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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Griechenland

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Griechenland (Neu-G.: Staatsverfassung und Verwaltung, Heerwesen).

Kilo = 1 hl (früher = 33,16 Lit.). Das Gewicht, früher je nach den Gegenständen, für die es gebraucht wurde, sehr verschieden, ist jetzt für alle Gegenstände die (königliche) Mine = 1500 Drachmen (oder Gramm) = 1½ kg = 1 1/5 neue Okken (= 1,172 alte Okken); 100 Minen = 1 Talent = 150 kg, 10 Talent = 1 Tonne. Im Verkehr freilich ist die Geltung der neuen Maßgrößen nur erst zum Teil durchgedrungen.

Staatsverfassung und Verwaltung.

Das Königreich ist nach der Verfassung vom 3. Sept. 1843 und deren Revision vom 28. Nov. 1864 eine eingeschränkte Monarchie. König ist seit 1863 Georgios I. (geb. 24. Dez. 1845), früher Prinz von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg. Die Krone ist erblich in männlicher Linie der Nachkommen des Königs. Bei deren Ermangelung oder im Fall des Aussterbens geht die Nachfolge auf dessen jüngern Bruder und dessen Nachkommen über; in keinem Fall aber können die Kronen Dänemarks und Griechenlands auf Einem Haupt vereinigt werden. Der König besitzt die ausübende Gewalt allein; die gesetzgebende ruht aber in der Nationalversammlung, welche aus einer einzigen Kammer von 150 Deputierten besteht, die durch allgemeine, direkte Wahlen auf die Dauer einer parlamentarischen Periode von 3 Jahren berufen werden. Oberste Behörde ist das Ministerkonseil; es bestehen 7 Ministerien: des Innern, des Äußern, der Justiz, der Finanzen, des Kultus und öffentlichen Unterrichts, des Kriegs und der Marine. Unter dem Ministerrat stehen der Rechnungshof, das Generalschatzamt, das Generalpostamt, das Statistische Bureau. Für die innere Verwaltung ist das Reich in die oben aufgeführten 16 Nomen geteilt mit je einem Nomarchen (Präsidenten), ferner in 70 Eparchien mit je einem Eparchen (Landrat oder Kreishauptmann) und in 442 Demen mit je einem Demarchen an der Spitze, denen je ein Rat zur Seite steht. Diese Beamten verwalten auch in drei Instanzen die Polizei; nur die Hauptstadt steht unter einem eignen Polizeipräfekten. Im übrigen hat das Räuberunwesen, vielleicht von den Distrikten an der türkischen Grenze abgesehen, jetzt völlig aufgehört. Für die Rechtspflege besteht als oberster Gerichtshof der Areopag, ein Kassationshof, zu Athen. Zweite Instanzen sind die vier Appellationsgerichte zu Athen, Nauplia, Patras und Korfu, welchen die Gerichts- und Assisenhöfe erster Instanz (16 an der Zahl) untergeordnet sind. Außerdem gibt es 175 Friedensgerichte für leichtere Rechtsfälle und Polizeisachen sowie Schiedsgerichte für Zivilsachen.

Die Finanzen des Staats befanden sich von Anfang an in einem bedenklichen Chaos, das zu ordnen in den mehr als 50 Jahren seines Bestehens nicht gelungen und neuerdings durch die wiederholten Kriegsrüstungen (1880, 1884 ff.) noch gesteigert worden ist. Die Bilanz ergab fast stets ein Defizit, das somit von Jahr zu Jahr wuchs. Die Budgets beruhen meistens auf Fiktionen, indem die Einnahmen zu hoch veranschlagt werden. Dieselben blieben z. B. 1884 hinter dem Voranschlag um 40 Mill. Drachmen zurück. 1880 betrug das Defizit angeblich rund 61 Mill. Drachmen, 1881: 62,317,162 Drachmen. Für das Jahr 1885 waren die Ausgaben auf 85,497,005, die Einnahmen auf 74,006,586 neue Drachmen veranschlagt, so daß ein Defizit von über 11 Mill. Drachmen in Aussicht stand (für 1886 wurde dasselbe im März d. J. infolge der Mobilmachung auf 93 Mill. Drachmen geschätzt). Unter den Ausgaben erfordern die

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Zivilliste 1012500 neue Drachmen

Kosten der Staatsschuld 30384666

Armee 18235278

Marine 3554139

Innere Verwaltung 6519110

Justiz 3946267

Kultus und Unterricht 3115549

Auswärtige Angelegenheiten 2120654

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Unter den Einnahmen waren die direkten Steuern auf 17 Mill., die Zölle und indirekten Steuern auf 39 Mill. Drachmen veranschlagt; im Vorjahr hatte man letztere um 13½ Mill. Drachmen höher angesetzt, wurde aber durch einen Ausfall von 16 Mill. im Ertrag der indirekten Steuern und Monopole zur Herabsetzung dieses Postens genötigt. Vom Verkauf von Nationalgütern wurden 4,3 Mill. Drachmen erwartet.

Die äußere Staatsschuld betrug 1885: 20,4 Mill. Drachmen, die innere 329,9 Mill. Drachmen, mithin die gesamte Schuld 350,3 Mill. Drachmen.

Heer und Flotte.

Bei den unsichern staatlichen Zuständen fehlt auch dem Heerwesen noch innere Festigkeit, und namentlich in den letzten Jahren hat der alles überwuchernde Parteigeist eine sehr schädliche Wirkung auf die Armee geäußert. Die Wehrpflicht ist allgemein. Die Dienstpflicht beträgt (nach den Wehrgesetzen vom 27. Nov. 1878 und 21. Juni 1882) bei der Fahne für die Infanterie 1, für alle übrigen Waffen 2 Jahre, in der Reserve 8, resp. 7 und in der Landwehr 10 Jahre. Die Rekruten für die zweijährige Dienstzeit werden ausgelost und erhalten eine monatliche Zulage von 8-10 Drachmen. Mit dem Reifezeugnis versehene junge Leute brauchen gegen Erlegung von 300 Drachmen in allen Waffen nur ein Jahr zu dienen. An der Spitze der Heeresverwaltung stehen der Generalinspekteur der Armee und das Kriegsministerium. Das Königreich zerfällt in drei Inspektorate: Athen, Larissa und Missolunghi. Die Armee soll aus 27 Infanterie- und 9 Jägerbataillonen à 4 Kompanien, 3 Hipparchien à 4 Eskadrons Kavallerie, 5 (2 Feld-, 2 Gebirgs-, 1 Festungs-) Bataillonen à 4 Batterien Artillerie, 3 Bataillonen à 4 Kompanien Genie und 1 Trainkompanie bestehen und ihre Friedensstärke 24,760 Mann (einschließlich aller Chargen) betragen, wozu indessen noch 5649 Mann Gendarmerie mit 367 Pferden hinzutreten. Die Infanteriekompanie ist nur 100 Mann (die Jägerkompanie ist stärker), die Eskadron 121 Mann und 105 Pferde stark. Bei der Mobilisierung im Oktober 1885 ist eine neue Organisation, wonach die Infanterie aus 9 Regimentern zu 3 Bataillonen zu je 1200 Mann und die Artillerie aus 3 Regimentern zu je 3 Berg-, 3 Feld- und einer zerlegbaren Batterie besteht, bereits ins Werk gesetzt worden. Zu Ende Februar 1886 wollte G. im ganzen 110-115,000 (?) Mann unter den Fahnen haben. Infanterie und Jäger sind mit dem Gewehr System Gras (Frankreich M/74), Kavallerie und Artillerie mit Schleppsäbel und dem Gras-Karabiner, die Unteroffiziere mit einem Revolver bewaffnet. Die Artillerie, welche Elitetruppe ist, führt 7,5 und 8,7 cm Geschütze von Krupp und ist in jeder Beziehung vortrefflich ausgerüstet. Artillerie und Genie stehen unter besondern Inspektionen, unter der erstern stehen sowohl der Train als die Arsenaldirektion mit Artilleriewerkstätte, Feuerwerkslaboratorium und Pulverfabrik und die 14 Verwaltungen (Artilleriedepots); unter der Genieinspektion stehen noch 7 Geniedirektionen. Neuerdings hat der Minister Trikupis die Kriegsschule im Piräeus in eine wirkliche Militärakademie