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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Fabrikgesetzgebung

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Fabrikgesetzgebung (England).

Alle diese Industriezweige wurden jedoch mit vielfachen Modifikationen für die einzelnen Branchen der F. unterworfen. Die zweite Akte regelte die Arbeitszeit im kleinen Handwerk. Da sich aber auf dieses die Vorschriften des Normalarbeitstags und der Mahlzeiten ohne bedeutende Beschränkungen der persönlichen Freiheit nicht wohl anwenden ließen, so mußte man sich begnügen, Bestimmungen zum Schutz der jungen Arbeiter und Frauen gegen Überarbeit zu treffen. Der allgemeine Arbeitstag wurde für Kinder von 6 Uhr morgens bis 8 Uhr abends, für junge Personen und Frauen von 5 Uhr morgens bis 9 Uhr abends festgesetzt. Innerhalb derselben durften sie aber nur die in der F. bestimmten Maximalarbeitszeit beschäftigt werden. Der freie Sonnabend-Nachmittag der F. wurde auch auf das Kleingewerbe übertragen, durfte jedoch mit besonderer Erlaubnis und unter gewissen Bedingungen später beginnen als um 2 Uhr nachmittags. Die Schulpflicht der Kinder wurde auf zehnstündigen Schulbesuch pro Woche festgesetzt. Die Aufsicht über die Werkstätten wurde den Kommunal-Sanitätspolizeibeamten übertragen, jedoch mit der Beschränkung, daß ihnen der Eintritt in eine Werkstätte erst infolge einer von ihnen vor der lokalen Behörde vorgebrachten Klage von dieser gestattet sei. Den Fabrikinspektoren wurde nur nebenbei der Besuch der Werkstätten zur Arbeitszeit gestattet, jedoch ohne die ausgedehnte Gewalt, die ihnen über Fabriken zustand. Während aber das Gesetz über die Fabriken von befriedigendem Erfolg begleitet war, ließ die Durchführung des "Werkstättengesetzes" sehr viel zu wünschen übrig. Viele Gemeinden widerstrebten demselben. Erst als durch Gesetz vom 21. August 1871 die Werkstätten ebenso wie die Fabriken der Aufsicht und Gewalt der Fabrikinspektoren unterstellt worden waren, wurden die gesetzlichen Vorschriften von seiten der kleinen Unternehmer befolgt. Das Gesetz vom 9. August 1870 dehnte die Hauptvorschriften der Fabrikakte von 1867 auf die Kattundruckereien, Bleichereien, Färbereien aus, allerdings mit wesentlichen Modifikationen. 1874 erging das letzte Gesetz in dieser Periode, ein neues Spezialgesetz für Textilfabriken vom 30. Juli.

Es bezog sich auf diejenigen Fabriken, in denen Baumwolle, Wolle, Haar, Seide, Flachs, Hanf, Jute, Hede und Spitze den Gegenstand des gewerblichen Unternehmens ausmachen, mit Ausnahme jedoch der Werke, bei denen mechanische Kraft nicht verwendet wird. Dasselbe änderte an dem bisherigen Rechtszustand hauptsächlich folgendes: 1) Das Minimalalter der Beschäftigung wurde für Kinder von 8 auf 10 Jahre erhöht. 2) Das gesetzliche Kindheitsalter wurde auch noch auf das 13. Lebensjahr ausgedehnt. 3) Die Substituierung des Arbeitstags von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends, statt von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends, wurde für das ganze Jahr von der Wahl des Arbeitgebers abhängig gemacht; früher war sie nur im Winter zulässig. 4) Die für Mahlzeiten und Rast an den fünf ersten Wochentagen bestimmte Zeit wurde für jugendliche Personen und Frauen von 1½ auf 2 Stunden erhöht, die wirkliche Arbeitszeit dadurch von 10½ auf 10 St. verkürzt. 5) Die höchste zulässige Ausdehnung eines Arbeitsbannes oder der ununterbrochenen Beschäftigung wurde für die geschützten Personen von 5 auf 4½ St. ermäßigt. 6) Für den Unterricht der Kinder wurde zum erstenmal verlangt, daß er in Schulen erteilt werde, deren Unterricht offiziell als wirksamer anerkannt wird. 7) "Modifications" jeglicher Art sollten für Textilfabriken unstatthaft sein.

Bei der großen Zahl der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen, von denen viele die frühern aufgehoben oder abgeändert hatten, manche unklar gefaßt oder auch durch die Entwickelung der Technik unpraktisch geworden waren, blieb die Feststellung des wirklich geltenden Rechts und die Anwendung desselben außerordentlich schwierig. Dazu kam eine große Ungleichheit des Schutzes, auch wo sie weder an sich noch nach dem derzeitigen Stande der Produktionszweige gerechtfertigt war. Die Kodifizierung und teilweise Revision der F. war ein dringendes Bedürfnis. Daher wurde 25. März 1875 eine Kommission eingesetzt, um die Vereinfachung und Kodifikation der Gesetze zu erörtern, die Wirkungen der F. zu untersuchen und Vorschläge zur Verbesserung derselben zu machen.

[Vierte Periode.] Auf Grund des von dieser Kommission erstatteten umfassenden Berichts erging das neue Fabriken- und Werkstättengesetz vom 27. Mai 1878 ("the factory and workshop act"), das 1. Jan. 1879 in Kraft trat. Es ist einerseits eine Kodifikation der bisherigen Gesetze, enthält aber zugleich nicht unwichtige Abänderungen derselben, wesentlich zu gunsten der Arbeiter. Der erste Teil des Gesetzes enthält allgemeine Vorschriften, der zweite besondere Bestimmungen für einzelne Klassen von Fabriken und Werkstätten, welche die allgemeinen Bestimmungen zum Teil modifizieren. Der dritte und vierte Teil betreffen die Ausführung der Strafen, Strafverfahren etc. Der Inhalt der allgemeinen Bestimmungen ist folgender:

I. Das Gesetz schützt zunächst die Gesundheit und persönliche Sicherheit aller Arbeiter durch Vorschriften über den Zustand der Arbeitsräume (Größe, Sauberkeit, Ventilation etc.), die Einrichtung der Maschinen und gefährlichen Werkzeuge, die Reinigung derselben etc.

II. Das Gesetz regelt sodann die Beschäftigung der Kinder, jugendlichen Personen und Frauen. Im Sinn desselben ist ein Kind (child) eine Person unter 14 Jahren, eine jugendliche Person (young person) eine Person von 14 bis unter 18 Jahren, eine Frau (woman) eine weibliche Person von 18 und mehr Jahren. Wenn aber ein Kind von 13 Jahren von einer bestimmten Behörde ein Zeugnis bekommt, daß es ein gewisses Maß von Ausbildung im Lesen, Schreiben und Rechnen besitzt, so soll es als eine jugendliche Person angesehen werden. Das Gesetz unterscheidet bezüglich des Schutzes dieser Personen: Fabriken (factories), Werkstätten (workshops) und häusliche Arbeitsstätten (domestic workshops), in welchen mechanische Kraft nicht zur Anwendung kommt. Ist dies in solchen Arbeitsstätten der Fall, so sind sie Werkstätten im allgemeinen Sinn. Bei den Fabriken unterscheidet es die der Textilindustrie (textile factory) und der sonstigen Industrie (non textile factory).

1) Am weitesten gehen die Schutzbestimmungen in der Textilindustrie. Die wesentlichsten sind:

a) Für alle drei Klassen ist die Nachtarbeit (von 7 bis 7 oder von 6 bis 6 Uhr), dann die Arbeit an Sonntagen, am Weihnachtstag und Karfreitag verboten. Außerdem müssen ihnen im Jahr noch acht halbe Feiertage gewährt werden.

b) Für jugendliche Personen und Frauen ist die Maximalarbeitszeit an den fünf ersten Wochentagen 10 Stunden (2 St. Pause für Mahlzeiten), am Sonnabend 6-6½ St., der Sonnabend-Nachmittag ist frei. Ohne Unterbrechung von mindestens ½ Stunde dürfen sie nicht länger als 4½ St. hintereinander beschäftigt werden.

c) Kinder dürfen erst vom 10. Jahr an beschäftigt werden und dann entweder nach dem System der täglichen Arbeit oder dem System der Arbeit an umschichtigen Tagen. Bei jenem System darf ihre Beschäftigung an den fünf ersten Wochentagen an einem Tag entweder nur vormittags oder nur nachmittags stattfinden.