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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Erfurt

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Erfurt (Geschichte).

handels- und Stapelplatz für die Sorben und verlieh dem Ort Privilegien und Stapelgerechtigkeiten. König Heinrich I., der 936 hier seinen letzten Reichstag hielt, ließ auf demselben seinen Sohn Otto zu seinem Nachfolger wählen. Trotz der Ansprüche, welche Kurmainz, gestützt auf alte Urkunden und Dotationen Kaiser Ottos I., auf die Stadt machte, behielt sie doch eine gewisse Unabhängigkeit. Aber der Burggraf wurde vom Erzbischof ernannt, bis jenes Amt im 13. Jahrh. einging. Die Vogtei kam im 12. Jahrh. in den erblichen Besitz der Grafen von Gleichen. Im thüringisch-sächsischen Krieg ward E. 1080 vom Kaiser Heinrich IV. in Asche gelegt, aber bald wieder aufgebaut. Von 1109 bis 1137 stand es unter der Oberhoheit der Landgrafen von Thüringen; 1118 warb es vom Herzog Lothar von Sachsen eingenommen, und 1164 schleifte der Landgraf Ludwig der Eiserne von Thüringen die Mauern, welche 1070 Erzbischof Siegfried erbaut hatte; doch stellte schon Erzbischof Christian 1169 dieselben wieder her. Kurz nach dieser Zeit sah E. zwei denkwürdige Versammlungen in seinen Mauern: den Reichstag, auf welchem sich Herzog Heinrich der Löwe von Sachsen dem Kaiser Friedrich I. unterwarf (1181), und die von dem Sohn des letztern, dem König Heinrich VI., 1184 behufs Aussöhnung des Erzbischofs Konrad von Mainz mit dem Landgrafen Ludwig von Thüringen veranstaltete Fürstenzusammenkunft, die dadurch verhängnisvoll wurde, daß durch den Einsturz eines Saals im Marienstift, wo sie abgehalten ward, viele Teilnehmer ihren Tod fanden. Trotz des Gnadenbriefs Friedrichs II. von 1242 blieb die Stadt unter der Herrschaft des Erzbischofs. Gerhard I. von Mainz sah sich 1255 genötigt, der Stadt, welche bisher unter kurfürstlichen Beamten gestanden hatte, eine besondere, aus 2 Ratsmeistern und 12 Beisitzern bestehende Behörde zuzugestehen. 1289 hielt Rudolf von Habsburg in E. einen großen Reichstag, um dem Faustrecht in Thüringen zu steuern. Unter den zahlreichen Fehden, welche E. führte, war eine der bedeutendsten die mit dem Markgrafen Friedrich dem Freidigen, der die Grafschaft an der Schmalen Gera, welche sein Vater Albrecht der Unartige 1270 an die Stadt veräußert hatte, zurückforderte. Nach einem achtjährigen Krieg erkaufte die Stadt 1315 den Frieden um 10,000 Mark Silber. Die Grafschaft verblieb ihr auch ferner und wurde erst 1485 von Sachsen eingelöst.

Schon früh blühten in E. die Woll- und Leinweberei. Der Anfang des 15. Jahrh. war die Zeit des höchsten Wohlstandes und der politischen Machtstellung Erfurts. Damals besaß es die Grafschaft Kapellendorf als Reichslehen und hatte sich von den benachbarten Fürsten und Herren zahlreiche Besitzungen zu Lehen übertragen lassen, so daß es an Gebiet viele Reichsstädte übertraf. Selbst eine Universität hatte es aus eignen Mitteln gründen können (1378 bis 1392), die erste Europas, welche alle vier Fakultäten in sich vereinigte; sie hatte zur Zeit ihrer Blüte (um 1479) über 850 Studenten, doch sank diese Zahl im 16. Jahrh. auf 200 herab. Der Aufschwung in Handel und Gewerbe führte den Eintritt der Stadt in den Bund der Hansa herbei. E. galt damals für eine der größten Städte in Deutschland; die Zahl der Einwohner wird jedoch meist überschätzt, sie betrug um die Mitte des 15. Jahrh. nur 32,000 Seelen. Unter den Kaisern Siegmund und Friedrich III. hätte sich E. zur Stellung einer Reichsstadt emporschwingen können, wenn es nicht die Heranziehung zum Reichsheerdienst und zu Reichssteuern gescheut hätte. Infolge der Verheerungen während des sächsischen Bruderkriegs und durch den großen Brand 1472 sowie durch verminderten Handelsverkehr sank der Wohlstand der Stadt bedeutend. Der lange Streit mit dem Erzstift Mainz und dem kurfürstlich sächsischen Haus um die landesherrlichen Rechte wurde endlich durch den Amorbacher Vertrag von 1483 geschlichtet, in welchem E. mit Sachsen ein Schutz- und Trutzbündnis schloß. Das sogen. tolle Jahr (1509), eine Aufruhrsepoche schlimmster Art, war der Anfang bis dahin unerhörter innerer Zerwürfnisse, in deren Verlauf der Vizeherr Kellner 1510 hingerichtet wurde. Die Einführung der Reformation, welcher schon früh die Klostergeistlichkeit zugethan war, brachte seit 1521 eine neue Epoche städtischer Unruhen. Im Dreißigjährigen Krieg öffnete E. 1631 den Schweden die Thore, und 1640 hatte Banér daselbst sein Hauptquartier. Nach dem Westfälischen Frieden erhob sich der Streit über die Reichsunmittelbarkeit der Stadt von neuem. Dieselbe sollte sich auf kaiserlichen Befehl Kurmainz unterwerfen und ward auf ihre Weigerung 1660 in die Acht erklärt, deren Exekution Kurmainz übertragen wurde. Der Erzbischof zwang sie mit Hilfe französischer, aus Ungarn zurückkehrender Truppen 1664 zu einer Kapitulation, worin sie Unterwerfung, er aber vollkommene Religionsfreiheit versprach. Die sächsischen Fürsten mußten ihr Hoheits- und Schutzrecht über E. 28. Okt. 1664 an Kurmainz abtreten. Von diesem Zeitpunkt an hört alle Selbständigkeit und politische Freiheit Erfurts auf. Im J. 1665 ward der Grundstein zum jetzigen Petersberg gelegt. Im Siebenjährigen Krieg eroberte der preußische General v. Knoblauch die Stadt (1759). Durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 kam E. nebst Gebiet mit 2 Städten, 3 Flecken, 72 Dörfern und 46,000 Einw. an Preußen, ging aber nach der Schlacht bei Jena 16. Okt. 1806 durch eine schimpfliche Kapitulation an die Franzosen über und ward durch den Tilsiter Frieden förmlich an Napoleon I. abgetreten, der es unter französischer Administration ließ. Im J. 1808 hielt Napoleon hier vom 27. Sept. bis 14. Okt. eine Zusammenkunft mit dem russischen Kaiser Alexander I., bei welcher auch die Könige von Bayern, Sachsen, Westfalen und Württemberg, der Fürst-Primas und viele andre Fürsten und Große erschienen und glänzende Festlichkeiten veranstaltet wurden (Erfurter Kongreß). Nach dem Rückzug der Franzosen aus Deutschland wurde E. im Dezember 1813 von den Preußen beschossen und nach längerer Belagerung zur Übergabe gezwungen; doch räumten die Franzosen erst nach dem ersten Pariser Frieden 1814 die Citadelle. Während dieser Belagerung war die Zahl der Einwohner Erfurts auf 15,000 herabgesunken. Durch die Wiener Kongreßakte kam die Stadt nebst ihrem Gebiet und dem Eichsfeld wieder unter die Hoheit des Königs von Preußen, welcher davon 1815 die Ämter Schloß-Vippach, Atzmannsdorf und Tonndorf nebst vier Dörfern an das Großherzogtum Weimar abtrat. E. wurde der Provinz Sachsen zugeteilt und 1815 der Sitz einer Regierung, 1816 aber die Universität aufgehoben. Unter preußischer Herrschaft hat sich E. wieder bedeutend gehoben. Am 24. Nov. 1848 fand hier bei Gelegenheit der Einberufung der Landwehr ein Aufstand statt, worauf bis zum 4. Aug. 1849 der Belagerungszustand über die Stadt verhängt wurde. Vom 20. März bis 29. April 1850 tagte hier in der Augustinerkirche das sogen. Unionsparlament, das eine Verfassung für Deutschland beschloß, die aber nicht zur Ausführung gelangte. Im Juni 1873 wurde E. seines Charakters als Festung entkleidet. Vgl. Müller, Alte Geschichte von E. (Gotha