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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Geburt

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Geburt (beim Menschen).

monats vor sich geht (s. Frühgeburt); eine rechtzeitige, wenn sie am Ende des 10. Mondmonats erfolgt; eine überzeitige oder Spätgeburt, wenn sie nach dieser Zeit erfolgt. In Bezug auf den Vorgang ist sie eine regelmäßige oder natürliche, wenn sie von selbst geschieht, und kann als solche nach ihrem Verlauf wieder leicht oder schwer, schnell oder langsam sein; eine regelwidrige oder künstliche G., wenn sie durch die Hand des Geburtshelfers bewerkstelligt wird. Nach der Zahl der Kinder, welche geboren werden, teilt man die G. in eine einfache und eine mehrfache ein, und letztere wieder in Zwillings-, Drillings-, Vierlingsgeburten etc. Nach dem Ausgang unterscheidet man die glückliche, in welcher weder Mutter noch Kind Schaden erleidet, von der unglücklichen. Nach dem Teil des Kindes, welcher zuerst geboren wird, welcher also während der ganzen G. vorliegt, nimmt man Kopf-, Steiß-, Knie- und Fußgeburten an (s. weiter unten). In der Querlage kann kein Kind geboren werden, sondern muß dann durch Wendung in eine der schon genannten Lagen gebracht werden, bevor die G. stattfinden kann. Bei dem Geburtsvorgang sind zwei Hauptfaktoren ins Auge zu fassen, nämlich die Geburtsthätigkeit und der Mechanismus der G. Geburtsthätigkeit ist die im mütterlichen Körper stattfindende teils unwillkürliche, teils willkürliche Bewegung, welche auf die Heraustreibung des Kindes hinwirkt. Mechanismus der G. ist das Verhältnis, in welchem der Kindskörper zu den Geburtsteilen steht, und die Art und Weise, wie derselbe durch diese getrieben wird.

Die Geburtsthätigkeit ist eine doppelte: eine unwillkürliche und willkürliche. Die unwillkürliche stellt sich als Wehe dar, die willkürliche als das sogen. Verarbeiten der Wehen durch die Bauchpresse. Wehen sind unwillkürliche zeitweise Zusammenziehungen der Gebärmutter behufs Austreibung der Frucht; sie sind im Grunde der Gebärmutter am stärksten, im Körper stärker als nach dem Hals hin, so daß dadurch der Muttermund erweitert und die in der Gebärmutterhöhle enthaltene Frucht nach dem Muttermund hin- und durch ihn durchgedrängt wird. Die Wehen sind mit Schmerz verbunden. Dieser fängt meist in der Lendengegend und im Kreuz an und zieht sich drängend nach vorn zu der untern Bauchgegend, durch das Becken zu den äußern Geschlechtsteilen und erstreckt sich endlich bis zu den Schenkeln herab. Er ist aber nie ein anhaltender, sondern ein aussetzender und in gewissen Zwischenräumen wiederkehrender. Im Anfang der G. sind die Zwischenräume zwischen den einzelnen Wehen länger, die Wehen selbst dauern aber nur kurz an und sind schwach; mit wachsender Kraft der Wehen aber folgen sie auch schneller aufeinander, es verkürzen sich daher die schmerzfreien Zwischenräume, und die einzelne Wehe selbst dauert länger. Außer den Zusammenziehungen der Gebärmutter wirken bei der G. auch das Zwerchfell und die Bauchmuskeln mit: ersteres, indem es sich zusammenzieht, um die Bauchpresse wirksam zu machen, letztere, indem sie von vorn und seitlich auf die Gebärmutter drücken. Die Mitwirkung genannter Muskeln zur G. ist teilweise unwillkürlich, kann aber willkürlich gesteigert und geregelt werden, wodurch das Verarbeiten der Wehen herbeigeführt wird. Es besteht darin, daß die Gebärende unter Anhalten des Atems mit angezogenen Schenkeln und fest aufgestemmten Füßen nach unten drängt, wobei mit vorschreitender G. allmählich fast alle willkürlichen Muskeln Anteil nehmen.

Der Geburtsvorgang zerfällt in drei bestimmte, regelmäßig wiederkehrende Zeiträume (Geburtsperioden). Die erste Periode, die Eröffnungsperiode, schließt mit der vollständigen Erweiterung des Muttermundes ab. Dann folgt der Durchtritt des vorliegenden Kindsteils durch das Becken und die äußern Genitalien und darauf die Ausstoßung des ganzen Kindskörpers. Dies ist die Austreibungsperiode. An sie schließt sich die Nachgeburtsperiode, in welcher die Nachgeburt ausgestoßen wird. Die Eröffnungsperiode beginnt mit dem Eintritt der ersten Wehen, also mit den ersten fühlbaren Zusammenziehungen der Gebärmutter. Die Zusammenziehungen selbst sind mehr lästig und beschwerlich als schmerzhaft und bestehen in einem Gefühl, als werde der Unterleib in seinem ganzen Umfang gepreßt. Zugleich stellt sich ein empfindliches Ziehen in der Beckengegend und im Kreuz ein, welches bis zum Schoß zu gehen scheint. Diese Empfindungen dauern nur kurze Zeit an und kehren nach längern Pausen, allmählich an Stärke zunehmend, wieder. Es sind dies die Vorboten der G., vorhersagende Wehen (dolores praesagientes). Die Wehen werden heftiger, folgen rasch aufeinander und führen zur Erweiterung des Muttermundes als dolores praeparantes oder vorbereitende Wehen. Während einer jeden Wehe wird das in den Eihäuten sich befindende Fruchtwasser gegen den immer mehr sich erweiternden Muttermund getrieben, so daß die Eihäute, wie eine kleine Halbkugel gespannt, in die Scheide hereinragen: "die Blase stellt sich". Kehren nun die Wehen heftiger und häufiger wieder, so treiben sie die Blase durch den etwa vier Finger breit geöffneten Muttermund so tief in die Mutterscheide herab, daß sie bis zum Bersten gespannt ist. Bei wiederkehrenden Wehen springt jetzt die Blase (Blasensprung), und der Teil des Fruchtwassers, welcher sich zwischen Kopf und Eihäuten befand, fließt ab. Zuweilen erfolgt der Blasensprung auch erst später. - In der nun folgenden Austreibungsperiode werden die Wehen immer heftiger und anhaltender, die freien Zwischenräume zwischen denselben immer kürzer. Die Gebärende unterstützt sie durch Anstrengungen der willkürlichen Muskeln, insbesondere des Zwerchfelles und der Bauchmuskeln. Diese Wehen treiben den Kopf des Kindes durch die eingerissenen Eihäute in den Muttermund, bis sein größter Umfang von dem Muttermund umgeben wird: "der Kopf steht in der Krönung". Endlich wird der Kopf so tief in die Beckenhöhle herabgetrieben, daß er hinter der Schamspalte und, während der Wehe, zwischen den Schamlefzen sichtbar wird. Da die Wehen in dieser Geburtszeit das Kind zur G. vortreiben, so heißen sie Geburts- oder Treibwehen (dolores ad partum). Mit dem Austritt des Kindskopfes aus dem Muttermund werden die Wehen äußerst schmerzhaft, setzen anfänglich nur ganz kurz aus und folgen, immer rascher wiederkehrend, zuletzt unmittelbar aufeinander. Der ganze Körper der Gebärenden nimmt daran teil; daher zittern oft Arme, Beine und Unterleib, der Blick wird wild und blitzend, der Atem kurz und keuchend, das Gesicht schwitzt heftig, und die Gebärende ist genötigt, laut zu schreien. Diese Wehen heißen Austrittswehen oder, da sie den ganzen Körper erschüttern, Schüttelwehen (dolores conquassantes). Anfangs treiben diese Wehen den Kopf so gegen die Schamspalte, daß die Schamlefzen auseinander weichen, das Mittelfleisch zwischen After und Schamspalte sich ausdehnt und ein Teil des Kopfes äußerlich sichtbar wird: "der Kopf ist im Einschneiden". Nach der Wehe weicht der Kopf aber wieder zurück, und das Mittelfleisch wird wieder schlaff. Häufigere