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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Hannover

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Hannover (Geschichte: 1831-1848).

um dieselbe Zeit geltend gemachten, nur daß hier die Vertretung des bisher politisch rechtlosen Bauernstandes und die Vereinigung der königlichen Domänen- mit der Landeskasse in den Vordergrund gestellt wurde. Graf Münster, der leitende Kabinettsminister, machte (1831) dem allgemein beliebten Herzog von Cambridge Platz, welcher von König Wilhelm I. (IV.), dem Nachfolger Georgs IV. seit 1830, zum Vizekönig von H. ernannt wurde. Der Herzog kam der Volksstimmung durch den einer Kommission von 21 Mitgliedern vorgelegten Verfassungsentwurf entgegen, der sich fast alle Forderungen des Volkes zu eigen machte. Im J. 1832 in beiden Kammern zur Annahme gelangt, erhielt der Entwurf im darauf folgenden Jahr die königliche Sanktion und wurde 26. Sept. 1833 als neues Landesgrundgesetz publiziert. Die hauptsächlichsten Vorzüge desselben bestanden in der Durchführung des Zweikammersystems unter gerechterer Beteiligung des Bauernstandes an der Landesvertretung, dem Zugeständnis eines freilich nur beschränkten Steuerbewilligungsrechts, des Budgetrechts, der Initiative zur Gesetzgebung in derselben Art, wie sie der Regierung zustand. Vereidigung aller Staatsdiener auf die Verfassung und Ministerverantwortlichkeit sollten dem Lande die Gewähr für die Wahrung des Errungenen bieten. Die Wirkung dieser Verfassung war zunächst die, daß diejenigen Elemente, die in hervorragender Zahl in der Zweiten Kammer vertreten waren, energisch für die neue Verfassung und deren Fortentwickelung unter der Leitung Stüves (s. d.) eintraten, während die feudalen Elemente der Ersten Kammer das neue Grundgesetz offen und insgeheim unter der Führung Scheeles, dem sich bald der Graf Münster zugesellte, befehdeten. Im Augenblick, als die Spannung zwischen beiden Kammern eine immer heftigere wurde, starb Wilhelm IV. (20. Juni 1837); ihm folgte Ernst August, 5. Sohn König Georgs III., im Königreich H., während in Großbritannien die weibliche Linie des Hauses Braunschweig-Lüneburg auf den Thron kam.

Hannover seit seiner Trennung von Großbritannien.

"Ich werde den Hannoveranern ein gerechter und gnädiger König sein", lautete das erste Wort des neuen Regenten in seiner Erwiderung auf die Bewillkommnungsrede des Stadtdirektors seiner Residenz; seine erste That indes war die Vertagung der Ständeversammlung, worauf das denkwürdige Patent vom 5. Juli 1837 folgte, worin der König seinen Regierungsantritt bekannt machte und zugleich seine Überzeugung aussprach, daß das neue Staatsgrundgesetz für ihn nicht rechtsverbindlich sei, sowie die Wiederherstellung des frühern Rechtszustandes in Aussicht stellte. Das Patent war nur von dem neuernannten Staats- und Kabinettsminister v. Scheele, der auf das Staatsgrundgesetz gar nicht verpflichtet war, kontrasigniert. Fast die gesamte Bevölkerung des Landes nahm diesen Schlag, den die öffentliche Meinung Deutschlands und Europas verdammte, ruhig hin. Man erkannte erst den Ernst der Lage, als wenige Monate später die Ständeversammlung aufgelöst, die bisherigen Staatsminister entlassen und als Departementsminister wieder angenommen, die Verfassung von 1833 formell, mit Berufung auf Art. 56 der Wiener Schlußakte, als den König nicht bindend für ungültig erklärt wurde (30. Okt. bis 1. Nov. 1837). Zugleich wurde die Einberufung der Stände zur Beratung eines neuen königlichen Verfassungsentwurfs angekündigt. Doch erst als sämtliche Landesbeamte zur Einsendung von Dienst- und Huldigungsreversen auf Grund dieses neuen Rechtszustandes aufgefordert wurden, machte sich die Stimme des Volksgewissens in jenem berühmten Protest der sieben Göttinger Professoren: Dahlmann, Albrecht, Jakob und Wilhelm Grimm, Gervinus, Ewald und Weber Luft, in dem diese erklärten, daß sie die Aufhebung des Staatsgrundgesetzes und die Wiederherstellung der Verfassung von 1819 nicht für gerechtfertigt, durch ihren auf jenes Gesetz geleisteten Eid sich fortwährend für verpflichtet hielten, eine nach andern Grundsätzen als der Verfassung von 1833 gewählte Ständeversammlung als rechtmäßig nicht anerkennen, demgemäß auch weder als Mitglieder der Universität an der Wahl eines Abgeordneten teilnehmen, noch eine etwa auf sie fallende Wahl annehmen würden, den jetzt geforderten Huldigungseid aber nicht leisten könnten. Alle sieben Professoren wurden sofort kraft königlicher Machtvollkommenheit ihres Amtes entsetzt, drei von ihnen, Dahlmann, Gervinus und Jakob Grimm, wegen Verbreitung des Protestes des Landes verwiesen. Als der Bundestag, den zahllose Eingaben hannöverscher Gemeinden zum Einschreiten gegen die Regierung aufforderten, 5. Sept. 1839 jede Einmischung ablehnte und die Erwartung aussprach, der König werde eine befriedigende Vereinbarung mit den Ständen herbeizuführen wissen, durfte der Staatsstreich als gelungen gelten. Die Regierung wußte auch wirklich die Zustimmung der neu einberufenen Kammern zu einem Verfassungsentwurf zu gewinnen, und 6. Aug. 1840 wurde die neue Verfassung publiziert.

Dieselbe wich in betreff der Erbfolge von dem Staatsgrundgesetz von 1833 darin ab, daß nur die geistige Unfähigkeit des Thronerben eine Regentschaft erforderlich machen sollte. Die Verfassungsfrage verschwand vorläufig aus den Debatten der Landesvertretung, und man begnügte sich, der Regierung, an deren Spitze 1844 nach Scheeles Tod Herr v. Falcke trat, in ihrem Bestreben zur Hebung des materiellen Wohls des Landes hilfreiche Hand zu leisten. Das Jahrzehnt von 1839 bis 1848 ist in dieser Beziehung ein recht fruchtbares; nur nach einer Richtung hin, der handelspolitischen, wo die Regierung aus Eifersucht auf den von Preußen begründeten Zollverein von ihrem Sonder-Steuerverein nicht lassen wollte, wurde eine verkehrte Politik verfolgt, für welche das Land selbst am meisten büßte.

Noch kurzsichtiger als hierin zeigten sich der König und seine Regierung in allen rein politischen Fragen. Auf die Ende 1847 an ihn gerichtete Forderung um Öffentlichkeit der Kammerverhandlungen hatte er mit einem stolzen "Niemals" geantwortet; aber schon wenige Monate später sah er sich unter der Einwirkung der Revolution von 1848 zu zehnfach weiter gehenden Zugeständnissen genötigt. Seiner eignen formellen Erklärung entgegen gestattete er die Beschickung des Frankfurter Parlaments aus seinem Land und verhieß 20. April die Herstellung der 1833er Verfassung in ihren wesentlichsten Bestimmungen. Ein liberales Ministerium, Stüve-Bennigsen, trat an die Spitze der Verwaltung, das jedoch bezüglich der deutschen Frage und ihrer endgültigen Lösung der partikularistischen Richtung zuneigte. Dies trat zuerst in ihrer Erklärung vom 7. Juli 1848 klar zu Tage, worin es hieß, der König werde eine Reichsverfassung, welche die Selbständigkeit der Einzelstaaten nicht sicherstelle, nie annehmen. Die neue Verfassung, welche der König 5. Sept. 1848 bestätigte, änderte besonders die Zusammensetzung der Ersten Kammer, in welche nunmehr auch Vertreter des Handels- und Gewerbestandes berufen wurden. Einige Monate später begannen