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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Griechenland

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Griechenland (Neu-G.: Geschichte bis 1209).

wohnten. Kaiser Julians Bemühungen, den heidnischen Götterkult von neuem zu beleben, fanden besonders im alten Hellas Anklang, wo die strengen Gesetze der ersten christlichen Kaiser gegen den Polytheismus wenig Geltung erlangt hatten. Doch hatte sich auch hier der letztere überlebt und verlor immer mehr Bekenner, als Julians Nachfolger, Jovianus, Valentinian und Valens, dem klassischen Land keine besondere Bevorzugung mehr wie jener angedeihen ließen. Aber auch die strengen Maßregeln des Kaisers Theodosius, welcher 396 die heidnischen Priester ihrer Privilegien und Rechte beraubte und bald darauf auch die heidnischen Tempel schließen ließ, bewirkten noch nicht die völlige Vernichtung des Heidentums, und selbst als der Kaiser Theodosius der jüngere 426 die letzten noch übrigen Heiligtümer der alten Götter hatte zerstören oder in christliche Kirchen verwandeln lassen, erhielt sich in entlegenen Gegenden Griechenlands noch heidnischer Kult, wie z. B. unter den Mainoten, welche erst im 9. Jahrh. unter Kaiser Basilius dem Makedonier zum Christentum bekehrt wurden.

Durch die Teilung des römischen Reichs unter Arcadius und Honorius (395), durch welche ganz G. als Teil der Diözese Makedonien bei dem östlichen Reich blieb, wurde hinsichtlich der Verwaltung keine wesentliche Veränderung herbeigeführt; das Prokonsulat von Achaia wurde unter Justinian I. aufgehoben und in die vier Strategien von Hellas, dem Peloponnes, von Nikopolis und den Inseln des Ägeischen Meers eingeteilt, und der Name Achaia verschwand seitdem ganz. Unter Leo dem Isaurier kam es wegen des Edikts gegen den Bilderdienst 727 in G. zu einem allgemeinen Aufstand, eine Flotte unter Agallianos segelte nach Konstantinopel, um Leo zu stürzen; das Unternehmen scheiterte aber an einem voreiligen Angriff auf die Hauptstadt. Durch eine furchtbare Pest, welche 746-747 in G. wütete, dezimiert, vermochten die Griechen den wieder beginnenden Einfällen der Slawen keinen nachdrücklichen Widerstand zu leisten. Slawische Stämme durchzogen jetzt ungehindert ganz Hellas, drangen über den Isthmus in den Peloponnes ein und ließen sich in den verödeten Gegenden nieder, deren Berge und Flüsse, Thäler und Landschaften sie mit slawischen Namen belegten. So entstanden neben den altgriechischen oder romäischen Stadtgemeinden an der Küste damals im Binnenland slawische Gemeinwesen, welche sich unter eigentümlicher Stammverfassung nach und nach zu besondern Distrikten (Zupanien) verbanden und anfangs im friedlichen Verkehr mit den gebildeten Griechen viel von deren Art, Sprache und Sitte annahmen, später aber bei weiterer Ausbreitung mit den griechischen Städten mehrfach feindlich zusammenstießen. Nach hartnäckigem Widerstand von den byzantinischen Kaisern im 9. Jahrh. bezwungen, nahmen sie das Christentum an und vereinigten sich nach und nach mit der altgriechischen Bevölkerung zu einem Ganzen.

Es herrschte damals bei ansehnlichem Wohlstand ein reges Leben in G., namentlich in den Seestädten des Peloponnes. Zweckmäßige Verteidigungsanstalten machten, daß Versuche der Araber, sich in G. festzusetzen, scheiterten. Nachdem dieselben schon um 867 einen vergeblichen Angriff auf die Insel Euböa gemacht, wurden sie auch später an den Küsten des Peloponnes, bei Paträ, Korinth und Methone, mit Verlust zurückgeschlagen und beunruhigten seitdem nur noch die Inseln, bis sie durch Eroberung der Insel Samos unter Kaiser Leo VI. (886) wieder einige Überlegenheit erhielten, die es ihnen möglich machte, Demetrias im nördlichen G. (896), Lemnos (901) und das reiche Thessalonich (904) zu erobern. Doch verloren sie dieses Übergewicht sehr bald wieder und mußten 961 selbst Kreta räumen. Im 10. Jahrh. drangen dagegen die Bulgaren, nachdem sie schon Thrakien und Makedonien geraume Zeit heimgesucht hatten, in G. ein und eroberten 933 Nikopolis, wo sie eine bulgarische Kolonie gründeten. Nachdem sie eine Zeitlang ruhig geblieben, fielen sie 978 verwüstend in Thessalien ein und plünderten Larissa. Durch glückliche Kämpfe mit dem Kaiser Basilius (987-989) kühner gemacht, erschienen sie 995 zum zweitenmal in Thessalien und durchzogen dann auch Böotien, Attika und einen Teil des Peloponnes. Beim Rückzug erlitten sie eine entscheidende Niederlage, und es blieb seitdem Thessalien von ihnen verschont, zumal nachdem ganz Bulgarien 1019 dem byzantinischen Reich einverleibt worden.

Schwerer ward G. durch die Heerfahrten der Normannen betroffen. Unter dem Vorwand, den vertriebenen Kaiser Michael (Parapinakes) wieder auf den Thron zu erheben, erschien Robert Guiscard 1081 mit Heeresmacht an der Küste von Epirus, eroberte einige Inseln und die wichtigen Küstenstädte Aulon und Dyrrhachium und drang von da aus in das Binnenland bis in die Gegend von Thessalonich ein. Nach ihm setzte sein Sohn Bohemund diese Eroberungszüge fort, bis er, durch einen verunglückten Angriff auf Larissa zum Rückzug genötigt, alles Gewonnene wieder verlor. Bei einer zweiten Heerfahrt (1084) nahmen zwar die Normannen abermals Korfu, Aulon und Buthrotum in Besitz; aber Robert Guiscards Tod (1085) steckte ihren Unternehmungen in G. vorläufig ein Ziel. Erst 1146 bedrohte König Roger von Sizilien durch seinen Heereszug nach Osten das eigentliche G. wieder ernstlicher, indem er die reichen Städte Theben und Korinth plünderte. Noch schwerere Wunden aber schlugen die Unternehmungen der fränkischen Ritter im 13. Jahrh. dem Land, welches damals eine der wohlhabendsten Provinzen des byzantinischen Reichs bildete. Die Eroberung von Konstantinopel durch die Franken (1204) führte zu einer Teilung des byzantinischen Reichs, bei welcher der Markgraf Bonifacius von Montserrat Thessalonich und die Umgegend als Königreich erhielt. Dieser setzte sich in kurzer Zeit in Besitz von ganz Makedonien, drang in Thessalien ein, schlug bei den Thermopylen ein griechisches Heer unter Leo Sguros und nahm fast ohne Schwertstreich Theben und Athen, worauf sich ihm auch die Insel Euböa unterwarf. Sein Angriff auf den Peloponnes scheiterte an den festen Mauern von Korinth und Nauplia.

Fast gleichzeitig mit Bonifacius war Wilhelm von Champlitte (mit ihm Gottfried von Villehardouin, der Geschichtschreiber dieser Kriege), aus dem Haus der Grafen von Champagne, mit einer Schar an der Westküste des Peloponnes gelandet, hatte Patras besetzt und von da aus Andravida, Korinth und Argos bis auf die stark befestigten Akropolen erobert und war als Fürst von Achaia allgemein anerkannt worden. Sein Sieg bei dem Olivenwald von Kondura (1205) über ein aus Griechen und Slawen gebildetes Heer befestigte seine Herrschaft über den westlichen Teil von Morea bis an den Fuß des Taygetos. Als ihn 1209 Familienverhältnisse nach Frankreich zurückriefen, verteilte er das eroberte Land nach fränkischer Weise als Lehen unter seine Ritter und übertrug Villehardouin als seinem Stellvertreter die Oberlehnsherrlichkeit. Die fränkischen Ritter verpflanzten zum Schutz ihrer Herrschaft das fränkische Feudalwesen nach G., führten den Heerbann ein und nah-^[folgende Seite]