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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Geißlersche Röhre (Erklärung der Erscheinungen).

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Geißlersche Röhre'

sich am vollkommensten bei einem gewissen Grade der Verdünnung, etwa bei einem Druck von ein Milliontel Atmosphäre; darüber hinaus werden sie schwächer, und in einem völlig leeren Raum geht gar keine Elektrizität über.

Fig. 13.
Textfigur: Fig. 13.

Fig. 14.
Textfigur: Fig. 14.

An der Röhre (Fig. 15) ist an einem Ende noch ein kleines Hilfsröhrchen k angeschmolzen, welches Stückchen von kaustischem Kali (Kaliumhydroxyd) enthält; füllt man die Röhre mit Kohlensäuregas und pumpt sie möglichst leer, so werden die letzten, durch die Luftpumpe nicht entfernbaren Reste der Kohlensäure von dem Kali verschluckt; alsdann befinden sich zwischen den Polen n und p gar keine Stoffteile mehr, welche die Leitung vermitteln könnten, die Elektrizität geht nicht über, und die Röhre bleibt dunkel.

Fig. 15.
Textfigur: Fig. 15.

Erwärmt man jetzt das Kali ein wenig, so entwickelt sich ein wenig Wasserdampf aus denselben, und nun erscheint zuerst der negative Lichtstrom und die durch ihn hervorgerufene grüne Phosphoreszenz des Glases, bei weiterm Erwärmen sieht man auch den positiven Lichtstrom mit seinen Schichtungen auftreten und sich immer weiter gegen die negative Elektrode hin ausbreiten.

Bei den geschilderten Erscheinungen der elektrischen Entladung in verdünnten Gasen fällt vor allem die Thatsache auf, daß die Vorgänge am positiven und am negativen Pol so durchaus voneinander verschieden sind. Dieser Unterschied findet durch folgende Betrachtung seine Erklärung. Es ist bekannt, daß jeder von Luft umgebene Körper sich mit einer Luftschicht bedeckt, welche vermöge der zwischen seinen Teilchen und denjenigen der Luft bestehenden Anziehungskraft fest an ihm haftet. Von solchen verdichteten Gasschichten sind demnach auch die metallischen Pole, welche in die Glasröhre hineinragen, überzogen. Wird ein Pol elektrisch, z. B. negativ elektrisch, gemacht, so geht seine Elektrizität auch auf die Teilchen seiner Gashülle über, und diese werden von dem Pol fortgeschleudert, sobald die elektrische Abstoßung groß genug geworden ist, um jene Anziehungskraft zu überwinden. Nun ist ferner bekannt, daß bei dem Zerreißen ↔ von Körpern, z. B. bei dem Zerstäuben des Wassers, Elektrizität entwickelt wird; Volta hat z. B. gefunden, daß der unter einem Wasserfall sich erhebende Wasserstaub negativ elektrisch ist. Nehmen wir daher an, daß auch die von den elektrischen Polen sich losreißenden Teilchen durch diesen Vorgang negativ elektrisch werden, so müssen die vom negativen Pol abgestoßenen Teilchen zu der vom Pol aufgenommenen negativen Elektrizität noch die im Augenblick des Losreißens entwickelte negative Elektrizität hinzu gewinnen und daher stärker negativ elektrisch sein, als sie es durch bloße Mitteilung der Elektrizität von seiten des Pols sein würden. Die am positiven Pol positiv elektrisierten Teilchen dagegen müssen, weil die beim Losreißen entstandene negative Elektrizität ihre positive teilweise aufhebt, schwächer positiv sein, als es bei bloßer Mitteilung der Fall sein würde. Am negativen Pol erfahren daher die Gasmoleküle eine kräftigere Abstoßung und fliegen mit größerer Wucht davon als am positiven. Vermöge ihrer beträchtlichen Wucht sind sie bestrebt, störenden Einflüssen gegenüber ihre geradlinige Bahn zu behaupten, und diese Wucht befähigt sie auch, beim Stoß gegen feste Körper Bewegung, Licht und Wärme hervorzurufen, Wirkungen, zu welchen die geringere Wucht der am positiven Pol abgestoßenen Teilchen nicht ausreicht.

Es bleibt nun noch die Frage zu beantworten, warum die elektrische Entladung in einem stark verdünnten Gas so ganz anders vor sich zu gehen scheint als in einem mäßig verdünnten Gas. Die Antwort auf diese Frage wird in dem Wesen des luftförmigen Zustandes zu suchen sein. Man denkt sich die Gase bekanntlich (s. Wärme) aus sehr kleinen Teilchen oder Molekülen bestehend, welche unter sich keinen Zusammenhang haben, sondern den Raum völlig frei nach den verschiedensten Richtungen mit großer Geschwindigkeit durchfliegen, indem sie unzählige Male miteinander und mit entgegenstehenden Hindernissen zusammenstoßen und wie elastische Bälle zurückprallen. In einem Gas von gewöhnlicher Dichte, z. B. in der atmosphärischen Luft, bilden die Moleküle gleichsam ein wimmelndes Gedränge, in welchem das einzelne Molekül nach jedem Schritte durch andre, welche ihm entgegenkommen oder seinen Weg kreuzen, zurückgeworfen und genötigt wird, einen andern Weg einzuschlagen, so daß es nicht im stande ist, sich eine erhebliche Strecke weit geradlinig fortzubewegen, sondern eine vielfach verschlungene zickzackförmige Bahn durchlaufen muß. Wenn man aber das in einem Gefäß enthaltene Gas durch Auspumpen verdünnt, so lichtet sich das Gedränge der Moleküle, und der freie Weg, welchen jedes geradlinig durchlaufen kann, ohne mit andern zusammenzustoßen, wird durchschnittlich immer größer. Die am negativen Pol kräftig abgestoßenen Moleküle werden die ihnen hier senkrecht zur Polfläche erteilte geradlinige Bewegung um so weiter fortsetzen und in um so größerer Entfernung erst mit begegnenden Molekülen zusammenstoßen, je verdünnter das Gas ist; beim Zusammenstoß wird ein Teil der Wucht ihrer fortschreitenden Bewegung verbraucht, um Schwingungen innerhalb der Moleküle hervorzurufen, infolge deren sie mit der dem Gas eigentümlichen Farbe leuchten; vor dem Zusammenstoß leuchten sie nur wenig oder gar nicht, der von ihnen frei durchlaufene Raum erscheint daher dunkel. Der dunkle Raum um den negativen Pol ist daher nichts andres (nach Crookes) als die mittlere freie Weglänge in dem verdünnten Gas. An seiner Grenze, wo die

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 33.