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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Korrespondenzblatt zum vierten Band.

herstellung der Dinge im Reich und in Böhmen, wie sie vor dem Krieg waren, gezwungen werden sollte; die Aufforderung Oxenstiernas, Wallenstein solle sich der böhmischen Krone bemächtigen, ließ Wallenstein unbeantwortet und brach im September auch diese Verhandlungen ab, um sie später mit Sachsen allein wieder aufzunehmen. An den Kaiser berichtete er über die Besprechungen mit dem sächsischen General Arnim und den schwedischen Agenten, aber nicht wahrheitsgemäß und mit Verschweigung der wesentlichsten Punkte. Unzweifelhaft täuschte also Wallenstein das Vertrauen des Kaisers, der ihm den Oberbefehl über sein Heer übertragen, und gewiß that er es nicht aus Patriotismus, sondern um sich die Belohnung durch ein Kurfürstentum, die der Kaiser ihm kaum noch gewähren konnte, anderweitig zu sichern. Indes ist auf der andern Seite zu bedenken, daß der kaiserliche Hof von den verräterischen Verbindungen Wallensteins keine zuverlässige Kunde hatte, und daß nicht sowohl sein Verrat als sein eigenmächtiges Verhalten als Feldherr den Kaiser veranlaßte, gegen Wallenstein einzuschreiten. Nachdem Wallenstein durch seine bisherigen Kriegserfolge gegen Schweden den Erwartungen nicht entsprochen hatte, welche man bei Wiederübertragung des Oberbefehls an ihn in Wien gehegt, nachdem er alle Versuche des kaiserlichen Hofs, auf die militärischen Operationen bestimmenden Einfluß zu gewinnen, auf Grund des Znaimer Vertrags abgewiesen hatte, schritt der Kaiser dazu, sich entgegen seinem in Znaim klar und unzweideutig gegebenen Versprechen mit den Wallensteinschen Obersten, die dem Feldherrn aus verschiedenen Gründen nicht mehr zuverlässig treu waren, in Verbindung zu setzen und, nachdem er die Mehrzahl für sich gewonnen, Wallenstein zu ächten und dem Tod zu überliefern, worauf gegen seine Familie und sein Andenken noch recht gehässig gehandelt wurde. Das Verfahren des Kaisers wird also durch den Verrat Wallensteins keineswegs gerechtfertigt. Jedenfalls lagen dem geschichtlichen Wallenstein ideale Ziele, wie sie Schiller dem Helden seines Dramas beigelegt hat, durchaus fern, und das Gelingen seiner Pläne würde höchstens die Wiederherstellung der Reformation in Böhmen und Österreich zur Folge gehabt haben, nicht aber den religiösen Frieden im Reich und dessen Befreiung von den Fremden. Wallenstein war ein Feldherr und Staatsmann von glänzenden Gaben, aber kein deutscher Patriot, und sein lebhafter Ehrgeiz nur auf Begründung und Vermehrung seines Besitzes und seiner Macht gerichtet, wobei er List und Gewalt nicht scheute. Wir Deutschen mögen das gewaltthätige Verfahren des Kaisers gegen Wallenstein mißbilligen, haben aber keine Veranlassung, seinen Sturz zu beklagen. Der verdienstvolle Geschichtschreiber des Dreißigjährigen Kriegs, A. Gindely in Prag, wird die bedenklichen Mittel und Wege, wie Wallenstein seinen fürstlichen Grundbesitz erwarb, entgegen einem von dem tschechischen Gymnasialprofessor Bilek verfaßten panegyrischen Werk ("Beiträge zur Geschichte Wallensteins", Prag 1885), wie er in der Münchener "Allgemeinen Zeitung" vom 23. Sept. 1885 ankündigt, in einem demnächst erscheinenden Buch: "Waldstein während seines ersten Generalats", aktenmäßig darlegen.

Walter Böhm in Köln. Mit dem Namen "Franckensteinscher Antrag" bezeichnet man gewöhnlich den von dem ultramontanen bayrischen Reichstagsabgeordneten Freiherrn v. Franckenstein am 20. Juni 1879 in der Zolltarifkommission des Reichstags gestellten Antrag, welcher die Annahme des neuen Zolltarifs durch eine Koalition der konservativen Parteien mit dem Zentrum ermöglichte. Anfangs hatte nämlich der Fürst Bismarck die finanzielle Selbständigkeit des Reichs von den Einzelstaaten als Hauptziel bei der Erhöhung der Tabakssteuer und bei der Einführung des neuen Tarifs hingestellt. Während aber die nationalliberale Partei ihre Zustimmung von konstitutionellen Garantien abhängig machte und selbst dann das Zustandekommen einer Mehrheit zweifelhaft war, ging der Antrag Franckensteins darauf hinaus, den Einzelstaaten "föderative Garantien" zu bieten und zu diesem Zweck die Matrikularbeiträge der Einzelstaaten beizubehalten. Der Antrag ging ursprünglich dahin: 1) daß derjenige Betrag der Zölle und der Tabakssteuer, welcher die Summe von 120 Mill. Mk. in einem Jahr übersteige, den einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe der Bevölkerung, mit welcher sie zu den Matrikularbeiträgen herangezogen würden, zu überweisen sei; 2) daß die Abgabe von Salz und etliche Zölle nur bis 1. April 1881 bewilligt und von da an jährlich im Reichshaushaltsetat festgestellt werden sollten; 3) daß Garantien für Steuererleichterungen in den Einzelstaaten gegeben werden müßten. Das Kompromiß zwischen Zentrum und Konservativen kam nun dahin zu stande, daß ersteres die Punkte 2 und 3 fallen ließ, während die Summe sub 1 auf 130 Mill. Mk. erhöht ward. In dieser Form gelangte der Antrag zur Annahme, und so ward er durch Zustimmung der verbündeten Regierungen zum Gesetz (§ 8 des Zollgesetzes vom 15. Juli 1879) erhoben. Hiernach verbleibt von dem Ertrag der Zölle und der Tabakssteuer dem Reich nur die Summe von 130 Mill. Mk., die Überschüsse fließen matrikularmäßig in die Kassen der Einzelstaaten zurück, die insofern allerdings nach Bismarcks Ausspruch "Kostgänger des Reichs" geworden sind. Dafür haben sie aber auf der andern Seite Matrikularbeiträge an das Reich zu zahlen.

Übrigens werden Sie im Artikel "Deutschland" eine ausführliche Darstellung der Reichsfinanzen finden, auf die wir besonders hinweisen.

W. Walter in Regensburg. Über die Ergebnisse der letzten Volkszählung im Deutschen Reich (1. Dez. 1885) liegen zur Zeit (Mitte März 1886) erst von einigen Staaten "vorläufige" Berichte vor, die sich überdies nur zum Teil auf die Ortsbevölkerung beziehen und auch hier nur eine Auswahl der ansehnlichern Städte berücksichtigen, keineswegs alle. Vorschriftsmäßig sind die ersten Ergebnisse der Zählung von seiten der statistischen Büreaus der Einzelstaaten Anfang Mai 1886 an die Zentralstelle, das kaiserliche Statistische Amt in Berlin, einzureichen, welches sie dann in einem der "Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reichs" veröffentlichen wird. Sie ersehen daraus zur Genüge, daß es eine Unmöglichkeit war, die neuen Zahlen bereits im 4. Band zu geben, dessen Druck obendrein schon vor Monaten stattgefunden hat. Wir hoffen indessen schon vom Schluß des Buchstaben E an die Angaben nach der neuen Zählung durchführen zu können. Die höchst unzuverlässigen Zeitungsnotizen lassen wir durchaus unbeachtet.

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Druck vom Bibliographischen Institut in Leipzig.

(Holzfreies Papier.)