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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Frankreich

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Frankreich (Geschichte: die Kapetinger).

krönen, und dieser folgte ihm als Heinrich I. (1031-1060). Die Regierung desselben war durch manche Kämpfe mit Verwandten und Vasallen beunruhigt und daher erfolglos. Nur hatte der König das Glück, 1059, ein Jahr vor seinem Tode, die Krönung seines Sohns in Anwesenheit der Häupter des Klerus und des Adels feiern zu können. Dieser, Philipp I. (1060-1108), war von zügellosen Sitten und zog sich durch sein anstößiges eheliches Leben den Bann der Kirche zu. Von allen ritterlichen Unternehmungen hielt er sich fern und nahm auch nicht am ersten Kreuzzug teil, welchem sich die meisten französischen Großen anschlossen. Wurde hierdurch das Königtum von manchem unbotmäßigen Vasallen befreit, so erwuchs eine schwere Gefahr für die französische Monarchie infolge der Eroberung Englands durch Herzog Wilhelm von der Normandie (1066), da nun der mächtigste französische Vasall eine unabhängige Königskrone trug.

Die Zeit größerer Kraft und stärkern Einflusses begann für das französische Königtum erst, als Philipp I., durch die Last der Jahre und seiner Unfähigkeit niedergedrückt, 1101 seinen Sohn Ludwig zum Mitregenten berief und dieser 1108 auf dem Thron folgte. Ludwig VI. ("der Dicke", 1108-37) war lebhaft, mutig, von klarem Urteil und scharfem Blick für das Richtige und Angemessene. Er strebte zwar noch nicht die Unterwerfung seiner großen Vasallen unter den königlichen Willen an, aber in seiner unmittelbaren Umgebung, in den königlichen Domänen Isle de France und Orléanais, Sens und Bourges, wollte er Herr sein, wollte er die Kirche und das niedere Volk, die bisher schutzlos dem Wüten raubgieriger Burgherren preisgegeben waren, in ihren Rechten und ihrem Eigentum schützen. Während der rohe und übermütige Adel immer zahlreicher nach dem Heiligen Land auswanderte und die Normannen ihre Politik und ihre Kräfte auf England wandten, dehnte unter Ludwigs Leitung das königliche Haus im engen Bund mit der Kirche, welche die weltlichen Großen sehr zu fürchten hatte, unter beständigen kleinen Kämpfen seinen Einfluß über das Zentrum Frankreichs aus. Er begünstigte die Städte durch so zahlreiche und ausgiebige Privilegien, daß man ihn vielfach als den Begründer der städtischen Freiheit in F. preist. Aber auch das bisher in dumpfer Knechtschaft verkommene Landvolk durchzog ein freierer und kühnerer Geist. Zugleich lernte es den König als seinen eigentlichen Herrn und Führer, seinen Verteidiger und Wohlthäter betrachten. Das Gefühl der durch das Königtum repräsentierten Reichseinheit machte sich immer mehr in den Gemütern des Volkes geltend. Mit Hilfe solcher Bundesgenossen zwang Ludwig VI. seine trotzigen Lehnsträger zum Gehorsam, und bald sah man sie auf des Königs Aufgebot mit ihren Mannen zu dessen Heere reiten. Als der deutsche Kaiser. Heinrich V. den französischen König mit einem Krieg bedrohte, scharten sich Große, Ritter und Volk wetteifernd in Reims um das königliche Banner (1124), so daß der Kaiser sein Vorhaben aufgab. Am Ende seines Lebens genoß Ludwig VI. noch den Triumph, seinen ältesten Sohn, Ludwig, mit Eleonore, der einzigen Tochter und Erbin des Herzogs Wilhelm X. von Aquitanien, vermählt zu sehen. Bald darauf starb Ludwig VI. (1. Aug. 1137) nach einer Regierung, welche dem Königtum wesentlich festere Grundlagen verliehen hatte.

Sein Nachfolger Ludwig VII. (1137-80), abergläubisch fromm und unentschlossen, bald wild leidenschaftlich, bald apathisch, unternahm 1147, um die grausame Züchtigung der aufrührerischen Champagne zu sühnen, gemeinsam mit dem deutschen König Konrad III. einen Kreuzzug nach Palästina, welcher erfolglos blieb. Er überließ dem klugen und thatkräftigen Abt Suger von St.-Denis, der schon seinem Vater zur Seite gestanden, während seiner Abwesenheit die Verwaltung des Reichs, und dieser kräftigte durch Förderung der Städte und durch Erhöhung des Ansehens und der Macht der königlichen Gerichte die königliche Gewalt. Alle bisherigen Erfolge wurden aber wieder gefährdet, als Ludwig sich von seiner sittenlosen Gemahlin Eleonore von Aquitanien trennte und es zuließ, daß diese ihr Erbgut, die Provinzen Poitou, Guienne, Gascogne u. a., ihrem zweiten Gemahl, Heinrich Plantagenet, der 1154 König von England wurde, zubrachte. Dadurch kam ein großer Teil Frankreichs (27 der jetzigen Departements) unter englische Herrschaft. Ludwigs Besitz war nicht halb so groß als der des englischen Königs, der ihn 1169 im Vertrag von Montmirail noch zwang, ihm Quercy und Bretagne abzutreten. So ungünstig auch bei dem Tod Ludwigs VII. (18. Sept. 1180) anscheinend die Sache der Kapetinger den Plantagenets gegenüberstand, so hatten doch jene einen mächtigen Rückhalt an dem Begriff ritterlicher Treue, der sich allmählich in dem ganzen Adel entwickelt hatte, sowie an der festen Anhänglichkeit der zahlreichen und wohlbegüterten Städte und der geknechteten, nur vom Königtum geschützten Bauern. Während so die königliche Autorität langsam unter vielfachen Wandlungen erstarkte, nahmen Bildung und Geistesthätigkeit bedeutend zu, angeregt durch die Berührung mit der höhern orientalischen Kultur in den Kreuzzügen. Diese erfüllten die kriegerischen Klassen mit idealem Enthusiasmus und zugleich mit Vorliebe für das Abenteuerliche und Gefährliche. In F., das sich ja mehr als alle andern Nationen an den Kreuzzügen beteiligte, erhielt dieses "Rittertum" seine erste Ausbildung und entfaltete hier seine höchste Blüte; auch die ritterliche Poesie entstand auf französischem Boden. In den Städten erfand man die sogen. gotische Architektur, die, von den reichen Bürgern eifrig gepflegt, die herrlichsten Bauwerke des Mittelalters hervorbrachte und sich siegreich über das ganze Abendland verbreitete. So herrschte im F. des 12. Jahrh. außerordentliche Rührigkeit, Frische und Fruchtbarkeit des geistigen Lebens.

Der Sohn Ludwigs VII., Philipp II. ("Augustus", d. h. Mehrer des Reichs, 1180-1223), der 1180, 15 Jahre alt, den französischen Thron bestieg, war ein hochbegabter Fürst, von klarer Einsicht, besonnen, energisch, sparsam, nüchtern und schlau, freilich auch hart, habgierig und treulos. Er erkannte bald, daß die französischen Könige vor allem danach streben müßten, die Macht des Hauses Plantagenet in F. zu brechen und die französischen Besitzungen desselben an sich zu bringen. Solange fremde Herrscher von größerer Macht als der König von F. dessen Vasallen waren, konnte der französische König nicht die Unterordnung der Lehnsmannen unter seine Gewalt erreichen. Die Empörungen der Söhne Heinrichs II. gegen den Vater, dann ihr Zwist untereinander begünstigten Philipps Politik. 1189 mußte Heinrich Berry und Auvergne an die französische Krone abtreten. Der Beteiligung am dritten Kreuzzug konnte sich Philipp nicht entziehen. Aber sofort nach der Eroberung von Akka kehrte er nach F. zurück und benutzte die lange Abwesenheit Richards von seinem Reich, dessen treulosen Bruder Johann durch das Versprechen, ihm zum englischen Thron zu verhelfen, zur Abtretung des östlichen Teils der Normandie und