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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Galilei

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Galilei (Galileo).

an den Pater Castelli (1613), die naturwissenschaftliche Forschung könne sich nicht durch den Wortlaut der Bibel hemmen lassen; vielmehr sei es Sache der Theologen, die Ausdrücke der Bibel in Übereinstimmung mit festgestellten Thatsachen der Naturwissenschaft zu erklären. Eine Abschrift dieses Briefs, welche den Dominikanern in die Hände fiel, wurde zu den heftigsten Angriffen und 1615 vom Pater Lorini zu einer Denunziation bei der römischen Inquisition benutzt. G., hiervon unterrichtet, begab sich alsbald nach Rom, und es gelang ihm, alle gegen seine Person gerichteten Verdächtigungen zu widerlegen, nicht aber, die Verdammung der Kopernikanischen Lehre zu hintertreiben. Im Februar 1616 wurde von elf Qualifikatoren des heiligen Offiziums die Lehre von der Bewegung der Erde für "thöricht und absurd vom philosophischen Standpunkt und für teilweise formell ketzerisch" erklärt und darauf hin 5. März das Buch des Kopernikus verboten. Am 25. Febr. erhielt der Kardinal Bellarmin vom Papste den Auftrag, G. vorzuladen und zu ermahnen, daß er die Kopernikanische Lehre aufgebe; im Fall einer Weigerung seitens Galileis solle ihm in Gegenwart von Notar und Zeugen der Befehl erteilt werden, daß er sich schlechthin enthalte, eine solche Meinung zu lehren, zu verteidigen und zu besprechen; wenn er sich hierbei aber nicht beruhige, so sei er einzukerkern.

Was hierauf geschehen, ist Gegenstand der Kontroverse. Das Protokoll einer 3. März 1616 gehaltenen Sitzung der Kongregation des heiligen Offiziums lautet: "Vom Kardinal Bellarmin wurde zuerst berichtet, daß der Mathematiker G. G. ermahnt worden, die bis dahin von ihm festgehaltene Meinung, die Sonne sei das Zentrum der Himmelskugel und unbeweglich, die Erde aber beweglich, aufzugeben, und daß er auf Widerspruch verzichtet habe". Anfang Juni kehrte G. nach Florenz zurück und lebte eine Reihe von Jahren zurückgezogen in der Villa Bellosguardo. Erst durch einen provokatorischen Angriff des Jesuiten Grassi sah sich G. veranlaßt, sein Schweigen zu brechen. Er publizierte 1623 eine dem Papst gewidmete Streitschrift: "Il Saggiatore", welche den Gegner zermalmte und trotz der Denunziation der Jesuiten nicht verboten, sondern belobt und empfohlen wurde. Dieser Erfolg und die Berufung des ihm befreundeten Kardinals Barberini (als Urban VIII.) auf den päpstlichen Stuhl ermutigten G., den längst gehegten Plan einer eingehenden, allgemein verständlichen Darstellung der Kopernikanischen Lehre zur Ausführung zu bringen, obwohl er 1624 bei seiner Anwesenheit in Rom einen Widerruf des Verbots vom 5. März 1616 ebensowenig erreichen konnte wie auch nur eine Duldung der Lehre des Kopernikus. Er wählte die Form des Dialogs zwischen Vertretern der alten Ptolemäischen und der Kopernikanischen Lehre und behandelte die letztere als Hypothese, brachte dabei aber so überzeugende Beweise für letztere vor, daß niemand über die Richtigkeit derselben in Zweifel bleiben konnte. Nach sechs Jahren war der "Dialogo di G. G. dove nei congressi di quattro giornate si discorre supra i due massimi sistemi del mondo; proponendo indeterminatamente le ragioni filosofiche e naturali tanto per l'una, quanto per l'altra parte" vollendet, und G. ging 1630 nach Rom, um sein Werk der Zensur des heiligen Offiziums zu unterwerfen. Erst nach zwei Jahren wurde das Imprimatur des römischen und des florentinischen Inquisitors erreicht und das Buch publiziert, welches das Verderben des Verfassers werden sollte. Während die Freunde über das Erscheinen des Buches jubelten, wußten die ergrimmten Feinde den Papst zu überzeugen, daß das Buch eine eminente Gefahr für die Kirche sei; man suchte zu erweisen, daß das Imprimatur erschlichen sei, und namentlich reizte man den Papst persönlich, indem man ihn glauben machte, der Verteidiger der alten Lehre, dem G. den Namen Simplicius beigelegt, solle ihn selbst vorstellen und der Lächerlichkeit preisgeben. Auf diese angeblich persönliche Verletzung, von welcher man den Papst zu überzeugen gewußt hatte, dürfte dessen unversöhnlicher Zorn hauptsächlich zurückzuführen sein. Eine Spezialkommission, welcher das Buch zur Prüfung überwiesen worden war, konnte gegen dasselbe nur Unerhebliches einwenden, nicht einmal so viel, um ein unbedingtes Verbot gerechtfertigt erscheinen zu lassen, sie kam vielmehr, nachdem sie eine Anzahl Fehler namhaft gemacht hatte, zu dem Schluß: "Alle diese Dinge könnten verbessert werden, wenn man urteile, das Buch, dem man diese Gunst erweisen wolle, sei von einigem Nutzen". Dagegen tauchte plötzlich ein Dokument aus dem Prozeß von 1616 auf, ein Protokoll vom 26. Febr., nach welchem G. namens des Papstes vom heiligen Offizium der Befehl erteilt sei, "oben besagte Meinung, daß die Sonne das Zentrum der Welt sei, die Erde dagegen sich bewege, ganz und gar aufzugeben und sie fernerhin in keiner Weise festzuhalten, noch zu lehren oder zu verteidigen weder in Wort noch in Schrift, andernfalls werde seitens des heiligen Offiziums gegen ihn verfahren werden; bei welchem Befehl sich derselbe beruhigt und zu gehorchen versprochen hat". Auf Grund dieses Befehls, den G. durch die Veröffentlichung der Dialoge direkt übertreten hatte, wurde das Inquisitionsverfahren gegen G. eröffnet.

Über die Echtheit dieses Protokolls ist in neuerer Zeit lebhaft gestritten worden, und die seit 1870 stark angewachsene G.-Litteratur beschäftigt sich hauptsächlich mit dieser Frage. Cantor, Gherardi, Günther, Hase, Martin, Riccardi, Scartazzini, Wohlwill u. v. a. halten das Protokoll für eine spätere Fälschung zu dem Zweck, dem Inquisitionsprozeß eine rechtliche Grundlage zu geben. Nach dem oben Mitgeteilten hatte der Papst Androhung des Inquisitionsprozesses nur für den Fall angeordnet, daß G. bei der Mitteilung des Dekrets der Indexkongregation gegen die Kopernikanische Lehre und auf die Mahnung, sich diesem Beschluß zu fügen, den Gehorsam verweigerte. Das Protokoll konstatiert, daß die Mahnung ausgesprochen wurde, es schweigt von Galileis Antwort, die seiner Gesinnung gemäß nur eine unterwürfige gewesen sein kann, und so erscheint die Androhung des Inquisitionsprozesses unvereinbar mit der päpstlichen Anordnung. Unvereinbar ist das Protokoll auch mit dem mitgeteilten Protokoll vom 3. März 1616, und es liegt deshalb nahe, den letzten Teil desselben als einen nachträglich, vermutlich im August 1632, hinzugefügten anzusehen. Die Echtheit des Protokolls wurde von einer Reihe andrer Schriftsteller, wie Berti, de l'Epinois, Friedlein, v. Gebler, Reusch, Wolynski etc., verteidigt. G. wurde trotz seines hohen Alters und trotz der lebhaften Verwendung des Großherzogs von Toscana nach Rom beschieden und traf dort 13. Febr. 1633 ein, wo er vorläufig im Palast des toscanischen Gesandten Niccolini wohnen durfte. Der Prozeß währte vom 12. April bis 22. Juni, G. wurde viermal verhört und saß 23 Tage gefangen im Palast der Inquisition. Das letzte Verhör Galileis fand 21. Juni statt, und betreffs dieses ist in den letzten Jahren ein lebhafter Streit entstanden, ob G. bei demselben gefoltert sei oder