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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: England

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England (Lokalverwaltung).

Grafschaft kommt, 3) auf Entlassung oder Bestrafung der in Untersuchungshaft befindlichen oder gegen Kaution befreiten Angeklagten (gaol delivery), 4) auf Erledigung aller Anklagen wegen Hochverrats oder sonstiger Verbrechen (oyer and terminer) und 5) auf sämtliche Friedensrichtern eigne Befugnisse. Im Court of Appeal führt der Lordkanzler den Vorsitz. Die 32 bei diesen obern Gerichtshöfen angestellten Richter beziehen einen Gehalt von 5000-10,000 Pfd. Sterl. Die niedere Gerichtsbarkeit liegt in den Händen von Friedensrichtern (justices of the peace) und besoldeten Richtern. Die Friedensrichter werden auf Vorschlag der Lord-Lieutenants (s. unten) vom Lordkanzler ernannt. In sogen. kleinen Sitzungen (petty sessions) leiten sie Kriminalsachen ein und bestrafen leichte Vergehen summarisch, in Vierteljahrssitzungen (quarter sessions) urteilen sie über schwerere Verbrechen mit Zuziehung von Geschwornen. In Munizipalstädten genießen der Bürgermeister und gewisse andre Personen gewöhnlich die Befugnisse von Friedensrichtern; doch stehen den Polizeigerichten in der Regel besoldete Richter (stipendiary magistrates) vor, und bei den Vierteljahrssitzungen führt ein besoldeter Recorder den Vorsitz. Der für jede Grafschaft von der Krone ernannte High Sheriff sorgt für Ausführung der Anweisungen (writs) und Vollstreckung des Urteils der obern Gerichtshöfe, leitet die Parlamentswahlen und bestellt die Geschwornen für die Assisen und Vierteljahrssitzungen. In der Regel wird er in seinem Amt von einem besoldeten Deputy vertreten. Endlich muß in Verbindung mit der Rechtspflege noch des Coroner Erwähnung geschehen, welcher von den Grundbesitzern erwählt wird, und dessen Pflicht es ist, mit Beiziehung von Geschwornen bei allen ungewöhnlichen Todesfällen eine Untersuchung anzustellen und Vorkehrung zur Bestrafung etwaniger Schuldigen zutreffen. Die 1847 errichteten 60 sogen. County Courts erstrecken ihre Thätigkeit mit wenigen Ausnahmen auf alle Gebiete des Zivilrechts. Jedem Gerichtshof ist ein Bezirk zugewiesen, innerhalb dessen der Richter periodische Rundreisen macht.

Was die Kriminaljustiz betrifft, so stand noch vor wenigen Jahren auf gewöhnlichem Diebstahl die Todesstrafe, und 1813-34 wurden 23,542 Menschen zum Tod verurteilt und 1498 wirklich hingerichtet. Auch gegenwärtig sind zwar noch mehrere Verbrechen mit Todesstrafe bedroht, das Urteil wird jedoch nur bei Mord vollzogen und selbst dann nur, wenn keine mildernden Umstände vorhanden sind. Die andern Strafen sind Strafarbeit (penal servitude) in einem der elf vom Staat unterhaltenen convict-prisons, Gefängnis mit oder ohne harte Arbeit, Peitschenhiebe bei jugendlichen Verbrechern und Straßenräubern (garrotters), Erlegung von Strafgeldern und Stellung von Bürgen. Jugendliche Verbrecher finden in Besserungsanstalten (reformatories), verwahrloste Kinder in Arbeitsschulen (industrial schools) Gelegenheit, einen Beruf zu lernen. Die Transportation nach überseeischen Besitzungen ist seit 1858 abgeschafft. Im J. 1883-84 wurden in den obern Zivilgerichtshöfen 63,364 Fälle entschieden, in den County Courts 1,002,948 Klagen eingeleitet. Nicht weniger als 588,710 Personen wurden summarisch wegen Vergehen und Übertretungen verurteilt (darunter 191,905 für Trunkenheit, 82,497 für Injurien). Vor die höhern Gerichtshöfe wurden verwiesen 14,407 Personen und 11,134 verurteilt. Die Gefängnisse waren durchschnittlich von 27,555 Menschen bevölkert, während 16,442 Kinder in Besserungsanstalten eine Unterkunft gefunden hatten. Die Anzahl der Verbrechen zeigt eine erfreuliche stete Abnahme.

Lokalverwaltung.

Die Erhaltung des öffentlichen Friedens, Armenpflege, Straßenbau, Beleuchtung, Regulierung der Märkte und öffentlichen Fuhrwerke, Erhaltung der öffentlichen Gesundheit und manche andre Angelegenheit, welche auf dem Kontinent häufig durch Beamte der Zentralregierung besorgt wird, liegen in E. in den Händen der Lokalbehörden. Gleichzeitig aber sind diese Behörden so zahlreich und die von ihnen beherrschten Gebiete so mannigfaltig, daß es selbst dem Einheimischen schwer fällt, sich unter ihnen herauszufinden. Die Zahl der Lokalbehörden, die selbständig Buch und Rechnung führen und die unter Aufsicht eines 1871 geschaffenen Local government Board stehen, beläuft sich auf 13,329. Darunter sind 63 Grafschaftsbehörden, 647 Armenverbände (s. oben), 247 Munizipalräte, 1360 städtische und ländliche Gemeindevorstände (Urban and Rural Sanitary Authorities, als Local Boards etc.), 6890 Verwaltungen von Landwegen, 882 Vorstände von Friedhöfen, 2115 Schulräte etc. Dabei sind nicht einmal mitgezählt die 715 kleinen Gerichtsbezirke, die 14,926 einzelnen Gemeinden, die 2873 Zivilstandsbezirke (registrars districts etc.) und manche andre Verwaltungsgebiete. Da diesem Wirrwarr durch das 1885 gewählte Parlament ein Ende gemacht werden soll, beschränken wir uns auf einige Angaben, das Wesentliche betreffend. Die Grafschaft (county oder shire) bildet den größten Verwaltungsbezirk. Der oberste Beamte derselben ist der von der Krone auf Lebenszeit ernannte Lord-Lieutenant, in der Regel einer der angesehensten Grundbesitzer. Früher war seine Gewalt eine sehr ausgedehnte; jetzt beschränkt sie sich auf die Empfehlung geeigneter Personen zur Ernennung zu Deputy-Lieutenants, zu Friedensrichtern und Milizoffizieren und auf die Leitung der Ballotage im Fall eines allgemeinen Aufgebots der Miliz. Außer den Lord-Lieutenants der Grafschaften gibt es einen Lord-Lieutenant der Tower Hamlets, welcher zugleich Gouverneur des Towers ist, ferner der Insel Ely (in Cambridge) und der Stadt Haverfordwest, welche sowie die Lord-Wardens der Cinque Ports (s. d.) und der Stanneries (Zinngruben) in Cornwall und Devonshire innerhalb ihres Bezirks ähnliche Befugnisse ausüben. Der Lord-Lieutenant ist in der Regel Custos Rotulorum (Aktenbewahrer) seiner Grafschaft. Der High Sheriff ist bereits oben erwähnt worden. Die Friedensrichter, etwa 18,000 an der Zahl, setzen in ihren Vierteljahrssitzungen das Budget der Grafschaften fest, lassen zu diesem Zweck die nötigen Steuern erheben, erteilen die Erlaubnis für den Verkauf geistiger Getränke, verwalten die öffentlichen Irrenanstalten, überwachen die Instandhaltung und den Neubau von Landstraßen und unterhalten die Grafschaftspolizei.

Die Bürger (burgesses oder citizens) der 247 Städte (municipal boroughs, oder cities, wenn sie Sitz eines Bischofs sind oder waren) wählen die Stadträte (councillors), welche drei Jahre im Amt bleiben, es sei denn, daß sie zu Ratsherren (aldermen) ernannt würden, in welchem Fall sich ihre Amtsdauer auf sechs Jahre erstreckt. Der Bürgermeister (mayor) wird aus den Ratsherren gewählt. Stimmrecht haben alle diejenigen (auch Frauen), welche ein Haus oder Geschäftslokal innehaben und im Bereich von 7 engl. Meilen von der Stadt wohnen. Der Stadtrat verwaltet die Stadtgüter, erhebt Steuern (rates), trifft die im Interesse der öffentlichen Ge-^[folgende Seite]