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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ehe

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Ehe (Form der Eheschließung).

werden solle. Ebenso ist das Verbot wiederholt, daß niemand eine neue E. schließen dürfe, bevor seine frühere E. aufgelöst, für ungültig oder für nichtig erklärt sei (s. Bigamie). Was aber den Zwang als Ehehindernis anbetrifft, so gilt eine Eheschließung als erzwungen, wenn jemand durch absolute oder durch psychische Gewalt, z. B. durch ernstliche Drohung eines bedeutenden Übels, zur Eheschließung genötigt worden ist. Dahin gehört aber nicht der sogen. Metus reverentialis, d. h. die Furcht vor dem elterlichen Zorn im Fall einer Weigerung. Entführung war im römischen Recht ein absolut vernichtendes Ehehindernis, heute fällt sie lediglich unter den Gesichtspunkt des Zwanges. Der Irrtum kann ebenfalls einen Grund zur Annullierung der E. abgeben, so Irrtum über die Identität der Person, über Eigenschaften, welche bei Eingehung der E. ausdrücklich zur Bedingung gemacht worden sind, z. B. Virginität, über körperliche, bereits bei Eingehung der E. vorhandene Gebrechen, welche die Zwecke der E. vereiteln, etc. Dagegen ist der Betrug nicht als ein besonderes Ehehindernis zu betrachten, sondern es hängt hier alles von dem Grade des durch den Betrug hervorgerufenen Irrtums ab. Was die Religionsverschiedenheit (disparitas cultus) anlangt, so waren nach gemeinem Kirchenrecht Ehen mit Juden, Heiden oder Mohammedanern unstatthaft. Die moderne Gesetzgebung hat jedoch jene Ehehindernisse, welche aus der Verschiedenheit der Konfessionen entnommen waren, mehr und mehr beseitigt, und das nunmehrige deutsche Reichsgesetz vom 3. Juli 1869 hat alle Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses und somit auch alle derartigen Eheverbote aufgehoben. Schon zuvor war durch Gesetz vom 4. Mai 1868, welches jedoch in Bayern und in Elsaß-Lothringen noch keine Gültigkeit erlangt hat, bestimmt worden, daß Bundesangehörige künftighin zur Eingehung einer E. oder zu der damit verbundenen Gründung eines eignen Haushalts weder des Besitzes noch des Erwerbs der Gemeindeangehörigkeit oder des Einwohnerrechts, noch der Genehmigung seitens der Gemeinde, der Gutsherrschaft oder des Armenverbandes, noch einer obrigkeitlichen Erlaubnis bedürfen sollten. Überhaupt geht die Tendenz der modernen Bevölkerungspolitik auf möglichste Beseitigung polizeilicher Ehebeschränkungen (s. Bevölkerung, S. 854). Was die Dispensation von Ehehindernissen anbelangt, so war früher in der katholischen Kirche für alle vernichtenden Ehehindernisse und für das aufschiebende Ehehindernis der Ketzerei der Papst allein zur Dispensation befugt. In allen übrigen Fällen war der Bischof kompetent. In der evangelischen Kirche erteilen die Dispensation je nach der Wichtigkeit der Fälle der Landesherr oder die hierzu geordneten Behörden. Das oft erwähnte deutsche Reichsgesetz vom 6. Febr. 1875 hat dagegen ausdrücklich verordnet, daß die Befugnis zur Dispensation von Ehehindernissen nur dem Staat zustehen solle. Über die Ausübung dieser Befugnis haben die Landesregierungen zu bestimmen. Ist bei einer ungültigen E. das der Gültigkeit entgegenstehende Ehehindernis einem Ehegatten unbekannt gewesen (Glaubens-, Putativehe, matrimonium putativum), so gilt derselbe insoweit und so lange als rechtmäßiger Ehegatte, und die aus einer solchen Verbindung hervorgegangenen Kinder haben die rechtliche Stellung von ehelichen. Wer übrigens bei Eingehung einer E. dem andern Teil ein gesetzliches Ehehindernis arglistig verschweigt, oder wer den andern Teil zur Eheschließung arglistig mittels einer solchen Täuschung verleitet, welche den Getäuschten berechtigt, die Gültigkeit der E. anzufechten, wird nach dem deutschen Strafgesetzbuch (§ 170), wenn aus einem dieser Gründe die E. aufgelöst worden ist, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Doch tritt die strafrechtliche Verfolgung nur auf Antrag des getäuschten Teils ein.

Form der Eheschließung.

Das römische Recht faßte die Eheschließung wesentlich aus dem Gesichtspunkt eines Vertrags auf; daraus erklärt es sich, daß Hochzeitsgebräuche wohl üblich waren, daß sich mit der Zeit auch der Brauch einer kirchlichen Weihe des Ehebündnisses (hierologia, Kopulation, Trauung) ausbildete, daß aber die Gültigkeit der E. selbst von diesem religiösen Weiheakt keineswegs abhängig war. Ebensowenig war die kirchliche Trauung ursprünglich nach kanonischem Recht zur bürgerlichen Gültigkeit der E. erforderlich; es gehörte dazu lediglich die übereinstimmende Willenserklärung der Verlobten. Daher bezeichnet das kanonische Recht E. und Verlöbnis mit einem und demselben Wort: "Sponsalia" und läßt das Verlöbnis (sponsalia de futuro) schon durch die fleischliche Verbindung der Verlobten von selbst zur E. (sponsalia de praesenti) werden. Indessen waren mit diesem formlosen Abschluß der E. manche Mißstände verbunden, weshalb das tridentinische Konzil (1563) die Gültigkeit der E. von der Konsenserklärung der Brautleute vor dem Pfarrer und vor zwei oder drei Zeugen nach vorgängigem Aufgebot abhängig machte. Hieran sollte sich als angemessene und übliche Form der Eheschließung die kirchliche Trauung anschließen. Auch nach den Satzungen des tridentinischen Konzils ist indessen die Trauung nichts andres und nicht mehr als ein kirchlicher Weiheakt. Das Wesentliche ist die Konsenserklärung. Zuständig ist zu deren Entgegennahme der Pfarrer des Wohnorts der Brautleute oder ein von diesem durch einen Entlaßschein (dimissoriale) hierzu ermächtigter Geistlicher. Zu gewissen Zeiten, namentlich zur Advents- und Fastenzeit (geschlossene Zeit), sollen keine kirchlichen Trauungen vorgenommen werden; doch ist Dispensation statthaft. Das protestantische Eherecht schloß sich ursprünglich dem kanonischen Recht an. Es bildete sich jedoch bald der Grundsatz aus, daß die priesterliche Einsegnung der E. zu einer gültigen Eheschließung erforderlich sei. Die Unterlassung des auch in der protestantischen Kirche vorgeschriebenen Aufgebots (s. d.) dagegen machte die gleichwohl abgeschlossene E. nicht zu einer ungültigen. Erst in neuerer Zeit brach sich mehr und mehr die Auffassung Bahn, daß die bürgerliche Gültigkeit der E. von dem religiösen Akt unabhängig sein müsse. Diese Auffassung entspricht dem unser heutiges öffentliches Recht beherrschenden Grundsatz der Religions- und Gewissensfreiheit. Sie findet ihre Anerkennung in dem Rechtsinstitut der Zivilehe oder Ziviltrauung, d. h. in der Konsenserklärung der Brautleute vor einem staatlichen Beamten (Standesbeamten), wodurch die E. zu einer bürgerlich vollwirksamen wird. Schon in der Mitte des 17. Jahrh. führte in Holland die religiöse Duldsamkeit zu einer gesetzlichen Anerkennung der bürgerlichen Eheschließung, und zu derselben Zeit wurde in England, allerdings nur vorübergehend, die Zivilehe eingeführt. Die französische Revolution führte in Frankreich die obligatorische Zivilehe ein, entsprechend dem Grundsatz der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Daß nämlich der Staat die bürgerliche Wirksamkeit der Eheschließung und die Form der letztern durch seine Gesetzgebung