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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Geschichte 1418-1474. Albrecht II., Friedrich III.).

schwerfällige deutsche Heerwesen sich nicht gewachsen zeigte. Große deutsche Ritterheere, geführt vom Kaiser selbst oder den angesehensten Reichsfürsten, erlitten von rohen Bauernhaufen schmähliche Niederlagen; die siegreichen Hussitenscharen überfluteten endlich die Böhmen benachbarten Lande raubend und verwüstend, und das mächtige Deutsche Reich ließ dies wehrlos geschehen. Erst als die Böhmen, durch Parteiungen gespalten, sich selbst mit Erbitterung bekämpften und aufrieben, gelang es, durch einen Vertrag mit der gemäßigten Partei, den Kalixtinern, die sogen. Prager Kompaktaten (1433), den Aufstand zu dämpfen, so daß Siegmund 1436 den seit Wenzels Tod (1419) erledigten böhmischen Thron besteigen konnte. Trotz dieser beschämenden Erfahrungen waren alle Versuche Siegmunds, des Kurfürsten Friedrich von Brandenburg und Friedrichs des Streitbaren von Sachsen, den verrotteten Reichskörper umzugestalten, vergeblich. Die Wiederaufnahme des kirchlichen Reformwerks durch das Baseler Konzil (1431-48) führte zu einem heftigen Konflikt zwischen Konzil und Papst, während dessen Siegmund 9. Dez. 1437 ohne männliche Nachkommen starb und das luxemburgische Kaiserhaus erlosch.

Durch die Wahl der Kurfürsten gelangte Siegmunds Schwiegersohn und Erbe, Herzog Albrecht von Österreich, König von Böhmen und Ungarn, auf den Thron. Albrecht II. regierte aber nur ein Jahr (1438-39). Ihm folgte sein Vetter Friedrich III., Herzog von Steiermark (1440-93), der gewählt wurde, obwohl oder gerade weil man seine Unfähigkeit kannte. In der That ist Friedrichs Regierung wie die längste, so die ruhmloseste und schädlichste gewesen, die D. gehabt hat. Weder bemühte er sich um die dringend notwendige und von vielen ersehnte Reform der Kirche und des Reichs, noch that er etwas, um die Angriffe auf Deutschlands Sicherheit und Integrität abzuwehren und das Reich vor Verlusten zu hüten. Im Gegenteil beschwor er durch seinen kurzsichtigen Eigennutz selbst die Gefahren herauf. Der Streit zwischen Konzil und Papst war den kirchlichen Reformbestrebungen günstig, und noch bei Lebzeiten Albrechts II. hatten die Kurfürsten durch die Beschlüsse des Reichstags von Mainz (die sogen. Mainzer Acceptation, im März 1439) einen großen Teil der Reformdekrete des Konzils von Basel anerkannt und somit einen Weg betreten, der, energisch weiter verfolgt, zur Bildung einer nationalen deutschen, gegen die Übergriffe des Papsttums geschützten Kirche hätte führen können. Friedrich III. dagegen opferte 1445 gegen das Versprechen der Kaiserkrönung, welche, die letzte in Rom, 1452 stattfand, und gegen Zugeständnisse an seinen schmutzigen Geiz und Eigennutz die Rechte des Reichs auf, indem er ohne Zustimmung desselben das Baseler Konzil preisgab und den römischen Papst Eugen IV. anerkannte. Die Macht des Konzils war damit gebrochen; durch Einzelverhandlungen mit den Fürsten gelang es Eugens Nachfolger Nikolaus V., die deutsche Opposition zu sprengen, und die ganze Reformbewegung endete damit, daß der Kaiser 1448 mit dem Papst im Namen der deutschen Nation die Wiener oder Aschaffenburger Konkordate abschloß, in welchen dem römischen Stuhl alles das wieder zurückgegeben wurde, was durch die Beschlüsse von Basel hatte abgestellt werden sollen, während die von der Kurie gemachten Konzessionen illusorisch blieben.

Ebenso verliefen alle Verhandlungen auf den Reichstagen über Herstellung des Landfriedens u. Reform der Reichswehrverfassung infolge von Friedrichs Gleichgültigkeit resultatlos. Die Fürsten suchten die finanziellen Lasten der Reform möglichst auf die allerdings hierin leistungsfähigen Städte abzuwälzen; diese widersetzten sich daher aus nicht unberechtigtem Mißtrauen jeder Änderung des bestehenden Zustandes. Unthätig und teilnahmlos sah der Kaiser den zerstörenden territorialen Kämpfen zu, welche D. spalteten. In Sachsen wütete 1445-50 der Bruderkrieg zwischen Kurfürst Friedrich dem Sanftmütigen und Herzog Wilhelm; in Westfalen entspann sich die sogen. Soester Fehde (1444-49) zwischen Erzbischof Dietrich von Köln und der Stadt Soest, in welche eine große Anzahl andrer Reichsstände, wie Münster, Kleve u. a., verwickelt wurden; in Franken und Schwaben kämpfte der streitbare Markgraf Albrecht Achilles erst an der Spitze der Fürsten und Grafen gegen die Städte, vor allen gegen das mächtige Nürnberg, dann gegen die bayrischen und pfälzischen Wittelsbacher, welche wieder untereinander in fortwährender Fehde lagen. Währenddessen ging im Nordosten der preußische Ordensstaat dem Deutschtum verloren, indem der Orden, durch die Empörung der Landstände geschwächt, den Polen, von denen er 1410 bei Tannenberg schon einmal besiegt worden war, 1455-66 völlig erlag und im Thorner Frieden ganz Westpreußen abtreten, Ostpreußen aber von der polnischen Krone zu Lehen nehmen mußte. Im Südosten trieb Friedrich durch seine Bemühungen, die böhmische und die ungarische Krone an sich zu reißen, diese beiden Völker in einen feindlichen Gegensatz zu D. Beide wählten sich nationale Könige, die Böhmen Georg Podiebrad, die Ungarn Matthias Corvinus. Ersterer benutzte seinen Einfluß im Reich, um alle kirchlichen und politischen Reformpläne zu durchkreuzen; Matthias wurde durch Friedrichs fortgesetzte Versuche, ihn zu stürzen, genötigt, seine Waffen gegen ihn zu kehren, und konnte sich nicht mit ganzer Kraft den Türken entgegenstellen, welche seit der Eroberung Konstantinopels (1453) Ungarn immer mehr bedrängten und 1469 zuerst die Grenzen Deutschlands überschritten. Der Kaiser ward endlich von Matthias aus seinen Erblanden vertrieben und irrte lange Zeit als ohnmächtiger Flüchtling im Reich umher, Städten und Klöstern ein beschwerlicher Gast. Im Westen begann Friedrich 1443 eine Fehde gegen die Eidgenossen, um die alten habsburgischen Hoheitsrechte wiederzuerobern, und als er allein nichts ausrichtete, rief er die unter dem Namen der Armagnaken (s. d.) bekannten und berüchtigten französischen Söldner unter dem Dauphin zu Hilfe, welche zwar von den tapfern Schweizern bei St. Jakob an der Birs zurückgeworfen wurden, aber nun um so schrecklicher im Elsaß hausten; ja, sogar von der Eroberung dieses Landes war damals unter den Franzosen die Rede.

Auch der Bildung eines völlig unabhängigen Reichs im Westen Deutschlands stellte Friedrich III. nicht das geringste Hindernis in den Weg, obwohl dieselbe wesentlich auf Kosten Deutschlands erfolgte. Die Herzöge von Burgund aus dem französischen Königshaus Valois, welchen Karl IV. bereits Deutsch-Burgund überlassen, hatten im Lauf des 14. und 15. Jahrh. die reichen, blühenden niederländischen Provinzen, das Mündungsgebiet des Rheins, der Maas und der Schelde, erworben. Seit 1467 wurde dies burgundische Reich von Karl dem Kühnen beherrscht, einem der glänzendsten Fürsten seiner Zeit, welcher das ganze linke Rheinufer zu erobern trachtete und durch den Königstitel die völlige Unabhängigkeit zu erringen hoffte. Friedrich III. trat ihm nicht entgegen, als er 1467 Lüttich eroberte, 1473 Gelderland und Zütphen erwarb, 1474 Neuß be-^[folgende Seite]