Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Eisenbahn'
Anmerkung: Fortsetzung von [Systemfrage: Staats- oder Privatbahnen.]
stems ohne weiteres verschwinden. Denn dieselben liegen oft tiefer und hängen mit dem Umstand, ob die
Bahnen eines Landes Staats- oder Privatbahnen sind, oft wenig oder gar nicht zusammen. Die wirtschaftlichen
Gesetze, welchen die Privatunternehmungen und Privatwirtschaften im allgemeinen folgen, lassen sich auf
die Eisenbahnunternehmungen nicht ohne weiteres anwenden, und so ist auch die Bezeichnung "Privatbahnen"
nicht durchaus sinnentsprechend. Die Privatbahnen sind nicht eigentliche Privatunternehmungen im
gewöhnlichen Sinn, d. h. im Eigentum und in der Verwaltung eines oder weniger Privaten, sondern sie
stehen im Besitz großer kapitalistischer Genossenschaften und Erwerbsgesellschaften und werden von diesen
verwaltet. Die Fragestellung ist also nicht: ob Staats- oder Privatbahnen, sondern ob
Staats- oder Aktiengesellschaftsbahnen.
Wie sich hiernach der Entwickelungsgang der E. bestimmt hat, ist wesentlich durch die Besonderheit der
Zustände und Verhältnisse des einzelnen Landes, durch die Eigentümlichkeiten des Nationalcharakters des
Volkes und seiner staatlichen Institutionen bestimmt gewesen. In England
und Nordamerika haben die gesamten Verhältnisse des staatlichen Lehens
der ausschließlichen Privatinitiative im Eisenbahnwesen Raum gegeben. Die geographische Lage von England und
Nordamerika läßt die Rücksichten der Landesverteidigung bei Verwaltung und Betrieb der E. weit zurücktreten
gegenüber den Rücksichten des Verkehrs, das kaufmännische Element ist in beiden Ländern das überwiegende,
die größere Selbständigkeit und Aktionsfähigkeit der Einzelnen hat der Privatthätigkeit den weitesten
Spielraum gelassen und die Intervention des Staats überflüssig gemacht. Nichtsdestoweniger ist bei der
zunehmenden Verdichtung des Verkehrsnetzes, welche manche Übelstände des Privatbetriebs bloßstellte, dieser
Betrieb auch hier in neuerer Zeit mancher Anfechtung ausgesetzt. In den kontinentalen Staaten haben die
veränderten Verhältnisse: die geringere Leistungsfähigkeit des Einzelnen und die dadurch in größerm Maß
bedingte Fürsorge des Staats auf allen Gebieten der öffentlichen Wohlfahrtspflege, vielfach von vornherein
zu gunsten des reinen Staatsbetriebs den Ausschlag gegeben. Daneben hat sich aber auch in vielen Staaten
der Privatbetrieb im Eisenbahnwesen kräftig entwickelt und für die Volkswohlfahrt durch Überziehung des
Landes mit zahlreichen Eisenbahnlinien segensreiche Erfolge erzielt. Das Nebeneinanderbestehen des Staats-
neben dem Privatbetrieb im Eisenbahnwesen, wie es in neuerer Zeit fast in allen europäischen Staaten
stattfindet, pflegt man als "gemischtes System" zu bezeichnen. Die
neueste Entwickelung drängt aber hier immer mehr von dem Übergang aus dem gemischten zu dem reinen
Staatsbahnsystem hin. Ausschlaggebend ist hierbei neben den ökonomischen Vorteilen, welche sich aus der
Zentralisierung des Verwaltungswesens und der Beseitigung der den Eisenbahnverkehr verteuernden Zersplitterung
des Betriebs ergeben, der Gesichtspunkt, daß die Summe der materiellen Interessen und daher auch die soziale
Macht, welche das Eisenbahnwesen in sich vereinigt, zu groß ist, als daß die bürgerliche Gesellschaft diese
Institution den Händen einiger Aktiengesellschaften überlassen kann, deren Tendenz naturgemäß darauf hinausgeht,
die Rücksichten auf Ausbeutung des Betriebs im Interesse der Unternehmer in den Vordergrund zu stellen und
daneben die Rücksichten auf das Gesamtinteresse zu vernachlässigen. Man stand daher meist vor dem Dilemma:
ein vom Staat
↔
beaufsichtigtes und geregeltes Privatbahnwesen, dem im Gesamtinteresse wenig Selbständigkeit, ein ungemein
wertvolles Eigentumsobjekt, bei dem aber dem Eigentümer wenig Rechte bleiben durften, oder ein reines
Staatsbahnwesen, bei welchem diese Konflikte zwischen dem Privatinteresse und dem öffentlichen Interesse
fortfallen. In Deutschland hatten Hannover, Württemberg und Baden frühzeitig
das reine Staatsbahnsystem, Bayern und Sachsen das gemischte System angenommen, während in Preußen anfänglich
das Privatbahnwesen überwog. Bayern und Sachsen gingen in den Jahren 1869-76 ebenfalls zum reinen Staatsbahnsystem
über. In Preußen begann der Staat zuerst 1850 für eigne Rechnung E. zu bauen, als die Privatinitiative zur
Fortführung des Eisenbahnnetzes in die östlichen Provinzen den Dienst versagte. Nach drei Jahrzehnten des
gemischten Systems, in welchem der Staatsbahnbesitz immer mehr die Oberhand gewann, wurde 1880 der prinzipielle
Entschluß zur Annahme des reinen Staatsbahnsystems gezeitigt, welches nach dem Übergang der wenigen noch in den
Händen größerer Gesellschaften vereinigten E. inzwischen für alle Hauptverkehrslinien seinen Abschluß gefunden
hat. Die Staatseisenbahnpolitik hat namentlich in Preußen große Erfolge erzielt. Die Tarife wurden ermäßigt
und für den Verkehr umfassende Erleichterungen herbeigeführt. Ungeachtet dessen steigerten sich infolge der
Ersparnisse, welche durch die Einheitlichkeit der Verwaltung erzielt wurden, die Erträgnisse derart, daß durch
dieselben nicht nur die gesamte Staatsschuld Preußens verzinst werden konnte, sondern 1884 nach erfolgter
Verzinsung dieser Schuld noch ein Reinertrag von 35,200,000 Mk. abgeführt werden konnte.
Konzessionierung.
Bei dem in vorstehendem erörterten Charakter der für den allgemeinen Verkehr dienenden E. als öffentlicher
Anstalt, welche den Bedürfnissen des Verkehrs gemäß gegründet und verwaltet wird, haben sich alle Regierungen,
in deren Landen der Privatbahnbau überhaupt für zulässig erachtet ist, stets und überall, ohne Rücksicht auf
die sonst in ihrer Gesetzgebung über Gewerbefreiheit geltenden Grundsätze, für Herstellung und Betrieb einer E.
spezielle Beeinflussung vorbehalten. Das deshalb von der beteiligten Staatsregierung zu erwirkende Zugeständnis
für die Herstellung und den Betrieb einer Eisenbahn nennt man eine Konzession. Der Natur der Sache nach geht
ein so bedeutenden Kapitalaufwand beanspruchendes Unternehmen nur schrittweise vorwärts. Die Unternehmer werden
daher zunächst nur um die Erlaubnis dafür einkommen, die notwendigen Vorarbeiten, die sogen. Tracierung und
Vermessung, vornehmen zu dürfen. Diese erste Konzession ist die Vorkonzession;
sie begreift in der Regel die vorbereitenden Maßregeln für die Bildung der Gesellschaft selbst in sich, durch
welche das Unternehmen ausgeführt werden soll. Sie erlischt mit dem Ablauf des vorgeschriebenen Zeitraums und
bei Nichterfüllung der daran geknüpften Bedingungen. Den nächsten Schritt bildet der Akt, durch welchen die
Gesellschaft von der Regierung zur Anlage der Bahn selbst berechtigt wird, die
eigentliche Konzession. Diese setzt voraus: 1) den Nachweis der erlangten
Vor- oder Projektierungskonzession; 2) die Darlegung der Vorteile der projektierten Bahn für das öffentliche
Interesse; 3) den gehörig ausgearbeiteten Plan des ganzen Unternehmens sowie das Projekt nebst Kostenanschlag
und Zeitangabe für den Beginn und die Vollendung des Baues; 4) die Darlegung der Art und Weise der Beschaffung
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 437.