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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Elfenbeinschnitzerei

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Elfenbeinschnitzerei.

ten dieser Epoche. Mächtig war dagegen der Aufschwung der Elfenbeinskulptur im 14. und 15. Jahrh. Während man sich früher mit Altärchen für Haus oder Reise begnügt hatte, setzte man jetzt ganze große Altarwerke aus einzelnen Platten, Figuren, Architekturteilen zusammen. In größerm Umfang als bisher aber diente die E. jetzt dem Profangebrauch und ward zu Luxusgegenständen, namentlich Schmuckkästchen für Damen und Ähnlichem, verwendet, dem auch die Darstellungen der Reliefs (Liebesszenen, Allegorien) entsprechen. Die Ausführung dieser Arbeiten zeugt von tüchtigem handwerksmäßigen Können, doch ist das Niveau dieser Arbeiten kein hohes. Die Künstler arbeiteten nach einem gewissen Vorrat von Entwürfen, welche fort und fort kopiert wurden, so daß gewisse Darstellungen in zahlreichen Wiederholungen auf uns gekommen sind. Die mittelalterlichen Elfenbeinschnitzereien sind so ziemlich in allen Kulturländern gefertigt worden; namentlich aber verdankt man Frankreich eine große Anzahl der überaus reizvollen Altärchen, welche, aus der Spitze des Elefantenzahns geschnitten, in der Mitte eine stehende Madonna, in den zwei oder vier Flügeln biblische Darstellungen zeigen. Überhaupt ist die Form des Zahns maßgebend für die Gestaltung der daraus geschnitzten Objekte, da es galt, sowenig wie möglich von dem kostbaren Material wegzuschneiden. Die seitliche Neigung der Madonnenstatuen hat durchaus ihren Grund in der Form des Zahns und ist dann später gewissermaßen in Mode gekommen, so daß diese Stellung auch an Figuren aus anderm Material häufig genug angetroffen wird. Auch Form und Größe der runden Schachteln, der Platten etc. richten sich im frühern Mittelalter nach dem Durchmesser der Zähne; später kommt man dazu, einzelne Teile zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Gegen Ende des 15. Jahrh. tritt die E. besonders in Venedig hervor, wo in Verbindung mit dem Holz- und Elfenbeinmosaik geschnitzte Platten zu kleinen Kassetten verarbeitet werden. Auch Sättel, Satteltaschen etc. mit durchbrochener E. werden hier gefertigt. Mit der Entdeckung des Seewegs nach Indien und der dadurch vermehrten Zufuhr von Elfenbein beginnt eine neue Epoche in der Geschichte der E. Die Herstellung kirchlicher Geräte tritt gegen die Profanarbeiten zurück. Im 16. Jahrh. kommen die Elfenbeinschnitzereien nur vereinzelt vor, meist ganz vortreffliche, meisterhafte Arbeiten von höchster Vollendung, namentlich als flache Reliefs für Brettsteine, Schachfiguren, Figuren und Reliefs allerlei Art. Diese Arbeiten werden vielfach mit den Namen großer Künstler verknüpft: Michelangelo, Benvenuto Cellini, Albrecht Dürer u. a. sollen Elfenbeinschnitzereien gefertigt haben. Vor einer strengen Kritik halten diese Bezeichnungen jedoch nicht Stich.

Die eigentliche Blüte der E. fällt in das 17. Jahrh. Die E. wird Modesache, eine Anzahl Fürsten treten selbst als ausübende Künstler auf diesem Gebiet auf oder ziehen geschickte Drechsler an ihren Hof. Letzterm Umstand verdanken die großen Sammlungen in Dresden, Gotha, Kassel, Schwerin, München u. a. O. ihre Entstehung. Als solche die E. pflegende Fürsten sind zu nennen: Kaiser Rudolf II., Ferdinand III., die Kurfürsten Moritz und August I. von Sachsen, Georg Wilhelm von Brandenburg, Maximilian und Ferdinand von Bayern, Johann Wilhelm von der Pfalz, Landgraf Ernst Ludwig von Hessen. Die Produkte jener Zeit sind überaus mannigfaltig: Tafelaufsätze von mächtiger Größe mit Figuren, große Prachtgefäße aller Art, Schiffsmodelle, Reliefs, Figuren etc. Sehr beliebt und in Mengen erhalten sind die Prachtgefäße, welche, der Form des Zahns folgend, meist als cylindrische Humpen geformt sind. Die Darstellungen enthalten durchweg menschliche Figuren in voller Höhe des Gefäßes, wobei die Ähnlichkeit der Struktur und der Transparenz des Elfenbeins mit der menschlichen Haut meist zur Darstellung nackter Körper benutzt ist; so sind Amazonen und Heroenschlachten, Musendarstellungen und bacchische Szenen besonders beliebt. Diese Elfenbeinschnitzereien, in reich getriebenes und vergoldetes Silber meist in Augsburg gefaßt, dienten lediglich als Ziergeräte. Große Schüsseln mit Kannen, aus Holz oder Horn, mit skulptierten Elfenbeinplatten belegt, in Augsburg verfertigt, dienten namentlich in Jagdschlössern zur Ausschmückung der Büffette. Wohl das künstlerisch bedeutendste Stück jener Zeit ist der Münzschrank der Herzogin Elisabeth von Bayern, von Chr. Angermeier 1618-24 gefertigt (in München). Das 18. Jahrh. kehrt wiederum zu Gebrauchsgeräten aus Elfenbein zurück: Stockgriffe, Tabaksraspeln und -Dosen, Griffe zu Messern und Gabeln bilden gegen die Ziergeräte jetzt die Mehrzahl. Daneben artet die ganze Kunst allerdings zum Teil in Spielereien (Totenköpfe) aus, namentlich nach Erfindung der sogen. Passigdrehbank, welche gestattete, die mannigfachsten Schweifungen, ja selbst viereckige Büchsen etc. herzustellen. Diese Drechselkunst hatte ihren Sitz in Nürnberg, wo die Familie Zick eine große Berühmtheit durch ihre Arbeiten errang; einzelne Glieder derselben hielten sich vorübergehend an den Höfen von Prag, Weimar, Halle, Wien auf und verbreiteten so ihre Kunst. Peter Zick, der Begründer der Familie, starb 1632. Sein Sohn Lorenz galt als der Geschickteste in seiner Kunst. Besonders berühmt waren seine "Conterfaitbüchsen", hohle, geschlossene Gefäße mit Inhalt, alles aus Einem Stück Elfenbein gedreht und geschnitten. Er starb 1666. Stephan Zick (gest. 1715) verfertigte namentlich "Dreifaltigkeitsringe", Kunstaugen und Kunstohren, d. h. anatomisch zusammengesetzte, zerlegbare Augen und Ohren. Außer den eben genannten Elfenbeinschnitzereien mögen hier noch angeführt werden: Egidius Lobenigke in Dresden (16. Jahrh.), Melchior Barthel daselbst (1625-72), Balthasar Permoser in Florenz, Berlin und Dresden (1651-1732). Ein Spezialist war Simon Troger (gest. 1769) in München, von dem die bekannten Bettlerfiguren, aber auch andre Arbeiten aus Holz und Elfenbein stammen, die in den deutschen Sammlungen nicht selten sind; ferner Leo Pronner in Nürnberg, welcher Kuriositäten aller Art schnitt (17. Jahrh.). Mit dem Rokoko ging auch die Kunst der E. zu Grunde, zumal das Interesse daran erlosch. Im ersten Drittel dieses Jahrhunderts lebte in Meiningen Leberecht Wilhelm Schulze, welcher durch mannigfache gute Arbeiten, Kirchengeräte sowohl als Gefäße und Schnitzereien zu profanem Gebrauch, sich bekannt gemacht hat. Mit dem Wiederaufleben der Kleinkunst hatte sich auch die E. wieder gehoben; in Frankreich sowohl als in Deutschland hat man es zu ganz ansehnlichen Leistungen darin gebracht. Beliebt sind in neuester Zeit Arbeiten aus ungereinigtem Elfenbein, d. h. aus Zahnstücken, deren Äußeres nicht geglättet und gebleicht ist, so daß es eine gelbe Farbe zeigt, Versuche, die vom ästhetischen Standpunkt durchaus nicht zu billigen sind. Im ganzen scheint heute der Geschmack an E. nicht verbreitet zu sein.

Die ältesten Elfenbeinschnitzereien des Orients sind oben erwähnt; Arbeiten, welche nach dem Mittelalter entstanden sind, kommen äußerst selten vor. Mit E. versehene Waffen waren stets im Orient beliebt, auch