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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gallien

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Gallien (Kulturzustand).

türlich jedesmal ihre eigentümlichen Spuren zurückließen. Über die Besitznahme durch die aus den Alpen kommenden Rätier s. Etrurien. Die keltische Ansiedelung ging so vor sich, daß die ersten Ankömmlinge das Land am Fuß der Alpen besetzten und die spätern das schon eroberte Land durchzogen und sich weiterhin ansiedelten. So wohnten gleich östlich vom Ticinus die ältesten Einwanderer, die Insubrer, mit der Hauptstadt Mediolanum (Mailand). Von den zusammenhängenden Sitzen der Kelten in G., welche nur im obern Thal der Duria (Dora Riparia) den Hauptkamm der Alpen gegen O. überschritten, waren sie durch die wahrscheinlich ligurischen Salassier (um das heutige Aosta) und die rätischen Leponter getrennt. Östlich von den Insubrern bis zur Etsch hin saßen die ebenfalls mächtigen und zahlreichen Cenomanen, welche sich aus Haß gegen die Insubrer früh den Römern unterwarfen und Verona zu ihrer Hauptstadt hatten. In Gallia cispadana war die wichtigste Völkerschaft die der Bojer, die einen großen Teil des Landes zwischen Padus und den Apenninen ausfüllten und den übrigen Kelten an Kultur vorangeschritten waren. Ebenfalls bedeutend war das Volk der Senonen, welches zuletzt in diese Gegenden eingewandert war und daher seine Wohnsitze am weitesten südlich nach Umbrien hinein bis an den Fluß Äsis (Esino) hatte nehmen müssen. Nördlich von letztern nach den Pomündungen zu waren die Sitze der Lingonen. Die bedeutendsten Städte in Transpadana sind: Augusta Taurinorum (Turin), Eporedia (Ivrea), Augusta Prätoria (Aosta), Vercellä (Vercelli), Comum (Como), Mediolanum (Mailand), Brixia (Brescia), Cremona, Mantua, Verona; in Cispadana: Placentia (Piacenza), Parma, Mutina (Modena), Bononia (Bologna), Forum Popilii (Forlimpopoli), Ferraria (Ferrara), Clastidium (Casteggio), Faventia (Faenza). Mehrere von den Römern angelegte Straßen beförderten die Verbindung sowohl der bedeutenden Städte untereinander als mit der Hauptstadt. Die Via Ämilia führte von Ariminum, wo sie sich an die nach Rom führende Via Flaminia anschloß, in gerader Linie den Fuß der Apenninen entlang nach Placentia am Po, welcher von da an schiffbar wurde; eine andre Straße führte nach Placentia südwestlich über Dertona und die Apenninen nach Ligurien und Gallia transalpina. Die politische Existenz von Gallia cisalpina reicht, genau genommen, nur bis in die Zeit des Augustus, indem damals dieses Land aufhörte, als römische Provinz angesehen zu werden, und von nun an zu Italien selbst gerechnet wurde. Als Augustus das ganze Italien der bessern Verwaltung halber in elf Regionen teilte, kamen auf Gallia cisalpina drei, die achte, zehnte, welche außerdem Venetien umfaßte, und die elfte Region.

[Kulturzustand.] Die alte Verfassung Galliens war eine aristokratische. Das ganze Volk zerfiel in eine große Menge kleinerer und größerer Völkerschaften, Gaue oder Clane. An der Spitze standen Häuptlinge, die durch Wahl aus dem Adel hervorgingen und daher auch von diesem sehr abhängig waren. Durch Zeitverhältnisse und hervorragende Eigenschaften gelangten zuweilen einzelne Häuptlinge zu größerm Ansehen und ausgedehnterer Macht; aber es fehlte ihnen die Erblichkeit ihrer Würde, und außerdem wurden sie durch den Einfluß der im ganzen G. auch in politischer Beziehung äußerst mächtigen Priesterkaste der Druiden (s. d.) außerordentlich beschränkt. Zuweilen, bei wichtigen Veranlassungen, wurden allgemeine Versammlungen vieler Völkerschaften abgehalten, wobei Stimmenmehrheit entschied. Wichtig war ferner, daß immer einzelne Völkerschaften, wie die Bituriger, Allobroger, Arverner, Äduer, überwiegende Macht und Ansehen unter den übrigen behaupteten, und daß sich dann kleinere Staaten oft in ein Schutzverhältnis, eine Art Klientel, zu den größern begaben. Bedenkt man jedoch den Stolz des Adels, welcher mit großer Eifersucht über seine Unabhängigkeit wachte, und die Unterdrückung des Volkes selbst, welches ohne alle politische Bedeutung war, so ergibt sich leicht, warum es zu einem einigen und energischen Handeln aller Staaten und des gesamten Volkes den Römern gegenüber nicht kommen konnte und trotz des kriegerischen Grundcharakters des Volkes die Unterjochung verhältnismäßig leicht war. Die Gallier kämpften sowohl zu Fuß als zu Pferd, auch von Streitwagen. Auf Prunk und Waffen hielten sie sehr viel. Die Panzer waren von Bronze und oft vergoldet. Die ältesten Schwerter waren von Kupfer, sehr lang und ließen sich bloß zum Hieb gebrauchen; später hatte man auch das stählerne Schwert. Die älteste Nationalwaffe war der Celt, eine eherne lanzenförmige Spitze von 7-14 cm Länge, der an einem etwa 1 m langen Schaft befestigt war. Andre Waffen waren der Wurfspieß (gaesa), der Bogen und die Schleuder. Die Schilde waren klein und deckten nicht den ganzen Mann. Oft rückten die Tapfersten ohne Panzer, bis auf den Nabel entblößt, in das Treffen, um dadurch ihren Mut zu zeigen. Am gefährlichsten war gewöhnlich der erste Anprall der Gallier, dagegen ließen sie nachhaltige Ausdauer vermissen. Im Rücken der Schlachtreihe befand sich, wenn ein ganzer Stamm auf dem Zug begriffen war, die Wagenburg, auf welcher Weiber und Kinder den Ausgang des Kampfes erwarteten. In Bezug auf die Kriegskunst zeigten sich die Gallier als gelehrige Schüler der Römer. Eigentliche Festungen hatten sie nicht, sondern nur Verschanzungen, die meist an schwer zugänglichen Orten angelegt waren. Solche nur für den Krieg bestimmte Befestigungen mit Mauern aus Balken, nicht eigentliche Städte, waren z. B. die durch ihre Belagerung berühmten Gergovia und Alesia. Gegen die Besiegten war der Gallier grausam, und oft wurden die Gefangenen den Göttern geopfert. Die bedeutende Zahl der Bevölkerung läßt sich daraus schließen, daß zur Zeit Cäsars mindestens 300,000 waffenfähige Männer unter ihnen waren. Die Gallier waren von Gestalt groß, von weißer Farbe und blondem oder rötlichem Haar, welches sie lang nach dem Hinterkopf zurückgestrichen trugen. Die Weiber waren besonders schön und standen in großer Achtung, obwohl der Mann die Frau ungestraft töten konnte. Die Kinder suchte man abzuhärten. Der Sohn durfte, bevor er wehrfähig war, nicht öffentlich an der Seite des Vaters erscheinen. Das eigentümliche Kleidungsstück der Gallier waren die schon erwähnten Hosen (braccae); außerdem trugen sie langärmelige Jacken und kurze Flausmäntel, alles aus Schafwolle. Im allgemeinen liebten sie Schmuck und Putz von goldenen Ketten, Ringen und Bändern (s. Tafel "Ornamente II", Fig. 16, 17). Die Wohnungen, runde Häuser aus Fachwerk und mit spitzen Dächern, und das Hausgerät waren einfach; meist schlief man auf der Erde. Die Nahrung bestand hauptsächlich aus Fleisch und Milch, weniger aus Brot. Ihrem Charakter nach waren die Gallier stolz, reizbar, veränderlich und unzuverlässig, nach Neuigkeiten und Neuerungen begierig, aber ritterlich, kampfesmutig und kriegstüchtig, wie selbst ihr Feind Cato zugeben muß. Dagegen waren sie uneinig, ohne Gemeinsinn und