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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Frankreich

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Frankreich (Geschichte: die erste Revolution).

winden, die sich im Mai 1787 trennte, ohne ein bestimmtes Ergebnis erzielt zu haben, aber nachdem sie das inhaltschwere Wort ausgesprochen hatte: nur die Generalstände des Reichs seien eine allgemeine Reform zu bringen berufen und im stande. Nun wollten Ludwig XVI. und Brienne ihre Reformen selbständig durchführen, trafen dabei aber bald auf den Widerstand des von Ludwig XVI. selbst wiederhergestellten Parlaments. Um dasselbe geschmeidig zu machen, wurde es nach Troyes verlegt; aber seine Zustimmung zu einer neuen Anleihe konnte nur durch Aufopferung der beabsichtigten Reformen und seine Rückberufung nach Paris erkauft werden. Parlament und Adel, in ihren Vorrechten bedroht, scheuten sich nicht, die Volksmassen gegen das Königtum aufzuhetzen, so daß es schon im Frühjahr 1788 zu blutigen Zusammenstößen kam, bei welchen die Truppen, von ihren aristokratischen Offizieren verleitet, sich unzuverlässig zeigten. Das Parlament erklärte, aller geschichtlichen Überlieferung zuwider, F. für eine konstitutionelle, durch die Generalstände beschränkte Monarchie (3. Mai 1788). Brienne wagte diesem Sturm nicht zu widerstehen; er selbst riet dem König, Necker wiederum zum Finanz- und leitenden Minister zu ernennen (August 1788). Necker wollte der Forderung der Nation genügen und die Generalstände einberufen, welche selbst die nötigen Anordnungen treffen sollten, d. h. er wollte eine wahrhafte Revolution durchführen, ohne doch eine Ahnung von der Tragweite dieses Schrittes zu haben. Die Ankündigung der Generalstände rief eine ungeheure Bewegung hervor, welche sich in 2-3000 Flugschriften kundthat; die bedeutendste unter denselben war die des Abbé Sieyès: "Qu'est-ce que le tiers-état?", welche dem Bürgerstand die hervorragendste Rolle in dem politischen Leben der nächsten Zukunft zusprach. Die Wahlen zu den Generalständen, bei denen der Hof dem dritten (dem bürgerlichen) Stand ebenso viele Vertreter (600) bewilligte wie dem Adel (300) und der Geistlichkeit (300) zusammengenommen, gingen unter allgemeinster Beteiligung, doch noch mit verhältnismäßiger Ruhe vor sich. Allein die ganze Nation war von dem Wunsch erfüllt, dem unfähigen Despotismus, wie er unter Ludwig XVI. bestand, ein Ende gemacht zu sehen, und zumal der dritte Stand forderte Beseitigung der drückenden und ungerechtfertigten Vorzüge des Adels und der Geistlichkeit.

Ausbruch der Revolution. Die konstituierende Nationalversammlung.

Am 5. Mai 1789 traten die Generalstände in Versailles zusammen, ohne daß ihnen von der Regierung irgend ein Programm vorgezeichnet worden wäre. Sofort stellte der dritte Stand die Forderung auf, nach Köpfen und nicht nach Ständen abzustimmen, um so die Mehrheit zu haben, und da Adel und Geistlichkeit zum größten Teil hierauf nicht eingingen, konstituierte er sich allein als Nationalversammlung (Assemblée nationale constituante). Als die Regierung einen Versuch machte, diese Zusammenkunft aufzulösen, begaben die Mitglieder sich nach dem sogen. Ballhaus und schwuren hier, sich nicht zu trennen, bis sie die neue Verfassung des Königreichs aufgerichtet hätten (20. Juni 1789). Der König stieß zwar in einer sogen. königlichen Sitzung den Beschluß des dritten Standes wieder um und befahl die getrennte Beratung; indes auf des beredten und kühnen Grafen Mirabeau Antrag beschlossen die Gemeinen, bei ihren bisherigen Maßnahmen zu verharren (23. Juni). Der jedes mutigen Entschlusses unfähige König ließ sie gewähren. Nun traten immer mehr Geistliche und Adlige der Nationalversammlung bei. Noch einmal brachten die Höflinge den König dazu, Truppen herbeizuziehen, Necker zu verbannen und einen Streich gegen die Versammlung selbst vorzubereiten; aber die Soldaten versagten den Dienst gegen das Volk, und so vermochten 14. Juli 1789 die Pariser die Zwingburg ihrer Stadt, die Bastille, zu erstürmen. Das alte Regierungssystem war gründlich gestürzt; Ludwig XVI. mußte Necker zurückrufen und sich selbst nach Paris begeben, welches den Präsidenten der Nationalversammlung, den edlen, gemäßigten Bailly, zu seinem Maire und den aus dem amerikanischen Krieg als freiheitliebend bekannten Marquis v. Lafayette zum Befehlshaber seiner aus Bürgern gebildeten Nationalgarde ernannte.

Auch in den Provinzen ging überall die Regierungsgewalt an die Erwählten der Bevölkerungen über, während gleichzeitig Bauernaufstände gegen den Adel stattfanden. Dieser hielt es für geraten, in der Nachtsitzung der Nationalversammlung vom 4. Aug. 1789 selbst seine Vorrechte freiwillig zum Opfer zu bringen. Allgemeine Gleichheit, persönliche Freiheit, Volkssouveränität wurden von der Versammlung als unentbehrliche "Menschenrechte" erklärt. Aber dieses ruhige Fortschreiten genügte den wilden Demagogen nicht, unter denen sich der ebenso ehrgeizige wie gewissenlose Herzog von Orléans, ein königlicher Prinz, befand; er hetzte den Pariser Pöbel auf, 5. Okt. 1789 nach Versailles zu ziehen, 6. Okt. das Schloß zu stürmen, wobei die Leibgarden niedergemetzelt wurden, und den König zu zwingen, sowohl seinen Sitz als den der Nationalversammlung nach Paris zu verlegen und so die Staatsleitung dem Einfluß der revolutionären Elemente der Hauptstadt preiszugeben. In Paris ging die Nationalversammlung seit November 1789 an die Ausarbeitung einer Verfassung auf Grund der vernunftmäßigen Aufklärung ohne alle Rücksicht auf die geschichtlichen Verhältnisse und an die Neueinteilung Frankreichs in 83 nach geographischen Beziehungen abgegrenzte Departements. Verfassung und Verwaltung beruhten ganz auf gewählten Abgeordneten und Beamten, so daß dem Monarchen mit dem beschränkten Veto nur wenig mehr als der Name übrigblieb. Allgemeine Religionsfreiheit ward durchgeführt, jedoch die Geistlichkeit der Staatsgewalt unterworfen und zum Eid auf diese Konstitution verpflichtet; die Folge war ein fast allseitiger Widerstand des Klerus (1790). Die Kirchengüter wurden eingezogen, um zum Besten des Staats verkauft zu werden; einstweilen wurde auf ihnen ein Papiergeld, die Assignaten, fundiert. Der Adel ward ganz abgeschafft.

Während dieser sich überstürzenden Reformen herrschte äußerlich eine gewisse Ruhe und Gesetzlichkeit. Mirabeau, der selbst die Leitung des Staats zu erhalten wünschte, verdrängte im September 1790 Necker aus dem Ministerium, nachdem letzterer bereits längst die allgemeine Achtung verloren hatte; aber Ludwig XVI. wollte in seiner Verblendung nichts von Mirabeau wissen. Gekränkt und unmutig, voll der trübsten Ahnungen für die Zukunft, starb Mirabeau 4. April 1791, und nun hatten die extremen Revolutionäre freien Spielraum. Mit Schrecken sahen die bisherigen Führer der Linken, Lameth, Lafayette, Duport, sich von den Leitern des wilddemokratischen Klubs der Jakobiner, Robespierre, Marat u. a., überholt und bedrängt. Robespierre setzte Ende Mai 1791 in der Nationalversammlung den Beschluß durch, daß kein Mitglied derselben für die nächstfolgende Versammlung wählbar sein sollte. Ludwig XVI. wollte