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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Französische Sprache

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Französische Sprache (Alt-, Mittel-, Neufranzösisch; Aussprache).

römischen Heere und Kolonien, wie in den übrigen Provinzen des römischen Reichs, so auch in Gallien verbreitete. Sie drängte die einheimischen Idiome (Iberisch, Keltisch, Germanisch) zurück, wurde aber auch durch dieselben bedeutend modifiziert, im Norden namentlich seit dem Eindringen der Franken (seit dem Anfang des 5. Jahrh.) durch das Germanische, während die altbegründete romanische Sprache im Süden weniger germanischen Einfluß erfuhr und sich weniger von dem Charakter des Lateinischen entfernte. Nachdem die Franken im Norden 300 Jahre lang geherrscht hatten, zeigte es sich bei der Teilung des Reichs 843, daß dort, im westlichen Frankenreich (Francia occidentalis), die romanische Sprache (lingua romana) ebenso wie im Süden die allgemeine Volkssprache geblieben war. Die beiden galloromanischen Sprachen des Südens und des Nordens, ohne Zweifel von ihren Anfängen an verschieden, allmählich ihren besondern Eigentümlichkeiten nach weiter ausgebildet, behaupteten doch insoweit ihre engere Verwandtschaft, daß man sie später die beiden Hauptmundarten Frankreichs nennen konnte. Die Grenze zwischen ihnen bildete ungefähr die Loire, genauer eine Linie, welche von Grenoble bis La Rochelle um Dauphiné, Lyonnais, Auvergne und Limousin sich hinzieht. Wie man die südliche, jetzt auch die südfranzösische geheißen, die Langue d'oc nannte (s. Provençalische Sprache), so wurde die nördliche, eigentlich französische oder nordfranzösische, die Langue d'oïl oder d'oui genannt. Von letzterer besitzen wir aus dem 9. und 10. Jahrh. eine Reihe von Proben; daher darf das Französische sich rühmen, unter sämtlichen romanischen Sprachen die ältesten Denkmäler zu haben. - Diese Sprache war wiederum von frühen Zeiten an in verschiedene Mundarten geschieden. Die hauptsächlichsten fallen in folgende, auch politisch unter eignen Herzögen oder Grafen selbständige, drei Gebiete: Normandie, Picardie und Bourgogne. Zwischen ihnen die Mitte haltend und dazu bestimmt, sie in sich zu vereinigen und alsdann zu überflügeln, liegt das vierte Sprachgebiet: Isle de France mit der Hauptstadt Paris. Seit der Usurpation des königlichen Throns durch Hugo Capet, Herzog von Francien, also seit 987, erlangte allmählich der Dialekt von Isle de France einen Vorrang vor den andern Dialekten, im Gegensatz zu denen man ihn speziell den französischen (le François, le parler de France) nannte. Was man außerdem noch als einen besondern Dialekt angesehen hat, das Anglonormännische, ist nichts andres als der normännische mit Abweichungen oder Entartungen, welche sich auf englischem Boden unter den dortigen besondern Verhältnissen entwickelten. - Die ganze nordfranzösische Sprache vom 9. bis zum 16. Jahrh. nannte man bisher das Altfranzösische. Es empfiehlt sich aber die Scheidung von Altfranzösisch (9.-13. Jahrh.) und Mittelfranzösisch (14.-16. Jahrh.) nach der Analogie der verschiedenen Sprachstufen andrer Gebiete. Die altfranzösische Sprache in dieser Begrenzung ist die eigentliche Langue d'oïl; sie ist hauptsächlich charakterisiert durch die von Raynouard entdeckte Règle de l's (Sing. Nom. rois, Akk. roi; Plur. Nom. roi, Akk. rois), welche sie mit der provençalischen Sprache gemein hat. Die Sprache von Paris erhielt im 13. Jahrh. entschieden das Übergewicht über alle andern Mundarten und wurde, besonders nach den unglücklichen Albigenserkriegen, immer mehr für ganz Frankreich zur Schriftsprache erhoben, obwohl die Mundarten auch noch weiter bis ins 15. Jahrh. hinein litterarisch benutzt wurden. Die bedeutende Umänderung der Sprache, welche in der ersten Hälfte des 14. Jahrh. eintrat mit dem Aufhören der Règle de l's und mit der Erhebung des s zum allgemeinen Pluralzeichen, bezeichnet den Fortgang zum Mittelfranzösischen, welches schon Langue d'oui ist. - Seit Franz I., der 1539 eine Professur für die f. S. in Paris errichtete und an die Stelle des Gebrauchs der lateinischen Sprache bei Gerichten den der Landessprache setzte, näherte sie sich schneller dem neufranzösischen Charakter, welchen man vom Anfang des 17. Jahrh. datiert (s. Malherbe). Doch erst dem Zeitalter Ludwigs XIV. war es vorbehalten, mit Beihilfe der französischen Akademie der Sprache ihre volle Eleganz, Bestimmtheit, Schärfe und Harmonie und eine streng abgegrenzte Gestalt zu geben. Seit 1735 wurde die f. S. zur allgemeinen Staats- oder diplomatischen Sprache erhoben. Für das weitere Fortschreiten der französischen Sprache bezeichnend ist, daß die französische Akademie nach der 6. Auflage ihres Wörterbuchs (1835) über 2000 neue Wörter in die 7. Auflage (1878) aufzunehmen hatte.

Als charakteristische Eigenschaften der französischen Sprache, die ihr wenigstens in vorzüglichem Grad zukommen, hebt man folgende hervor: Klarheit, Bestimmtheit und Regelmäßigkeit, Reinheit der Ausdrücke, Lebhaftigkeit. Diese Vorteile, innig verbunden mit ihrem gesamten eigentümlichen Gepräge, verleihen ihr einen Reiz, welcher sie bei allen Nationen beliebt macht. Die Einfachheit, Natürlichkeit und Regelmäßigkeit ihrer Wortfolge im Satzbau erleichtert auch ihre Erlernung. Man unterscheidet im Französischen, wie in andern gebildeten Sprachen, eine Aussprache für die gelegentliche, ohne besondern Nachdruck gehaltene Rede, für das Gespräch oder die Unterhaltung (la conversation) und eine solche für die Deklamation oder den Vortrag (getragene Rede, le discours soutenu, le style soutenu). Die Aussprache der Konversation oder Umgangssprache zeichnet sich durch ihre Flüchtigkeit, Freiheit und eine gewisse Nachlässigkeit aus ("en France, la prononciation est rapide comme l'esprit des Français"). Sie gleitet leicht über hindernde Konsonanten weg und elidiert in den meisten Fällen das kurze, dumpfe e, sowohl in der Mitte als am Ende der Wörter. Die Aussprache der Deklamation oder getragenen Rede ist dagegen im ganzen langsamer, ernst und nachdrücklich. Die Vokale sowie die Konsonanten werden deutlicher artikuliert, das "stumme" e wird in vielen Fällen als besondere Silbe vernehmlich gesprochen, die zulässigen Verbindungen der Endkonsonanten mit den Anfangsvokalen der folgenden Wörter werden streng beobachtet. Der größere Raum, wo der öffentliche Redner auftritt, der Ernst und die Wichtigkeit des Gegenstandes, den er zu behandeln hat, legen ihm die Notwendigkeit auf, langsamer, lauter, bestimmter und deutlicher auszusprechen. Die Aussprache der Poesie (der Vortrag der Verse) hat überdies noch ihre speziellen Vorschriften; sie verlangt die größte Sorgfalt, die höchste Rundung, Nüancierung und sozusagen pittoreske Lebendigkeit des Ausdrucks. In ihr müssen die Gesetze der Orthoepie (über Bindung, Doppelkonsonanten u. a.) auf das strengste befolgt werden. Die im Französischen üblichen Lautzeichen, die lateinischen Buchstaben, reichen bei weitem nicht aus, alle Laute und Modifikationen der Sprache darzustellen; ein und derselbe Laut wird nicht immer durch dasselbe Zeichen dargestellt, sondern durch verschiedene zusammengesetzte Zeichen, und öfters dient dasselbe Zeichen, verschiedene Laute darzustellen.