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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Friesen

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Friesen (Volk).

tum über die Grenze von Mittelfriesland hinaus weiter nach O. zu verbreiten; dort ward noch Winfried-Bonifacius nebst dem Bischof Eoban von Utrecht 754 von den Heiden erschlagen. Inzwischen hatte Karl Martell 734 einen zweiten Zug nach Friesland unternommen und über Aldgisls Nachfolger Poppo einen Sieg gewonnen. Seit dieser Schlacht, in der Poppo fiel, ist von einem Herzog, dessen Gewalt sich über alle Teile Frieslands erstreckt hätte, nicht mehr die Rede; an der Spitze der einzelnen Gaue oder Hundertschaften scheinen besondere, vom Volk gewählte Vorsteher gestanden zu haben, die vielleicht schon jetzt in einer Art von Bundesverfassung lebten. Trotzdem hatte noch Karl d. Gr. eine letzte Erhebung der F., die sich an die Sachsenkriege anschloß, niederzuschlagen; seitdem war Friesland dem Christentum und dem fränkischen Reich völlig unterworfen. Insbesondere werden Handel und Schiffahrt als Beschäftigungen der F. in dieser Zeit erwähnt; ihre Schiffer fuhren in slawische Lande (einmal die Elbe hinauf bis zur Havel), und friesische Kaufleute begegnen sich in sehr verschiedenen Teilen des fränkischen Reichs, auch in England etc. Entweder unter Karl d. Gr. oder vielleicht schon früher fand auch die Aufzeichnung des friesischen Gesetzbuchs, der Lex Frisionum (s. Friesisches Recht), statt. Im allgemeinen wurde die Organisation der karolingischen Verfassung auch in Friesland durchgeführt, doch erhielten sich gerade hier noch manche Institutionen aus altgermanischer Zeit.

Durch den Vertrag von Verdun 843 kam bei der Teilung des fränkischen Reichs Friesland an Lothar und bildete also einen Teil von Lothringen, das 870 an das ostfränkische Reich oder Deutschland fiel. Als nach dem Tod Ludwigs des Kindes 911 Lothringen sich von Deutschland wieder lossagte und den westfränkischen König Karl anerkannte, blieb Friesland Konrad I. treu; so kam es, daß sich dieses von dem Verband der Länder ablöste, an denen der Name Lothringen haften blieb, u. während des ganzen Mittelalters eine besondere Landschaft bildete, deren Grenze gegen Sachsen die Weser, ein Nebenfluß derselben, die Wapel, und eine Linie von da westlich nach der Ems zu waren, während es im S. gegen Lothringen sich bis zur Mündung der Maas und des Rheins erstreckte (s. die "Geschichtskarte von Deutschland I"). In der Folge trennte sich das Geschick von Westfriesland von dem des übrigen Friesland. Dort entwickelte sich schon früh die Landeshoheit; neben den Grafen von Holland, deren Geschlecht sich bis zum Ausgang des 9. Jahrh. zurückverfolgen läßt, beherrschte besonders der Bischof von Utrecht ein größeres Territorium. So erlosch der Name der F. in den spätern Provinzen Holland, Zeeland und Utrecht; westlich von der Flie behauptete er sich nur auf einigen Inseln, wie Texel, und in der äußersten Spitze von Nordholland, welche erst nach langen Kämpfen im 13. Jahrh. den Grafen von Holland unterworfen wurde und noch jetzt den Namen Westfriesland führt. Währenddessen behaupteten die übrigen F. ihre Unabhängigkeit nicht nur den benachbarten Dynasten, sondern auch im großen und ganzen der Reichsgewalt gegenüber, die hier nur äußerst geringes Ansehen hatte. So entstand hier eine ganz eigentümliche, freie Landesverfassung, in welcher im Gegensatz zu den rings umher emporgekommenen feudalen Ordnungen altgermanische Rechtssatzungen fortbestanden. Die sieben friesischen Seelande bildeten nun einen Bund zu Schutz und Trutz gegen äußere Feinde. Jedes derselben zerfiel in Gaue und diese wieder in Bauerschaften, an deren Spitze aus der Mitte der Volksgenossen hervorgehende Richter und gewählte Talemänner (Sprecher) standen. Es gab gemeine Versammlungen der einzelnen Landschaften und Seelande; über allen stand die alljährlich am dritten Pfingsttag zusammentretende feierliche Versammlung von Abgeordneten aller F. am Upstallsboom (Obergerichtsbaum) unweit Aurich; hier wurde über Gegenstände von besonderer Wichtigkeit, Krieg und Frieden, Änderung der Landrechte u. dgl., beschlossen. In kirchlicher Beziehung waren die F. dem Erzbischof von Bremen und den Bischöfen von Münster und Utrecht untergeben, aber auch dem Klerus gegenüber behaupteten sie ihre Unabhängigkeit. So bestand die freie Landesverfassung während der ersten Hälfte des 13. Jahrh. fort; nur die zwischen Weser und Jade wohnenden Stedinger, die gleichfalls dem Stamm der F. angehörten, erlagen 1234 in der Schlacht von Altenesch einem gemeinschaftlichen Angriff des Erzbischofs von Bremen, des Grafen von Oldenburg und andrer Fürsten, und ihr Land ward mit Oldenburg vereinigt. Allmählich aber kamen in den einzelnen Teilen Frieslands Häuptlinge oder Dynasten empor, und infolge der immerwährenden Fehden zwischen denselben einerseits und der fortgesetzten Angriffe von außen anderseits gingen im Lauf des 14. Jahrh. Eintracht und Freiheit zu Grunde. Die Verbindung zwischen Mittel- und Ostfriesland lockerte sich mehr und mehr; jeder von beiden Landesteilen ging seine eignen Wege. In Mittelfriesland fanden im 14. Jahrh. fortwährende Kämpfe zwischen den reichen Vetkoopers (Fetthändlern) im Ostergo und den ärmern Schieringern im Westergo, die ihren Namen von der Aalfischerei hatten (Frieslands Schieraal), statt; erstere holten oft bei den Groningern und den Grafen von Holland Hilfe, letztere suchten die alte Volksfreiheit aufrecht zu erhalten. Trotzdem führten weder die Kriegszüge, welche namentlich Albrecht von Holland 1396-99 gegen die F. unternahm, zu einer dauernden Unterwerfung des Landes, noch gelang es Philipp von Burgund, seit er Holland in Besitz genommen hatte, seine Ansprüche auf Friesland durchzusetzen; vielmehr wurde die Reichsunmittelbarkeit der F. noch 1457 von Kaiser Friedrich III. ausdrücklich anerkannt. Erst Herzog Albrecht von Sachsen, den Kaiser Maximilian zum Lohn für ihm geleistete Dienste zum erblichen Reichsstatthalter in Friesland ernannt hatte, setzte 1498 die Anerkennung seiner Herrschaft durch und schlug einen Aufstand, der sich gegen ihn erhob, mit beispielloser Grausamkeit nieder. 1523 ging die Erbstatthalterschaft an Kaiser Karl V. über. Seitdem teilte Friesland die Geschicke der burgundisch-habsburgischen Niederlande, doch bewahrte seine innere Verfassung noch immer Spuren der alten stolzen und trotzigen Freiheit; auch hatte die niederländische Provinz Friesland nebst Groningen lange Zeit (1606-1747) besondere Statthalter aus einer Seitenlinie des oranischen Hauses, Nassau-Dietz.

Wesentlich anders und unabhängig davon hatten sich inzwischen die Geschicke von Ostfriesland gestaltet. Auch hier tobte das ganze 14. Jahrh. hindurch ein furchtbarer Kampf zwischen den einzelnen Häuptlingen, unter denen sich Focko Ukena und Ocko ten Brok besonders berühmt gemacht haben, bis endlich 10. Nov. 1430 ein neuer "Bund der Freiheit" geschlossen und Edzard Cirksena zum Anführer gewählt wurde. Er stand in inniger Verbindung mit den Hamburgern, die damals in Ostfriesland sehr mächtig waren, und erlangte von ihnen die Abtretung der bis dahin von Hamburg behaupteten Herrschaft über die schnell emporblühende Stadt Emden. Auf