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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Französische Litteratur

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Französische Litteratur (Theologie, Pädagogik, Geschichte).

Lerminier, De l'influence de la philosophie du XVIII. siècle sur la législation et la sociabilité du XIX. siècle (1833).

Theologie.

Es konnte nicht fehlen, daß die Theologie der Franzosen von der materialistischen Richtung ihrer Philosophie scharf berührt wurde; die Reformation und der Jansenismus (s. Jansen) fanden wohl zahlreiche Anhänger und Bekenner in Frankreich, aber die orthodoxen Theologen der Sorbonne nahmen die weltliche Macht zu Hilfe, um gegenteilige Überzeugungen gewaltsam zu unterdrücken. Die Jesuiten, welche die theologische Litteratur fast ausschließend in Händen hatten, trugen wenig dazu bei, die alten Vorurteile auf wissenschaftlichem Weg zu beseitigen, und auch jetzt noch erfreut sich die Theologie in Frankreich keiner streng wissenschaftlichen Begründung. Aus dem 16. Jahrh. sind Calvin (1509-64) und sein geistreicher Nachfolger Theodor Beza (1519-1605) zu nennen; im folgenden Jahrhundert müssen als ausgezeichnet auf dem Felde der theologischen Gelehrsamkeit genannt werden: der Jesuit J. ^[Jacques] Sirmond (1559-1651), bedeutend besonders auf dem Gebiet der Konziliengeschichte, der Dogmatiker D. Petau (Petavius, 1583-1652) und die Kirchenhistoriker P. Labbé (gest. 1667), Tillemont (gest. 1698) und Fleury (gest. 1723). Neben ihnen bewegen sich Pascal (gest. 1662), Ant. Arnauld (gest. 1694), Nicole (gest. 1695) u. a. meist in apologetischen und polemischen Räsonnements. Dann kam die theologisch-philosophische Aufklärung als Vorläuferin der Revolution. Ein Einlenken auf konservativere Bahnen machte sich nach dem großen Sturm, der Kirche und Christentum weggefegt hatte, zuerst wieder in der Emigrantenlitteratur bemerkbar; so zuerst in Chateaubriands "Génie du christianisme". Auch Benj. Constant (gest. 1830) versuchte eine Art von Religionsphilosophie aufzustellen. Kaum mehr Erfolg hatten die Bemühungen des geistreichen Lamennais (gest. 1854), der aus einem entschiedenen Verteidiger ultramontaner Interessen deren radikalster Gegner wurde. Von denen, welche in neuerer Zeit die Sache der katholischen Kirche vertreten haben, erwähnen wir noch den Grafen Montalembert (1810-70), den Bischof Gerbet (gest. 1864) und den Philosophen Ozanam (gest. 1854). Ebenfalls Gegner der Aufklärung ist der Elsässer Bartholméß, der aber im Christentum hauptsächlich das Ethische hervorhebt, während L. Veuillot die streng katholische Richtung in der Presse und im Roman vertritt; feindlich gegen dieselbe traten Edgar Quinet (gest. 1875) und Michelet (gest. 1874) auf. Einer freiern Richtung gehört an der gläubige Protestant E. de Pressensé ("Histoire des trois premiers siècles de l'Église chrétienne"); vollends der Katholik Renan ("Vie de Jésus" und die sechs folgenden Bände der "Origines du Christianisme") hat in Frankreich eine ähnliche Bedeutung gewonnen wie bei uns D. F. Strauß. Glänzende Namen hat die Kanzelberedsamkeit aufzuweisen. Außer Claude de Lingendes (gest. 1660) und J. ^[Jean] François Sénault (gest. 1672) nennen wir vor allen Bossuet (1627-1704), der vorzüglich in seinen Leichenreden durch Schwung der Gedanken und klassische Würde der Darstellung zu erschüttern wußte. Ihm schließt sich als jüngerer Zeitgenosse Fénelon (gest. 1715) an, der durch Einfachheit und Natürlichkeit zum Herzen sprach. Bourdaloue (gest. 1704) wirkte mehr auf den Verstand und war gründlich in Disposition und Ausführung, während der geschmackvolle und elegante Massillon (gest. 1742) als ein vollendetes Muster französischer Kanzelberedsamkeit auch von Protestanten neben Demosthenes gestellt wurde. Fléchier (gest. 1710) vereinigte rhetorische Kunst mit sorgsamer Korrektheit und glänzte besonders in seinen Trauerreden; J. ^[Jacques] Saurin (gest. 1730) war, was Kraft des Gedankens betrifft, der Bossuet der Protestanten. Seit der Regierung Ludwigs XV. war die kirchliche Beredsamkeit in fortwährendem Sinken begriffen. Erst unter den neuern geistlichen Rednern machen J. B. ^[Jean Baptiste Henri] Lacordaire (gest. 1861), Abbé Ravignan (gest. 1858) und ganz besonders Loyson (Père Hyacinthe), aber auch sein Gegner, Bischof Dupanloup, Aufsehen. Monods Reden verdienen protestantischerseits Erwähnung. -

Für die Pädagogik hat die f. L. in diesem Jahrhundert von weiblichen Händen in den "Lettres sur l'éducation" der Mad. Guizot, in der Schrift "De l'éducation des femmes" der Mad. Rémusat, desgleichen in dem Werk "De l'éducation progressive" der Mad. Necker de Saussure, außerdem auch in Theodor Fritz' "Esquisse d'un système complet d'instruction et d'éducation et de leur histoire" (1841-43) und in Dupanloups "L'éducation" (1855-62, 3 Bde.) wertvolle Beiträge geliefert.

Geschichte.

Die Geschichtschreibung begann in Frankreich erst im 12. Jahrh. sich freier herauszubilden. Vorher waren die geschichtlichen Arbeiten der französischen Mönche von geringer Bedeutung und mit denen der deutschen Annalisten nicht zu vergleichen. Nur Hugo v. Fleury und Albertus Aquensis wären zu nennen. Dagegen sind treffliche Geschichtsbücher in lateinischer Sprache die Geschichte Philipp Augusts von Rigord, die Chronik des Wilhelm von Nangis (13. Jahrh.) und das "Speculum" des Vincent von Beauvais. Als das erste Geschichtswerk in französischer Sprache gilt des Marschalls Geoffroy de Villehardouin (gest. 1213) Geschichte der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer, der er selbst beigewohnt. Aus dem 13. Jahrhundert stammt auch Jean de Joinvilles (1224-1318) treuherzig und unparteiisch gehaltene "Histoire de Saint-Louis". Indem sowohl Villehardouin als Joinville bei ihren Darstellungen von persönlichen Erlebnissen ausgingen, bieten sie das erste Beispiel von der Form der Memoiren oder Denkwürdigkeiten, welche Gattung in Frankreich seitdem besonders geblüht hat. Ihnen schlossen sich im 15. Jahrh. die Denkwürdigkeiten Oliviers de la Marche und die Philipps de Comines an. Die Werke dagegen, welche, auch in der Volkssprache, die Weltbegebenheiten ihrer Zeit darstellten, nannte man Chroniken. Unter den Chronisten des 15. Jahrh. zeichnen sich Froissart (1337-1410) in seinen den Geist der Zeit treu wiedergebenden "Chroniques de France, d'Angleterre, etc.", der freimütige und naive, wenn auch dogmatisch befangene Juvenal des Ursins (gest. 1473) in seiner Geschichte Karls VII. und Enguerrand de Monstrelet (gest. 1453), der Fortsetzer von Froissarts Werk, besonders aus. Claude de Seyssel (gest. 1520) trug durch seine "Histoire de Louis XII." und seine "Grande monarchie de France" zur Gestaltung einer einfachen, natürlichen historischen Darstellung bei. Überhaupt gewann mit dem Studium der klassischen Litteratur die historische Kunst an Gediegenheit und Korrektheit, verlor aber auch die alte treuherzige Naivität des von Joinville angegebenen Memoirentons. In der (anonymen) "Histoire du chevalier Bayard et de plusieurs choses advenues sous les règnes de Charles VIII, Louis XII