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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Erdkunde

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Erdkunde (spezielle, allgemeine, vergleichende E.).

beruhen einmal auf der wissenschaftlichen Erforschung der Stoffe, aus denen die feste Erdrinde besteht, was zur Mineralogie, Petrographie und sogen. Bodenkunde führt; anderseits in der Aufstellung sogen. Formationen, deren Altersunterschiede durch die Fossilien bestimmt sind. Während diese genannten Bestrebungen ausschließlich dem Geologen zufallen, ist die sogen. dynamische Geologie, welche von den Kräften handelt, die das Relief der Erdoberfläche umformen, ein gemeinsames Arbeitsfeld der Geologie und Geographie. Der Geolog untersucht die Tektonik der Gebirge, der Hoch- und Tiefebenen und führt die Züge des innern Baues derselben zurück auf Faltungen, Verwerfungen etc. der Schichten oder erkennt vulkanische Durchbrüche der Erdrinde; danach stellt er seine verschiedenen Dislokationstypen auf. Die Modifikationen aber dieser gewissermaßen im Rohen erkannten Formen durch die äußern Kräfte der Verwitterung oder Erosion wird der Geograph vielleicht gründlicher untersuchen können, weil ihm die hier maßgebenden Einwirkungen der klimatischen Bedingungen geläufiger sind als dem Geologen. Wenn man gemeint hat, der Geograph solle alle Reliefänderungen, die sich nachweisbar erst seit historischer Zeit vollzogen haben, studieren, dem Geologen aber die vorhistorischen überlassen, so wird man praktisch auf die größten Schwierigkeiten stoßen, da viele Teile der Erdoberfläche das Gepräge ihres Reliefs, so wie es heute vorliegt, in den Grundzügen schon vor der Diluvialzeit, ja manche schon in vortertiärer Zeit empfangen haben. Die Altersgrenze, bis zu welcher die Geographie zurückgehen darf, wird also von Fall zu Fall eine andre sein. Je mehr die geologischen Detailkenntnisse von den einzelnen Ländern durch die geologischen Landesaufnahmen sich vertieft haben, um so klarer und schärfer konnte auch der Geograph seine Formentypen des Reliefs bestimmen. Dana, Sir Charles Lyell und Eduard Süß sind vielleicht diejenigen Geologen, welche am meisten der modernen Geographie zu einer wissenschaftlichen Vertiefung der Morphologie der Erdoberfläche verholfen haben. "Das Beobachtungsmaterial, welches der Geograph zu verwerten hat", sagt Richthofen, "ist unendlich groß, da sein Arbeitsfeld die Erdoberfläche umfaßt und sich über alle Naturreiche erstreckt. Er gewinnt es ebenso durch die eingehendste Untersuchung der kleinsten Erdlokalität wie durch den vergleichenden Überblick weiter Erdräume, ebenso durch das Studium der Natur wie durch die philosophische Betrachtung des Kartenbildes. Wie die Biene aus tausend verschiedenen Blütenkelchen den Honig sammelt und nur diesen Bestandteil aus denen, welche sie vorfindet, zu entnehmen versteht, so liegt es ihm ob, neben seinen eignen Untersuchungen diejenigen Beobachtungen und Thatsachen aus den verschiedensten Wissensgebieten zu entnehmen und anzusammeln, welche eine Beziehung zu seinem leitenden Gesichtspunkt erkennen lassen."

Handelt es sich um die systematische Ordnung des so angesammelten Stoffes, so bieten sich dafür zwei Methoden dar: 1) Ordnung nach den Erdräumen: spezielle Geographie; 2) Ordnung der Objekte und Erscheinungen unabhängig von den Erdräumen zu Kategorien: allgemeine Geographie.

Die Erdoberfläche tritt dem Beschauer der Karte zusammengesetzt aus Teilräumen entgegen. So unterscheidet man die fünf Erdteile, man unterscheidet im Bereich eines jeden dieser Erdteile wieder Abgliederungen als Inseln, Halbinseln oder einzelne Reiche und Länder. Der Teilraum Großbritannien ist ein scharf umschriebenes "geographisches Individuum" (Ritter) mit nur ihm allein zukommender geographischer Breiten- und Längenausdehnung, Küstenkonfiguration, Anordnung der Erhebungen, Klima, Vegetation, allgemeiner wirtschaftlicher Ausstattung, Bevölkerung etc.; alles, in dieser Kombination nur einmal aus der Erdoberfläche vorhanden, gibt das geographische Individuum Großbritannien. So ist es mit Spanien, so mit Kalifornien etc. Die Beschreibung dieser Teilräume der trocknen Erdoberfläche gibt in systematischer Zusammenstellung die Chorographie oder Länderkunde (auch politische Geographie genannt), welche bei der Fülle des Stoffes indes überall nur das Charakteristische und das Einflußreiche, vom spezifisch geographischen Gesichtspunkt aus, berücksichtigen sollte, leider aber meist mit statistischem Ballast überladen wird.

Die allgemeine Geographie hat es sicherlich mit denselben Objekten zu thun, ja thatsächlich empfängt sie dieselben aus den Händen der speziellen Geographie; aber sie zergliedert den Stoff nach seinen Elementen und faßt diese nach Kategorien von Objekten und Erscheinungen ohne Rücksicht auf die einzelnen Erdräume zusammen. Die spezielle Geographie kennt nur einzelne Gebirge oder Gebirgssysteme, z. B. die Alpen, die Pyrenäen, den Himalaja, die Andes. Die allgemeine Geographie sucht die gemeinsamen Merkmale dieser Einzelobjekte zusammenzufassen zu einem geographischen Begriff Hochgebirge, dem sowohl gewisse gleichartige Züge im innern Bau und äußern Relief und in den Dimensionen als auch einige klimatische und biologische Kennzeichen zukommen. Die allgemeine Geographie schafft also Typen, Kategorien, Begriffe. Dabei richtet sie ihre Blicke "auf das Erdganze und auf die Erdoberfläche in ihrer Gesamtheit und untersucht die allgemeinen Gesetze des örtlichen Vorkommens der einzelnen Kategorien oder Typen von Erscheinungsformen" (H. Wagner), oder, wie Karl Ritter 1818 es ausdrückte: "Allgemein wird diese Erdbeschreibung genannt, nicht weil sie alles zu geben bemüht ist, sondern weil sie ohne Rücksicht auf einen speziellen Zweck jeden Teil der Erde und jede ihrer Formen, liege sie im Flüssigen oder auf dem Festen, im fernen Weltteil oder im Vaterland, sei sie der Schauplatz eines Kulturvolkes oder eine Wüste, ihrem Wesen nach mit gleicher Aufmerksamkeit zu erforschen bemüht ist, denn nur aus den Grundtypen aller wesentlichen Bildungen der Natur kann ein natürliches System hervorgehen".

Es mag hier eingeschaltet werden, daß die sogen. vergleichende E. keinen besondern Zweig der Geographie bildet. Karl Ritter, der dieses Epitheton seiner allgemeinen Geographie beifügt, dachte damit nur, wie F. Marthe bewiesen hat, einen generellen Ausdruck für sein tief wissenschaftliches Streben zu geben. Er wollte den Vergleich nicht als Zweck, wie man ihm fälschlich vorgeworfen hat, sondern als Mittel zur Auffindung örtlicher Gesetze des Erscheinens der Naturdinge; er hat die Erdoberflächenobjekte verglichen nach Form, Lage und Größe, sowohl um dabei das Charakteristische als das Wirkungsvolle (letzteres namentlich in Bezug auf das Menschengeschlecht) zu finden; mit Vorliebe verglich er aber die Zustände eines und desselben Erdraums in verschiedenen historischen Zeiten. In dieser Vielartigkeit seiner Vergleiche liegt der Hauptbeweis dafür, daß er nur eine wissenschaftliche Vertiefung der E. überhaupt damit anstrebte. Neuerdings hat Oskar Peschel auf Grund einer Reihe von morphologischen Untersuchungen geglaubt, eine besondere vergleichende E. geschaffen zu haben. Die von ihm als vergleichende bezeichnete