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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Haller

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Haller.

verfaßte das Reformationsedikt vom 7. Febr. 1528. Er starb 25. Febr. 1536. Vgl. seine Biographien von Kirchhofer (Zür. 1828) u. Pestalozzi (Elberf. 1861).

2) Albrecht von, Botaniker, Anatom, Physiolog, Arzt und Dichter, geb. 16. Okt. 1708 zu Bern aus einer Patrizierfamilie, hatte bis zum 15. Lebensjahr schon Trauerspiele und ein episches Gedicht von 4000 Versen über den Ursprung des Schweizerbundes gedichtet, studierte seit 1723 in Tübingen Medizin, erwarb 1725 in Leiden die medizinische Doktorwürde, besuchte dann London und Paris, studierte in Basel Mathematik und praktizierte seit 1729 als Arzt in Bern, wo er 1735 zum Stadtbibliothekar ernannt wurde. Während dieser Zeit bereiste er jährlich die Alpen behufs botanischer Forschungen, deren Resultate die "Enumeratio stirpium helveticarum" (Götting. 1742) war. Sein "Versuch schweizerischer Gedichte" (Bern 1732) erfreute sich des Beifalls Bodmers und Breitingers. 1736 ging er als Professor der Medizin, Anatomie, Botanik und Chirurgie nach Göttingen und gründete hier den botanischen Garten und das anatomische Theater mit einer Anstalt für anatomisches Zeichnen. Dabei erschienen in rascher Folge die Kommentare zu Boerhaaves Vorlesungen (Götting. 1739-44), das "Iter helveticum" (das. 1740), Boerhaaves "Methodus studii medici" (Amsterd. 1751, 2 Bde.) und seit 1742 für die von Wetstein in Amsterdam herausgegebene "Bibliothèque raisonnée" zahlreiche kritische Beiträge, betreffend theologische, philosophische, mathematische, medizinische, geschichtliche und ästhetische Gegenstände. Einen ausgebreiteten Ruf verschafften ihm damals besonders die erste Abteilung seiner anatomischen Tafeln ("Icones anatomicae", Götting. 1743-50, 8 Hefte), seine "Primae lineae physiologiae" (das. 1747; 4. Aufl. von Wrisberg, das. 1780; deutsch, Berl. 1769; neue Aufl., als "Grundriß der Physiologie" umgearb. von Leveling, Erlang. 1796 u. öfter, 2 Bde.), welche später erweitert unter dem Titel: "Elementa physiologiae corporis humani" (Laus. 1757-66, 8 Bde.) erschienen. 1750 übernahm H. den Vorsitz in dem von ihm gestifteten Kollegium der Wundärzte; 1751 ward auf seinen Vorschlag eine Entbindungsanstalt gegründet und die königliche Societät der Wissenschaften eröffnet, zu deren immerwährendem Präsidenten er ernannt wurde. Während dieser Zeit war er von Kaiser Franz I. geadelt, nach Oxford, Utrecht, Halle, Berlin und Petersburg berufen, vom König von England zum Staatsrat und Leibarzt ernannt und 1745 in den Großen Rat seiner Vaterstadt aufgenommen worden. 1753 legte er seine Ämter, mit Ausnahme der Präsidentschaft der königlichen Societät, nieder und kehrte nach Bern zurück, wo er als Ammann bald wieder eine bedeutende Thätigkeit entwickelte. Zum Mitglied des akademischen Senats, bald darauf zum Direktor der Salzwerke zu Bex und Aigle, dann auch zum Mitglied des Sanitätskollegiums, der ökonomischen Kommission etc. ernannt, verbesserte er die Einrichtung jener Salzwerke, gab der akademischen Schule zu Lausanne eine zweckmäßigere Einrichtung, veranlaßte neue medizinisch-polizeiliche Maßregeln und die Errichtung eines Waisenhauses in seiner Vaterstadt, vermittelte 1764 die Grenzstreitigkeiten zwischen Bern und Wallis und ordnete 1767 die kirchlichen Angelegenheiten des Waadtlandes. Gleichzeitig erschienen die "Bibliotheca botanica" (Zürich 1771-72, 2 Bde.); die "Bibliotheca anatomica" (das. 1774-77, 2 Bde.); die "Bibliotheca chirurgica" (Basel 1774-75, 2 Bde.); der Anfang der "Bibliotheca medicinae practicae" (das. 1776-87, 4 Bde.) und das reichhaltige Werk "De functionibus corporis humani praecipuarum artium" (Bern 1777-78, 4 Bde.). Auch fuhr er ort, die "Commentarii societatis Gottingensis", für die er allein 12,000 (!) Rezensionen geliefert haben soll, das "Commercium Noricum", die "Histoire de l'académie des sciences de Paris", die "Philosophical Transactions" und andre Zeitschriften mit Abhandlungen zu bereichern. Er starb 12. Dez. 1777. Seine Büchersammlung wurde vom Kaiser Joseph II. gekauft und der Mailänder Bibliothek einverleibt.

H. ist als Anatom und Physiolog der eigentliche Träger dieser Wissenschaften im 18. Jahrh. Seine zahlreichen Berichtigungen und Bereicherungen der Anatomie machte er zuerst in vielen kleinen Schriften, dann gesammelt in seinen beiden anatomischen Hauptwerken, den "Opuscula anatomica minora" (Laus. 1762-1768, 3 Bde.) und den erwähnten "Icones anatomicae", bekannt. Die pathologische Anatomie behandelte er in seinen "Opuscula pathologica" (Laus. 1755); der Zootomie wurde durch seine Tierzergliederungen und der Entwickelungsgeschichte durch seine Beobachtungen über das bebrütete Ei der Weg gebahnt. In der Physiologie füllte er die Lücken in Harveys Lehre vom Blutumlauf aus und stellte über den Blutlauf in den feinsten Gefäßen Ansichten auf, welche im wesentlichsten noch heute Geltung haben. Auch über den mechanischen und chemischen Teil der Respiration verbreitete er richtigere Ansichten in der Abhandlung "De respiratione experimenta anatomica" (Götting. 1746 u. 1749), in den "Mémoires sur la respiration" sowie im 2. Bande der "Opera minora". Besonders verdienstlich waren seine experimentellen Untersuchungen über Nerven- und Muskelthätigkeit. Er war der erste, der die drei Eigenschaften der Muskelfasern: Elastizität, das Vermögen, auf Nervenreize, und die Fähigkeit, auf mechanische und chemische Reize selbständig zu reagieren, richtig unterschied. Die letztere Eigenschaft nannte er Irritabilität, ein Begriff, auf welchen, indem man ihn verallgemeinernd auf Nerven, Schleimhäute, Drüsen etc. übertrug, in der Folge ganze pathologische Systeme gebaut worden sind. Auf dem Gebiet der Botanik gab er in einer Habilitationsschrift: "De methodico studio botanices absque praeceptore" (Götting. 1736), die Grundzüge zu einem natürlichen System, welches sowohl auf den Habitus der Pflanzen und ihre natürliche Verwandtschaft als auf die Verhältnisse der Befruchtungswerkzeuge gegründet war, fand jedoch damit wenig Beifall. Über Linnés Leistungen gab er eine schonungslose Kritik unter dem Namen seines 15jährigen Sohns Gottlieb Emanuel heraus: "Dubia ex Linnei fundamentis hausta" (Götting. 1751).

Als Dichter ist H. durch den Enthusiasmus seiner Verehrer offenbar zu hoch gestellt worden; doch kann auch nicht geleugnet werden, daß er zu dem hohen Aufschwung, welchen die deutsche Poesie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. nahm, bedeutend beigetragen hat. Seit der Herrschaft der Schlesischen Schule war H. der erste, welcher der Sprache Kraft und Kernhaftigkeit, der Poesie einen tiefern Gehalt verlieh. Am berühmtesten wurde er durch seine beschreibenden Lehrgedichte: "Die Alpen" (1729) und "Vom Ursprung des Übels" (1734), letzteres der Vorläufer der großen Masse von Lehrgedichten über das große Thema, mit dem sich damals die Philosophie abquälte. Doch ist er auch in der Lyrik hervorragend, namentlich in der Behandlung der Ode. Seine "Gedichte" (12. Aufl. von Wyß, Bern 1828, mit Biographie; neu hrsg. von L. Hirzel, Frauenfeld 1882) wurden ins Fran-^[folgende Seite]