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Gewerbegesetzgebung (die deutsche Gewerbeordnung von 1869).
Staats- oder Kommunalbehörden oder Korporationen berechtigt, Personen, welche diese Gewerbe betreiben wollen, auf die Beobachtung der bestehenden Vorschriften zu beeidigen und öffentlich anzustellen. Der Regelung durch die Ortspolizeibehörde unterliegt die Unterhaltung des öffentlichen Verkehrs innerhalb der Orte durch Wagen aller Art, Gondeln, Sänften, Pferde und andre Transportmittel sowie das Gewerbe derjenigen Personen, welche auf öffentlichen Straßen oder Plätzen ihre Dienste anbieten. Das Münzgewerbe ist Staatsregal.
2) Die Art der Anlage gewerblicher Unternehmungen ist in der Regel dem freien Ermessen der Gewerbtreibenden überlassen. Eine Ausnahme besteht für einzelne Gewerbeanlagen aus Gründen des öffentlichen Interesses: gewisse gesetzlich (§ 16 der Gewerbeordnung) bestimmte Anlagen, welche durch die örtliche Lage oder durch die Beschaffenheit der Betriebsstätte für die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke oder für das Publikum überhaupt erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen herbeiführen können, sowie die Anlage von Dampfkesseln bedürfen der Genehmigung der nach den Landesgesetzen zuständigen Behörde; die Errichtung und die Verlegung solcher nicht schon genehmigungsbedürftiger Anlagen, deren Betrieb mit ungewöhnlichem Geräusch verbunden ist, muß der Ortspolizeibehörde angezeigt und kann untersagt, resp. normiert werden; die Unternehmer sind ferner verpflichtet, alle diejenigen Einrichtungen herzustellen und zu unterhalten, welche mit Rücksicht auf die besondere Beschaffenheit des Gewerbebetriebs und der Betriebsstätte zu thunlichster Sicherung gegen Gefahr für Leben und Gesundheit notwendig sind; der Bundesrat, eventuell die nach den Landesgesetzen zuständigen Behörden können die erforderlichen Bestimmungen treffen; allgemein endlich kann wegen überwiegender Nachteile für das Gemeinwohl die fernere Benutzung einer jeden gewerblichen Anlage durch die höhere Verwaltungsbehörde gegen Ersatz des erweislichen Schadens untersagt werden. 3) Auch der Betrieb der Unternehmungen unterliegt in der Regel keinen Beschränkungen. Ausnahmen bestehen nur: a) im Interesse von Leben, Gesundheit, Moral, Einkommen, Ausbildung schutzbedürftiger Lohnarbeiter (s. Fabrikgesetzgebung, S. 1002); b) im Interesse der Ausbildung von Lehrlingen; c) zur Durchführung des Patent-, Muster-, Marken- und Firmenschutzes (s. die betreffenden Artikel), des Schutzes von Photographien gegen unbefugte Nachbildung und des Urheberrechts an Werken der bildenden Künste; d) im Interesse der Konsumenten zur Verhinderung des Verkaufs gesundheitsschädlicher, nachgemachter oder verfälschter Nahrungs- und Genußmittel und gesundheitsschädlicher Spielwaren, Tapeten, Farben, Eß-, Trink- und Kochgeschirre; e) bei der Anfertigung und dem Verkauf der Gold- und Silberwaren insofern, als der auf ihnen angegebene Feingehalt (s. d.) nach den Vorschriften des Gesetzes vom 16. Juli 1884 erfolgen muß; f) für Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und eingetragene Genossenschaften durch die für diese Unternehmungsformen erlassenen Normativbestimmungen; g) im fiskalischen Interesse für gewisse Unternehmungen (z. B. Branntweinbrennereien, Bierbrauereien, Rübenzuckerfabriken etc.) durch Zoll- und Steuergesetze, h) für Apotheker (s. Apotheke); eventuell i) für Bäcker und Verkäufer von Backwaren (dieselben können durch die Ortspolizeibehörde angehalten werden, die Preise und das Gewicht ihrer verschiedenen Backwaren für gewisse von derselben zu bestimmende Zeiträume durch einen von außen sichtbaren Anschlag am Verkaufslokal zur Kenntnis des Publikums zu bringen, und wo dies geschieht, kann die Polizeibehörde die Bäcker und Verkäufer zugleich anhalten, im Verkaufslokal eine Wage mit den erforderlichen geeichten Gewichten aufzustellen und die Benutzung derselben zum Nachwiegen der verkauften Backwaren zu gestatten); k) für Schornsteinfeger (die Landesgesetze können die Einrichtung von Kehrbezirken gestatten, und in diesem Fall können von der Ortspolizeibehörde im Einverständnis mit der Gemeindebehörde oder, wenn der zugewiesene Bezirk mehr als eine Ortschaft umfaßt, von der untern Verwaltungsbehörde Taxen aufgestellt werden); l) die Ortspolizeibehörden können die Gastwirte anhalten, das Verzeichnis der von ihnen gestellten Preise einzureichen und in den Gastzimmern anzuschlagen, ferner (in Übereinstimmung mit der Gemeindebehörde) für Lohnbediente und andre Personen, welche auf öffentlichen Straßen und Plätzen oder in Wirtshäusern ihre Dienste anbieten, sowie für die Benutzung von Wagen, Pferden, Sänften, Gondeln und andern Transportmitteln, welche öffentlich zum Gebrauch aufgestellt sind, Taxen festsetzen; die Zentralbehörden können ebenso Taxen für Ärzte festsetzen.
Der Gewerbebetrieb im Umherziehen unterliegt manchen Beschränkungen. Erforderlich ist für den Betrieb ein Wandergewerbeschein, der gewissen Personen (§ 57 der Gewerbeordnung) unbedingt, andern (§ 57 a) in der Regel zu versagen ist und außerdem unter bestimmten Voraussetzungen (§ 57 b) versagt werden kann. Eine Reihe von Waren, resp. Leistungen (§ 56 u. 56 a) sind von diesem Gewerbebetrieb ausgeschlossen. Minderjährigen Personen kann in dem Wandergewerbeschein die Beschränkung auferlegt werden, daß sie das Gewerbe nicht nach Sonnenuntergang, und minderjährigen Personen weiblichen Geschlechts die weitere, daß sie dasselbe nur auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen, nicht aber von Haus zu Haus betreiben dürfen etc. - Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbtreibenden und ihren Gesellen, Gehilfen und Lehrlingen (Arbeitsvertrag) ist Gegenstand freier Übereinkunft. Das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und den Gesellen und Gehilfen kann, wenn nicht ein andres verabredet ist, mit 14tägiger Kündigungsfrist durch jeden der beiden Teile aufgelöst werden. Vor Ablauf dieser Frist darf die Lösung nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen (§ 111 u. 112) erfolgen. Jede andre einseitige Auflösung ist Kontraktbruch (s. d., vgl. auch Arbeitsbücher und Gewerbegerichte). Über das Lehrlingswesen vgl. Lehrling, über die besondern Verhältnisse der jugendlichen Arbeiter und Frauen vgl. Fabrikgesetzgebung, S. 1001 f. Über die Bestimmungen bez. der Innungen, der gewerblichen Hilfskassen und des Trucksystems s. die betreffenden Artikel. Vgl. G. Schönberg im "Handbuch der politischen Ökonomie" (dort auch weitere Litteratur); Mascher, Das deutsche Gewerbewesen etc. (Potsd. 1866); Jacobi, Die G. im Deutschen Reich (Berl. 1874); Seydel, Das Gewerbepolizeirecht nach der Reichsgewerbeordnung (in Hirths "Annalen des Deutschen Reichs" 1878); G. Meyer, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts, Teil I (Leipz. 1883); Bödiker, Das Gewerberecht des Deutschen Reichs (Berl. 1883); Höinghaus, Gewerbeordnung für das Deutsche Reich in der Fassung des Gesetzes vom 1. Juli 1883 (8. Aufl., das. 1884); Engelmann, Die deutsche Gewerbeordnung erläu-^[folgende Seite]