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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Griechenland

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Griechenland (Alt-G.: Geschichte bis um 700 v. Chr.).

Ausbreitung recht eigentlich den Fortschritt der Kultur bezeichnet; als Gesamtname für die Völker dieses Bundes kam der Name Hellenen auf. Von diesem Bund sind dann fernere Völkerbewegungen ausgegangen, welche man die Dorische Wanderung (in der Sage die "Rückkehr der Herakliden" [s. d.], nach den Führern der Dorier) nennt, an denen aber auch andre Stämme neben den Doriern teilnahmen. Dieselben überschritten (der Überlieferung nach 1104 v. Chr.) die schmale Meerenge, welche den Korinthischen Golf im Westen begrenzt, und eroberten, von Rhion nach Süden langsam vordringend, in hartnäckigem, langem Kampf mit den Achäern den größten Teil des Peloponnes. Arkadien umgehend, erreichten sie den Isthmos von Korinth, besetzten Megaris und waren im Begriff, indem sie den Doriern am Öta die Hand reichten, ganz Hellas zu unterjochen, als der Heldenmut Athens 1068 ihrem Vordringen ein Ziel setzte. Die aus Elis, Messenien, Lakonien und Argos verdrängten Achäer zogen sich nach Arkadien zurück und breiteten sich von hier aus über Ägialeia aus, dessen ionische Einwohner sie vertrieben, und dem sie ihren Namen Achaia gaben.

Die Griechen in Kleinasien.

Diese gewaltsame Umwälzung, welche sich vor allem gegen die unter dem Einfluß östlicher Einwanderung gegründeten Staaten richtete, konnte nicht ohne weitere Folgen bleiben. Eine große Rückströmung der Griechen nach den Inseln des Archipels und den Küsten Kleinasiens trat ein. Drei große Kolonienzüge lassen sich unterscheiden: der äolische, welcher im Norden zog, der ionische in der Mitte, der dorische im Süden. Der letztere umfaßte auch ionische und achäische Ansiedler, welche unter dorischer Führung auszogen. Von ihm wurden die Küste Kariens, Rhodos und Kos kolonisiert, Kreta nach langsamer gründlicher Eroberung fast ganz dorisch gemacht. Die Ionier, welche meist von Athen auszogen, das die Zufluchtsstätte aller Vertriebenen gewesen war, fanden in dem Mündungsgebiet des Kaystros und Mäandros zwar die Macht der Lydier ausgebreitet und hatten von Samos aus um Ephesos lange, harte Kämpfe zu bestehen, deren Erinnerung in der Sage von den ephesischen Amazonen fortlebte; sie fanden indes in den Seestädten ihre alten Stammesgenossen wieder, mit denen sie zu neuen Gemeinden verschmolzen, und auf deren politische und geistige Entwickelung sie einen ungemein fördernden Einfluß ausübten. Vor allem war die Einigung der asiatischen Ionier zu einem Bund von zwölf Städten ihr Werk. Die Äolier, meist unter Führung achäischer Geschlechter aus dem Peloponnes (die Sage nennt sie Nachkommen Agamemnons), sammelten sich in Böotien und segelten vom Hafen von Aulis nach der thrakischen Küste, wo sie mehrere Kolonien gründeten. Später schoben sie sich weiter nach Osten bis zum Hellespont, überschritten diesen, besetzten Kyzikos und Lesbos und eroberten allmählich Mysien und Troas. Im hartnäckigen Kampf gegen die Dardaner stärkten sie ihren kriegerischen Mut durch die Erinnerung an die alten achäischen Heerkönige, die Atriden und Achilleus, deren Thaten sie in Liedern feierten, und diese Thaten gestalteten sich nach und nach unter dem Einfluß des eigentümlichen Strebens der Hellenen, ihre Eroberungen nicht bloß auf das Recht des Stärkern, sondern auf eine Art von Erbrecht zu gründen, zu einem angeblich 130 Jahre zuvor unternommenen Heereszug der Achäer gegen Troja. Die Lieder, welche diese Sage behandeln, wurden den benachbarten Ioniern bekannt, von ihnen erweitert und ausgeschmückt, und aus ihnen entstand durch die Verschmelzung der einzelnen Abenteuer zu einem kunstmäßigen Ganzen die "Ilias" Homers.

Obwohl die Homerischen Gedichte erst in Kleinasien entstanden sind und mehrfache Spuren späterer Anschauungen, z. B. über die Götterwelt, das Königtum etc., enthalten, so haben sie doch im allgemeinen eine so treue Erinnerung an die Zeit vor der Wanderung bewahrt, daß sie eine zuverlässige Quelle für die Kenntnis der Zustände bilden, die im hellenischen Volk vor der Dorischen Wanderung, im sogen. patriarchalischen oder Heldenalter, herrschten. Ackerbau und Viehzucht, Seefahrt und Handel bilden die Thätigkeit der Hellenen und liefern ihnen den Lebensunterhalt. Über die Masse des Volkes erheben sich die Edlen, die Herren, deren Lieblingsbeschäftigungen Krieg und Jagd sind; über diesen steht der König (Basileus) mit erblicher, von Zeus verliehener Gewalt als oberster Feldherr, Richter und Priester. Er wohnt in einer stattlichen, von sogen. kyklopischen Mauern geschützten Burg (Tiryns, Mykenä); prachtvolle Kuppelbauten (früher für Schatzhäuser gehalten) dienten zu Königsgräbern. Doch sind die Könige keine Despoten; sie bedienen sich des Beirats der Geronten, welche namentlich Recht sprechen. Der Mörder war der Blutrache preisgegeben, doch konnte er sich durch ein Sühnegeld lösen. Das streng beobachtete, weil unter den Schutz von Zeus selbst gestellte Gastrecht machte einen friedlichen Verkehr zwischen den verschiedenen Stämmen möglich. Das Familienleben war ein edles, die Frau geachtet, Liebe gegen die Eltern eine heilige Pflicht. An Ausbrüchen wilder Leidenschaft, ungebändigter, roher Naturkraft fehlte es nicht, namentlich bei den kriegerischen Achäern, während die Dardaner als sanfter und gesitteter geschildert werden.

Übergewicht Spartas.

Die Dorische Wanderung hatte den Doriern das Übergewicht in G. verschafft. Unter den von ihnen auf dem Peloponnes gegründeten neuen Staaten Argos, Messenien und Sparta (s. d.) war der letzte der kräftigste. Zwar hatten die Dorier in Lakonien so wenig wie in Argolis und Messenien das ganze Gebiet erobert und die alten Einwohner völlig unterjocht; ja, sie haben sogar einheimische Fürstengeschlechter anerkennen müssen, denen sie sich als der Kriegerstand unterordneten; eins ihrer Königsgeschlechter, die Agiaden, war wahrscheinlich achäischen Stammes. Es fehlte auch nicht an Irrungen zwischen diesen Königsfamilien, den Agiaden und den Eurypontiden, und den Doriern. Sie beseitigt und dem Staat neue Ordnungen gegeben zu haben, die ihm innern Frieden und Kraft nach außen verliehen, ist das Verdienst des Lykurgos. Die Kraft des dorischen Teils der Bevölkerung, der Spartiaten, wurde durch die Lykurgische Gesetzgebung außerordentlich gehoben und die Dorisierung Lakoniens ermöglicht. Zugleich erwachte in den Spartiaten, welche ausschließlich für das kriegerische Leben erzogen wurden, im Frieden nur in der Jagd eine Unterbrechung des einförmigen Soldatenlebens kannten, die Eroberungssucht. Das benachbarte Messenien, auf dessen fruchtbaren Fluren die eingewanderten Dorier friedlich unter den alten Einwohnern lebten und sich vielfach mit ihnen verschmolzen hatten, lockte durch seinen Reichtum zuerst den Angriff auf sich. Nach einem 20jährigen Kampf, dem ersten Messenischen Krieg (743-724), fiel die von Aristodemos tapfer verteidigte Burg Ithome, und die Messenier mußten sich unterwerfen. Ein Teil ihres Ackers wurde ihnen abgenommen und unter die Spartiaten verteilt, deren Ackerlose hierdurch von 4500