkel Konrads des Roten und Liutgards, der Tochter Ottos I., fiel, wurde allerdings von den Fürsten vollzogen; der Anteil des Volkes daran beschränkte sich auf den zustimmenden