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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Femgerichte

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Femgerichte.

lichen Acht oder irgend etwas davon sagte, den sollen die Freigrafen und Freischöffen greifen unverklagt und ihm seine Hände vorn zusammen und ein Tuch vor seine Augen binden und ihn auf seinen Bauch werfen und ihm seine Zunge hinten aus seinem Nacken winden und ihm einen dreisträngigen Strick um seinen Hals thun und ihn sieben Fuß höher hängen als einen verurteilten, verfemten, missethätigen Dieb". Die Heimlichkeiten bestanden namentlich in der heimlichen Losung der Wissenden: Strick, Stein, Gras, Grein (S. S. G. G.); die Bedeutung dieser Worte ist nicht bekannt, ebensowenig die des "Notworts, wie es Carolus Magnus der heimlichen Acht gegeben": "Reinir dor Feweri". Der Schöffengruß bestand darin, daß der ankommende Schöffe seine rechte Hand auf des andern linke Schulter legte und sagte: "Ich grüß' Euch, lieber Mann! Was fanget Ihr hier an?" worauf der Gegrüßte seine rechte Hand auf des andern linke Schulter legte und antwortete: "Alles Glücke kehre ein, wo die freien Schöffen sein". Die besondern Rechte des Freischöffen aber bestanden darin, daß er nur unter westfälischen Gerichten stand, daß er einer höhern Glaubwürdigkeit genoß als der Nichtwissende, und daß er, als Kläger oder Beklagter, als Urteiler oder als Anwalt, Zutritt zur heimlichen Acht hatte sowie zu den Kapiteltagen, an denen der Bund seine Angelegenheiten beriet. Freischöffe zu sein, schützte mehr als kaiserliche Schutzbriefe. Daher ließen sich denn auch Leute aus allen Gegenden Deutschlands in Westfalen wissend machen. Die Freien Städte sorgten dafür, daß Mitglieder ihres Rats wissend seien; die Fürsten wählten zu ihren Räten gern Freischöffen und ließen sich auch wohl selbst wissend machen.

Die innere Einrichtung und das Verfahren der F. waren im wesentlichen dieselben wie bei allen übrigen altdeutschen Gerichten. Die Freistühle und die Gerichtstage waren allgemein bekannt, die Sitzungen fanden nur bei Tage statt, jeder freie Mann konnte neben den Schöffen dabei erscheinen; diese mit dem Freigrafen besetzten die Bank, vor ihnen stand ein Tisch, worauf ein Schwert und der weidengeflochtene Strick, hinter ihnen der Fronvogt. Nur wenn sich das offene Gericht in ein heimliches verwandelte, mußten sich alle Nichtwissenden entfernen; doch ließ die große Zahl der Freischöffen auch diese sogen. heimlichen Gerichte als öffentliche erscheinen; so waren z. B. bei der heimlichen Verurteilung des Herzogs Heinrich von Bayern 1434 nicht weniger als 18 Freigrafen und 800 Freischöffen zugegen. Das Verfahren war der alte deutsche Anklageprozeß. Als Kläger durfte nur ein Freischöffe auftreten. Zuerst ward untersucht, ob die Anklage eine Sache betreffe, welche vor das Freigericht gehöre, "femvroge" sei. Dies waren aber alle mit dem Tod zu bestrafenden Verbrechen. In solchen Fällen ward an den Beklagten eine Vorladung ausgefertigt und von einem Freigrafen besiegelt. Die Frist war die gewöhnliche sächsische Frist von 6 Wochen und 3 Tagen, der Wissende hatte aber ein Recht auf dreimalige Ladung. Nur der Wissende wurde sofort vor das heimliche Gericht gefordert, der Nichtwissende dagegen zunächst vor das öffentliche Ding, und nur für den Fall, daß er der Ladung nicht Folge leistete, trat das heimliche Verfahren ein. Der Ladebrief wurde gewöhnlich dem Vorzuladenden nicht persönlich übergeben, sondern an seiner Behausung oder einem dieser nahegelegenen Ort angeheftet. Hierbei wurden drei ausgehauene Späne als Wahrzeichen der Fem gebraucht. Für die Gerichtsverhandlung selbst bestanden althergebrachte und streng beobachtete Formalitäten. Erschien der Angeklagte, und gestand er die That, so ward das Todesurteil gesprochen und er sofort aufgeknüpft. Leugnete der Angeklagte, so mußte ein Beweisverfahren eintreten. War derselbe ein Freischöffe, so genügte in der ältern Praxis sein alleiniger Reinigungseid. Später schwur der angeklagte Freischöffe zuerst allein; gegen ihn trat der Schwur des Anklägers, unterstützt von 2 Eideshelfern. Der Beklagte überbot diesen Eid mit Unterstützung von 6 Eideshelfern, der Kläger hielt die Klage mit Hilfe von 12 aufrecht, bis endlich der Verklagte, wenn von 20 Eideshelfern unterstützt, den Sieg davontrug, da eine höhere Anzahl von Eideshelfern unzulässig war. Wollte der Nichtwissende sich von der Anklage reinigen, so bedurfte er dazu gleich zwei Freischöffen als Eideshelfer. Erschien der Kläger nicht, so ward der Angeklagte ohne weiteres freigesprochen. Blieb der Angeklagte aus, so wartete man bis nachmittags 3 Uhr, worauf der Freigraf fragte, ob die Vorladung gehörig geschehen sei, und, ward dies bejaht, viermal den Angeklagten bei Namen rief und fragte, ob niemand da sei, der ihn vertreten wolle. War dies vergeblich, so trat der Kläger vor, wiederholte knieend die Klage und beteuerte, die Hand aufs Schwert gelegt, eidlich deren Wahrheit, worauf der Freigraf die Verfemung in folgender Weise aussprach: "Den Angeklagten nehme ich aus dem Frieden und setze ihn aus allen Freiheiten, Frieden und Rechten in Königsbann und Wette und in den höchsten Unfrieden und Ungnade und mache ihn unwürdig, achtlos, rechtlos, siegellos, ehrlos, friedlos und unteilhaftig alles Rechts und verführe ihn und verfeme ihn und setze ihn hin nach Satzung der heimlichen Acht und weihe seinen Hals dem Strick, seinen Leichnam den Tieren und Vögeln in der Luft, ihn zu verzehren, und befehle seine Seele Gott im Himmel in seine Gewalt, wenn er sie zu sich nehmen will, und setze sein Lehen und Gut ledig; sein Weib soll Witwe, seine Kinder Waisen sein". Hierauf nahm der Graf den von Weiden geflochtenen Strick, warf ihn aus dem Gericht, und alle Freischöffen, die um das Gericht standen, "spieen aus dem Mund, gleich als ob man den Verfemten fort in der Stunde hänge". Dem Ankläger ward nunmehr das gesprochene Urteil schriftlich ausgefertigt. In demselben war die Mahnung an alle Freischöffen enthalten, dem Kläger bei Vollziehung des Urteils gefällig zu sein. Meist wurde das Urteil geheim gehalten. Außerdem galt noch der im altsächsischen Volksrecht begründete Satz, daß "bei handhafter That" die sofortige Bestrafung des Thäters erfolgen konnte. Man verstand darunter sowohl den Fall, daß der Verbrecher auf der That selbst ("hebende Hand") oder unter Umständen ergriffen wurde, welche seine Thäterschaft sicher erkennen ließen ("blickender Schein"), als auch den Fall, daß der Thäter seine Schuld unumwunden einräumte ("gichtiger Mund"). Waren in einem solchen Fall drei Schöffen zugegen, so konnten sie ohne weitere Prozedur den Verbrecher ergreifen und hinrichten. Die gewöhnliche Art der Todesstrafe war der Strang, der nächste Baum der Galgen. Neben den Erhenkten steckten die Schöffen ihren mit den Buchstaben S. S. G. G. bezeichneten Dolch. Der Verfall des Femwesens erklärt sich sehr natürlich aus dem Umstand, daß mit der erstarkenden Landeshoheit der Territorialherren auch allenthalben bessere Rechtspflege eingeführt wurde, während sich in die F. mit der Zeit manche Mißbräuche eingeschlichen hatten. Die Justizanordnungen Kaiser Maximilians und die strengen Maßregeln der nun immer mächti-^[folgende Seite]