Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Geometrie

136

Geometrie (Geschichte).

G., ihm gehört das glänzende Dreigestirn Eukleides (um 300), Apollonios (um 200) und Archimedes (287-212) an. Der erstgenannte verfaßte die uns erhaltenen "Elemente der G.", welche bis auf die neueste Zeit als Muster eines Lehrbuches galten. Außerdem erweiterte er die Wissenschaft durch mehrere selbständige Werke, von denen wir die "Data" noch besitzen, während die "Porismen" (nach Chasles' Auffassung die analytische G. der Alten) verloren sind. Apollonios bereicherte die noch junge Lehre von den Kegelschnitten durch eine Reihe der schönsten Erfindungen. Archimedes endlich gründete die Elemente der Mechanik auf geometrische Gesetze und löste annähernd die Aufgabe von der Rektifikation des Kreises. In demselben Jahrhundert lebten auch Eratosthenes (geb. 276), der die erste Gradmessung vornahm, und Heron, von dem die schöne Formel für den Inhalt eines Dreiecks durch seine drei Seiten herrührt. Er war auch der erste, der die praktische G. wissenschaftlich bearbeitete. Mit ihm schließt die eigentliche Glanzzeit der griechischen G. ab. Doch sind noch viele bedeutende Namen auch in der folgenden Periode zu nennen, so Hipparch (um 140), der wahrscheinliche Begründer der sphärischen Trigonometrie, Theodosios (um 100), der über die Kugel schrieb, u. a. Aus der Zeit nach Christi Geburt führen wir an Menelaos und vor allen den Astronomen Ptolemäos, dessen Blütezeit mit der Regierung des Kaisers Hadrian zusammenfällt. Ihm verdankt sowohl die sphärische als die ebene Trigonometrie ihre systematische Begründung. Von spätern Geometern sind zu erwähnen Pappos (im 3. Jahrh. n. Chr.), dessen "Mathematische Sammlungen" ein kostbares Denkmal der ältern griechischen Mathematik bilden, und der Neuplatoniker Proklos (um 450), dessen philosophisch-historischer Kommentar zu einem Teil des Eukleides noch heute nicht ohne Wert ist. Noch später lebte Eutokios, der Erklärer des Archimedes. Von den dem Mittelalter angehörenden griechischen Geometern nennen wir Psellos, Moschopulos und Pediasimos, welch letzterer einen Lehrbegriff der elementaren G. abfaßte. Bei den Römern fand die G. nur insoweit Beachtung, als man ihrer für die Bedürfnisse des täglichen Lebens unmittelbar bedurfte. Statt wissenschaftlicher Mathematiker gab es demnach ausschließlich Feldmesser, deren uns erhaltene Schriften den handwerksmäßigen Standpunkt der Mehrzahl klar hervortreten lassen. Eine rühmliche Ausnahme macht allein der Hydrotechniker Julius Frontinus. Auf einem höhern Standpunkt steht die (allerdings in ihrer Echtheit vielfach angefochtene) G. des Boethius (gest. 524), der letzte Schlußstein römisch-griechischer Kultur vor der hereinbrechenden Barbarei des Mittelalters.

Die folgenden fünf Jahrhunderte können wir völlig aus der Geschichte der G. streichen; was man allenfalls noch wußte, ersehen wir aus der von Alkuin für Karls d. Gr. Schulen verfaßten Beispielsammlung, die womöglich noch unter den römischen Standpunkt heruntergeht. Erst in der G. des Franzosen Gerbert (gest. 1002) finden wir wieder Spuren selbständigen Denkens. Bald darauf begannen mit Atelhart von Bath und Gerhard von Cremona (1114-1187) die Übersetzungen der griechischen G. Einen höchst wesentlichen Fortschritt bekundet die "Practica geometriae" des Leonardo Fibonacci (1220), dem die Algebra so viel verdankt. Campanus lieferte eine verbesserte Bearbeitung des Eukleides. Als die bedeutendsten Geometer des Mittelalters sind jedoch Nikolaus Oresme (gest. 1389), der in seinen "Latitudines" bereits den Koordinatenbegriff des Descartes antizipierte, und Thomas v. Bradwardine, Urheber einer scharfsinnigen Theorie der Sternpolygone (um 1340), zu erwähnen.

Im Osten besaßen die Chinesen schon in der Zeit vor Christo tüchtige geometrische Kenntnisse, wie sie denn ein auf das rechtwinkelige Dreieck mit den Seiten 3, 4, 5 basiertes Meßinstrument kannten. An sie schließen sich die Inder an, deren erster bekannter Astronom, Aryabhatta (um 450 n. Chr.), bereits als tüchtiger Mathematiker gerühmt wird. Der hervorragendste indische Geometer ist aber Brahmegupta, dessen um 628 erschienene "G." in einer Reihe eleganter Betrachtungen über solche Vierecke gipfelt, welche sich aus rationalen Zahlen bilden lassen. Vier bis fünf Jahrhunderte später lebte Bhaskara Acharya, dessen Werke eine bedeutende Ausbildung der indischen Trigonometrie bekunden. Aus indischen und griechischen Quellen entnahmen die Araber ihre wissenschaftlichen Kenntnisse und verschmolzen beides zu einem eigenartigen Ganzen. Mathematisch Neues leisteten dieselben vor allem in der Trigonometrie, wo sie die unbehilflichen Sehnen der Griechen abschafften und nach indischer Art mit Sinus und Kosinus rechneten; ja, Ibn Junis erfand um 1000 n. Chr. sogar die Tangenten. Omar Alkhayami lehrte kubische Gleichungen durch Kegelschnitte konstruieren, und der Marokkaner Ibn Haitham (Alhazen) ging in seiner geometrischen Optik weit über seine griechischen Vorbilder hinaus.

Die ersten Schriften, welche der Occident beim Wiedererwachen der Wissenschaft kennen lernte, waren arabischen Ursprungs. Hierzu kam allmählich die durch den Fall von Byzanz (1453) so wesentlich geförderte Kenntnis der griechischen Originale, deren Verbreitung die eben erfundene Buchdruckerkunst großen Vorschub leistete. Die bedeutendsten Geometer dieser Periode sind der Astronom Peurbach (1423-61) und sein großer Schüler Regiomontanus (1436-76), welch letzterer besonders die Trigonometrie förderte. In deutscher Sprache schrieben der Baumeister Roriczer (1486) und der Maler Albrecht Dürer (1525) über G. Das 16. Jahrh. sah die großartige Entwickelung der Trigonometrie durch Kopernikus, Rheticus, Pitiscus u. a.; der jüngere Apian bezeichnet durch seine meisterhafte Karte von Bayern eine neue Epoche in der Geschichte der praktischen G., und am Ausgang des Jahrhunderts finden wir die Niederländer Stevin, Girard und Snellius, den Erfinder der Triangulationsmethode, sowie den Franzosen Vieta. Im J. 1615 schrieb der Astronom Kepler seine tiefsinnige "G. der Fässer", in welcher er die ersten Keime zu einer G. unendlich kleiner Größen niederlegte. In ähnlichem Sinn arbeiteten die Italiener Cavalieri (1598-1647) und der Franzose Roberval (1602-1675), vor allen aber der berühmte Fermat (1601-1665), der auch mit dem Wesen der rechtwinkeligen Koordinaten bereits vertraut war. Um dieselbe Zeit ließen Desargues (1593-1662) und Pascal (1623-1662) die reine G. im Sinn der Alten wieder aufleben. Den wichtigsten Fortschritt bezeichnet jedoch Descartes (1596-1650), der eigentliche Schöpfer der analytischen G., in dessen Fußstapfen nun fast alle zeitgenössischen Gelehrten traten, von denen wir besonders den Niederländer Huygens (1629-95) namhaft machen, den seine Untersuchungen über die Pendeluhr auf die Lehre von den Evoluten leiteten. Die höhere Kurvenlehre bildeten noch Wallis (1616-1703), Barrow (1630-77), Tschirnhaus (1651-1708) weiter aus und legten so den Grund zu der nun