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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Fieber

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Fieber (Allgemeinerscheinungen).

Fieber (lat. Febris, von fervere, "glühen", griech. pyr, pyretos, "Feuer, Gluthitze"), eine Störung des Gesamtorganismus, welche wesentlich durch eine abnorme Steigerung des Stoffwechsels mit abnorm hoher Wärmeproduktion im Körper charakterisiert ist. Die Lehre vom F. hat im Lauf der Entwickelung der medizinischen Wissenschaft ungemein zahlreiche Deutungen erfahren. Je nach der herrschenden Schule wurde entweder eine Entmischung der Körpersäfte oder eine Entzündung des Bluts oder krankhafte Äußerungen des Nervensystems als die eigentliche innere Ursache des Fiebers angesehen, immer aber war man darüber einig, daß das F. eine selbständige (essentielle) Krankheit, eine Einheit, welche zwar in mancherlei Gestalt auftreten könne, aber doch stets ein und derselbe krankhafte Vorgang sei. Diese Anschauung von der Essentialität der F. ward erst in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts von Broussais und später in Deutschland von Schönlein bekämpft und beseitigt. Eine genauere anatomische Untersuchung der Leichen von Menschen, welche an fieberhaften Krankheiten gestorben waren, stellte bald heraus, daß auch bei den bisher sogen. essentiellen Fiebern örtliche Störungen verschiedener Organe vorkommen, und man überzeugte sich allmählich davon, daß jedem F. eine Lokalerkrankung zu Grunde liege. Damit wurden die F. ihrer Essentialität entkleidet; man faßte von nun an das F. als eine Teilerscheinung, als Symptom anderweiter krankhafter Prozesse auf und sprach demgemäß nicht mehr von "Fiebern" als einer besondern Klasse von Krankheiten, sondern schlechthin "vom F." als einem Symptom oder richtiger einer Symptomengruppe, welche den verschiedensten Krankheiten eigentümlich und eine Folge derselben ist. Somit kennt die moderne Medizin zahlreiche Krankheiten, welche die verschiedensten anatomischen Organveränderungen als Grundlage haben, und welche alle neben diesen besondern Organstörungen die Summe von Allgemeinerscheinungen aufweisen, die wir F. nennen. Dieses F. besteht erstens und vor allem in einer Steigerung der Körperwärme, welche schon von den Griechen als das wesentliche Merkmal angesehen wurde (pyr, "Feuer"), später gegen andre Störungen, z. B. des Pulses und des Nervensystems, etwas in den Hintergrund trat, nunmehr aber unstreitig im Vordergrund der ärztlichen Beachtung steht. Die Wichtigkeit der fieberhaften Temperatursteigerung des Körpers beruht einmal auf der außerordentlich zuverlässigen Regelmäßigkeit, mit welcher gerade dies Symptom bei allen fieberhaften Krankheiten auftritt, und zweitens auf der praktisch so sichern Kontrolle, welche wir in der direkten Messung mit dem Thermometer besitzen. Das Thermometer wurde bereits im vorigen Jahrhundert vereinzelt (z. B. von de Haen in Wien) zur Bestimmung der Körpertemperatur bei Fieberkranken angewendet, aber erst seit den 50er Jahren dieses Jahrhunderts hat man, vorzugsweise nach dem Vorgang von Traube und Wunderlich, das Thermometer konsequent zur Diagnose und Beobachtung fieberhafter Erkrankungen herangezogen. Es ist dadurch nicht bloß die Lehre vom F. und von dessen Behandlung, sondern auch die Lehre von der gesamten Wärmeökonomie des Körpers in gesunden wie in kranken Tagen ganz erheblich gefördert worden. Das F. beginnt gewöhnlich mit einem Stadium des Frostes. Im Anfang des Fiebers zeigt sich der Kranke empfindlich gegen Kälte, er fröstelt und schaudert, selbst wenn er warm gekleidet oder in Betten eingehüllt ist; er hat das Gefühl des Kaltüberlaufenwerdens, namentlich längs der Rückenhaut. Das Frösteln kann stunden- oder selbst tagelang anhalten; es kann sich aber auch steigern und in einen ausgebildeten Frostanfall, in einen Schüttelfrost übergehen. Während eines solchen Frostes ist die Haut kühl und bleich oder bläulich gefärbt, sie zeigt das Aussehen der sogen. Gänsehaut; der Patient atmet oberflächlich und rascher, es schüttelt ihn, er hat Zähneklappern. Auf den Frost, wenn er eine Viertel- oder halbe Stunde oder noch länger gedauert hat, folgt sodann ein lebhaftes Hitzegefühl: das Stadium der Fieberhitze. Das Gesicht, wie die Haut überhaupt, ist während der Fieberhitze lebhaft gerötet und gedunsen, die Haut fühlt sich warm, selbst heiß an, es stellt sich Schweiß ein. Die Fieberhitze ist davon abhängig, daß der im Froststadium bestehende Krampf der kleinen Hautarterien in einen Zustand von Erschlaffung übergeht. Das Blut stürzt nun mit voller Gewalt in die Gefäße der Haut ein, diese rötet sich und schwillt ein wenig auf. Schon zur Zeit des Fieberfrostes nun zeigt ein Thermometer, das in den Mastdarm eingeschoben oder einige Minuten fest angedrückt in der Achselhöhle gehalten worden ist, stets eine über die Normalwärme von etwa 37,5° C. erhöhte Temperatur. Eine Steigerung auf 38-38,5° C. ist als geringe oder mäßige zu bezeichnen, Temperaturen von 38,5-39,5° C. sind schon hoch zu nennen, Wärmegrade von 40-41° C. sind nur bei sehr heftigem F. zu beobachten, während 42° C. die äußerste Grenze bezeichnet, die nur ausnahmsweise erreicht wird. Unter Umständen, z. B. bei Verletzungen des Rückenmarks, kommt noch nach bereits eingetretenem Tod eine Wärmesteigerung auf 43-44° C. vor.

Nächst der Wärmezunahme liefert zweitens der Puls das wertvollste Zeichen für den Eintritt von Fieberbewegungen, und wenngleich dieses nicht an die Sicherheit der Thermometerbestimmungen heranreicht, so ist es doch diesen gegenüber nicht zu vernachlässigen. Es kommen verschiedene Pulsvarietäten im F. vor, allein keine derselben ist dem F. ausschließlich eigentümlich. In jedem F. ist der Puls frequenter, d. h. er macht in der Minute mehr Schläge als normal, und zwar hält die Frequenz im allgemeinen gleichen Schritt mit der Höhe der Körpertemperatur. Kleine Kinder und zarte Frauen zeigen bei gleich hohem F. einen frequentern Puls als Männer. Bei Kindern im ersten Lebensjahr, welche normalerweise 130 Pulsschläge in der Minute haben, erreicht die Frequenz im F. leicht 160-200 Schläge, so daß der Puls fast nicht zu zählen ist. Kinder von 2-4 Jahren haben schon bei leichterm F. 120-140 und mehr Pulsschläge. Erwachsene, welche in gesunden Tagen etwa 72 Pulsschläge in der Minute haben, zeigen deren im F. 90-120. Jede Körperbewegung, jeder Gemütsaffekt, schon das Aufrichten im Bett erhöht bei Fieberkranken die Zahl der Pulsschläge und zwar um so mehr, je hinfälliger der Kranke bereits ist. Der Fiebernde zeigt ferner gewöhnlich einen schnellen Puls, d. h. bei jedem einzelnen Pulsschlag erhebt sich die Arterie schnell, wie springend, unter dem tastenden Finger, und fällt ebenso schnell wieder ab. Während des Frostes und im Beginn entzündlicher F. ist der Puls gespannt, härtlich anzufühlen, was von einem Krampf der Arterienmuskulatur abhängt (sogen. unterdrückter Puls). Ein schlimmes Zeichen bei Fiebernden ist es, wenn der Puls doppelschlägig wird, d. h. wenn statt je eines Pulsschlags zwei schnell hintereinander folgende Erhebungen des Arterienrohrs stattfinden. Dieser doppelschlägige (dikrotische) Puls wird nur bei schweren nervösen