Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Eisenbahn'
                    
                        Die Gesamtheit der Eisenbahnlinien, welche sich über ein Land erstrecken, bezeichnet man als dessen 
                        Eisenbahnnetz. Es liegt auf der Hand, daß es dem Vorteil des 
                        Gesamtwohlseins eines Staats entspricht, wenn alle Teile des Landes auch in Hinsicht auf das wichtigste 
                        Verkehrsmittel gleichberechtigt dastehen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat man in mehreren Ländern, 
                        vornehmlich in Frankreich, versucht, von staatlicher Seite ein Eisenbahnnetz feststellen zu lassen. 
                        Der Umstand, ob eine vorgeschriebene Eisenbahnlinie in dieses Netz paßt oder nicht, gibt bei der 
                        Entscheidung über die Konzessionserteilung wesentlich den Ausschlag. Indessen läßt sich das 
                        unnachgiebige Festhalten an dem im voraus aufgestellten Plan vom volkswirtschaftlichen Standpunkt 
                        aus nicht rechtfertigen. Vielmehr erscheint es zweckentsprechender, die Ausbauung des Eisenbahnnetzes 
                        dem Bedürfnis selbst zu überlassen und, wenn man sich dennoch zur voraus gültigen Aufstellung eines 
                        Eisenbahnnetzes entschließen sollte, dasselbe nur so lange bei der Weiterentwickelung des Eisenbahnsystems 
                        eines Landes als maßgebend zu betrachten, als die Verhältnisse noch maßgebend sind, welche bei der 
                        Aufstellung des Netzes leiteten. Aber es ist selbst unter der Voraussetzung der Kenntnis dieser 
                        Verhältnisse (und diese Voraussetzung trifft nirgends ganz zu) von der Wissenschaft noch nicht gezeigt 
                        worden, nach welchen Grundsätzen, abgesehen von strategischen Gesichtspunkten, das zweckentsprechendste 
                        Eisenbahnnetz eines Landes aufgestellt werden müßte. Denn es kommen nicht nur die Bevölkerungsmenge 
                        eines jeden Landstrichs, sondern auch deren Industrieentwickelung, die Beziehungen der verschiedenen 
                        Bevölkerungen und Industrien eines Landes zu einander, die Zukunft der verschiedenen Industrien, die 
                        für dieselben nötigen Rohstoffe, die geographische Lage etc. in Betracht. Es wäre daher nur ein Zufall, 
                        gelänge es einer Regierung, das möglichst beste System aufzustellen. Wäre eine solche Leistung aber 
                        auch für ein gewisses Land und in einem bestimmten Augenblick möglich, so ist doch zu berücksichtigen, 
                        daß die zur Zeit maßgebenden Verhältnisse sich mit jedem Augenblick ändern können. Neue Erfindungen 
                        modifizieren die wirtschaftlichen Bedürfnisse eines Landes in so hohem Grade, daß die in früherer Zeit 
                        zu ihrer Befriedigung in Aussicht genommenen Mittel nicht mehr zureichend erscheinen. Überdies ändert 
                        jede neue Eisenbahn selbst die wirtschaftlichen Bedürfnisse eines Landes. Aus alledem erhellt, daß die 
                        Aufstellung eines Eisenbahnnetzes a priori nicht der richtige Weg 
                        ist, um das Eisenbahnbedürfnis eines Landes zu befriedigen. Wählte man dieses System dennoch, wie das 
                        z. B. in Frankreich geschah, so erfolgte eine solche Wahl im Einklang mit zentralistischen Bestrebungen 
                        auf allen andern wirtschaftlichen Gebieten, nicht aber in Gemäßheit wirtschaftlich richtiger Grundsätze. 
                        Das beste Eisenbahnnetz wird vielmehr das sein, welches sich aus den allmählich hervortretenden 
                        Verkehrsbedürfnissen eines Landes heraus entwickelt und in seiner Entwickelung nicht durch einseitige 
                        Einwirkungen in bestimmte Formen gezwängt wird.
                    
                    
                        Hat man sich über die Herstellung einer Eisenbahnlinie für ein bestimmtes Verkehrsgebiet schlüssig gemacht, 
                        so sind zunächst Vorarbeiten zur genauen Erkundung der für die anzulegende 
                        Bahn in Betracht kommenden Verhältnisse auszuführen. Diese Vorarbeiten bezwecken die Anfertigung eines genauen 
                        Situations- und Höhenplans der Gegend, durch welche die Eisenbahn möglicherweise führen kann. In diesem Plan 
                        stellt der mit der technischen Oberleitung des 
                         ↔ 
                        Unternehmens beauftragte Ingenieur, bez. Beamte mit Berücksichtigung des Zwecks der Eisenbahnanlage deren 
                        Trace mit den nach Maßgabe des vorliegenden Terrains günstigsten Steigungs- und Krümmungsverhältnissen, bei 
                        möglichster Ausgleichung der Ab- und Auftragmassen und Kostenersparnis beim Grunderwerb, fest. Sind die so 
                        bearbeiteten Pläne und Anschläge von seiten der bauausführenden Gesellschaft oder Behörde genehmigt worden, 
                        so werden sie den betreffenden Landesregierungen vorgelegt, die sie teils vom baupolizeilichen, teils vom 
                        allgemein technischen Standpunkt aus durch ihre technischen Organe prüfen, bez. modifizieren lassen. Erst 
                        dann erfolgt die definitive Absteckung der Linie auf dem Terrain sowie 
                        die Festlegung ihrer Scheitelpunkte auf der Karte, in welche nunmehr die 
                        geraden Strecken und Kurven samt der 
                        Bahnbreite eingetragen werden können. Um das zu der Eisenbahn erforderliche Terrain sowie die bei der 
                        Ausführung zu bewegenden Erdmassen bestimmen zu können, wird im Anschluß an die abgesteckte Linie ein 
                        Längenprofil samt allen erforderlichen Querprofilen 
                        aufgenommen, in welch letztere mit Bezug auf die projektierte Bahnhöhe 
                        sämtliche Auf- und Abträge samt Gräben, Banketten, Schutzstreifen etc. eingetragen werden. Hieran reiht sich 
                        als nächstes Geschäft die Vermessung des erforderlichen Geländes und die auf Grund derselben nötige 
                        Expropriation oder Erwerbung von Grund und Boden. In den meisten Fällen 
                        und am zweckmäßigsten erfolgt dieselbe durch freien Kauf und Übereinkunft, und es sollte nur, wenn eine solche 
                        nicht zu stande kommt, auf Grund eines Expropriationsgesetzes von der nötigen Fläche Besitz ergriffen werden; 
                        gewöhnlich sorgen besonders dazu verpflichtete Sachverständige aller Art dafür, daß die für ein expropriiertes 
                        Grundstück zu zahlende Entschädigung allen vernünftigen Ansprüchen seitens des Besitzers entspreche. Für die 
                        allgemeinen Erfordernisse der topographischen Gestaltung der Haupteisenbahnen bestehen im Gebiet des Vereins 
                        deutscher Eisenbahnverwaltungen feste und einheitliche Regeln, welche in den "Technischen Vereinbarungen des 
                        Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen über den Bau und die Betriebseinrichtungen der E." niedergelegt sind. 
                        Im Deutschen Reich sind für die Konstruktionsverhältnisse der E. die in Gemäßheit eines Bundesratsbeschlusses 
                        vom 26. Nov. 1885 auf Grund der Art. 42 und 43 der Reichsverfassung vom Reichskanzler festgesetzten und durch 
                        eine Bekanntmachung vom 30. Nov. 1885 veröffentlichten "Normen für die Konstruktion und Ausrüstung der E. Deutschlands" 
                        maßgebend.
                    
                    
                        Systemfrage: Staats- oder Privatbahnen.
                    
                    
                        Die Frage, ob der Staat als Bauunternehmer der E. aufzutreten habe, oder ob der Bau und Betrieb der Privatinitiative 
                        zu überlassen sei, hat seit Einführung des Eisenbahnwesens im Vordergrund des öffentlichen Interesses gestanden. 
                        Es ist aber einleuchtend, daß dasjenige System den Vorzug verdient, welches das unmittelbare Bedürfnis der Kommunikation 
                        und des Transports, dem das Eisenbahnwesen dient, am besten befriedigt. Hieraus ergibt sich die Relativität der 
                        einzelnen Beweisgründe für und gegen Staats- und Privatbahnen: es läßt sich aus diesen Beweisgründen allein ein 
                        allgemein gültiges Gesetz nicht einmal für ein bestimmtes Land in bestimmter Zeit gewinnen, Licht und Schatten sind 
                        im einzelnen mannigfach verschieden. Sicherlich ist es ein Irrtum, zu meinen, wie es von einseitigen Parteigängern 
                        oft geschieht, gewisse Übelstände würden mit dem Wechsel des Sy-
                    
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 436.