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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Hoffmann

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Hoffmann (Dichter, Schriftsteller).

Dichter, Schriftsteller.

11) Ernst Theodor Amadeus (eigentlich Wilhelm), einer der originellsten und phantasiereichsten deutschen Erzähler, war 24. Jan. 1776 zu Königsberg i. Pr. geboren. Nachdem er seine juristischen Studien daselbst vollendet hatte, arbeitete er bei der Oberamtsregierung in Großglogau und dann bei dem Kammergericht in Berlin, wurde 1800 Assessor bei der Regierung in Posen, aber wegen einiger anzüglichen Karikaturen, welche er gefertigt, 1802 als Rat nach Plozk und 1803 in gleicher Eigenschaft nach Warschau versetzt. Der Einmarsch der Franzosen 1806 machte hier seiner amtlichen Laufbahn ein Ende. Ohne Vermögen und ohne Aussichten im Vaterland, benutzte er seine musikalischen Talente zum Broterwerb und ging 1808 auf Einladung des Grafen Julius von Soden als Musikdirektor bei dem neuerrichteten Theater nach Bamberg. Als dasselbe bald nachher geschlossen wurde, geriet er in die größte Not. Nachdem er sich einige Zeit durch Musikunterricht und Arbeiten für die Leipziger "Allgemeine musikalische Zeitung" die nötigsten Subsistenzmittel erworben, erhielt er 1813 die Stellung als Musikdirektor bei der Secondaschen Schauspielergesellschaft und leitete bis 1815 das Orchester dieser abwechselnd in Dresden und in Leipzig spielenden Truppe. 1816 wieder als Rat bei dem königlichen Kammergericht in Berlin angestellt, starb er 24. Juli 1822 daselbst an der Rückenmarksdarrsucht nach qualvollen Leiden. H. hatte sich von Jugend auf mit Vorliebe dem Studium der Musik gewidmet. In Posen brachte er das Goethesche Singspiel "Scherz, List und Rache" aufs Theater, in Warschau "Die lustigen Musikanten" von Brentano, dazu die Opern: "Der Kanonikus von Mailand" und "Schärpe und Blume", wozu er selbst den Text dichtete. Auch setzte er die Musik zu Werners "Kreuz an der Ostsee" und komponierte für das Berliner Theater Fouqués zur Oper umgestaltete "Undine", deren Partitur samt den prächtigen, nach Hoffmanns Entwürfen gefertigten Dekorationen bei dem Brande des Opernhauses zu Grunde ging. Die Aufforderung, seine in der "Musikalischen Zeitung" zerstreuten Aufsätze zu sammeln, veranlaßte ihn zur Herausgabe der "Phantasiestücke in Callots Manier" (Bamb. 1814, 4 Bde.; 4. Aufl., Leipz. 1864, 2 Bde.), welche großes Aufsehen machten und ihm die unterscheidende Bezeichnung; "H.-Callot" verschafften. Weiter folgten: "Vision auf dem Schlachtfeld von Dresden" (Leipz. 1814); "Elixire des Teufels" (Berl. 1816); "Nachtstücke" (das. 1817, 2 Bde.); "Seltsame Leiden eines Theaterdirektors" (das. 1818); "Die Serapionsbrüder" (das. 1819-21, 4 Bde.; nebst einem Supplementband, welcher Hoffmanns letzte Erzählungen enthält, das. 1825); "Klein Zaches, genannt Zinnober" (2. Aufl., das. 1824); "Prinzessin Brambilla, ein Capriccio nach Jakob Callot" (das. 1821); "Meister Floh, ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde" (Frankf. 1822); "Lebensansichten des Katers Murr, nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler, in zufälligen Makulaturblättern" (Berl. 1821-22, 2 Bde.); "Der Doppelgänger" (Brunn 1824) und einige kleinere Erzählungen, von denen "Meister Martin und seine Gesellen", "Das Majorat", "Das Fräulein von Scudery", "Der Artushof", "Doge und Dogaresse" etc. wahre Meisterstücke der Novellistik genannt zu werden verdienen. H. war ein durchaus origineller Mensch, mit den seltensten Talenten ausgerüstet, wild, ungebunden, nächtlichem Schwelgen leidenschaftlich ergeben (wobei er in Berlin besonders an Ludwig Devrient einen geistesverwandten Genossen hatte) und doch ein trefflicher Geschäftsmann und Jurist. Voll scharfen und gesunden Menschenverstandes, der den Erscheinungen und Dingen sehr bald die schwachen und lächerlichen Seiten ablauschte, gab er sich doch allerlei phantastischen Anschauungen und abenteuerlichem Dämonenglauben hin. Exzentrisch in seiner Begeisterung, Epikureer bis zur Weichlichkeit und Stoiker bis zur Starrheit, Phantast bis zum fratzenhaftesten Wahnsinn und witziger Spötter bis zur phantasielosen Nüchternheit, vereinigte er die seltsamsten Gegensätze in sich, Gegensätze, in denen sich auch seine meisten Novellen bewegen. In allen seinen Dichtungen fällt der Mangel an Ruhe zuerst auf, seine Phantasie und sein Humor reißen ihn unaufhaltsam mit sich fort. Finstere Gestalten umkreisen und durchkreuzen stets die Handlung, und das Wilddämonische spielt selbst in die Welt der philisterhaften und modernen Alltäglichkeit hinein. In der Virtuosität, gespenstisches Grauen zu erwecken, werden wenige Erzähler H. erreicht haben; es ist glaubhaft, daß er sich, wie man erzählt, vor seinen eignen gespenstischen Gestalten gefürchtet habe. Aber selbst in den verwildertsten, formlosesten und phantastisch zerrissensten Erzeugnissen offenbart sich des Dichters besserer Geist, sein Genie, sein sprudelnder Witz. Die Sprache handhabte er mit großer Gewandtheit, wenn auch nicht ohne Manier. Als Musikkritiker hielt er zu Spontini und den Italienern gegen K. M. v. Weber und die aufblühende deutsche Oper, wirkte aber für das Verständnis Mozarts und Beethovens. Eine Sammlung seiner "Ausgewählten Schriften" erschien Berlin 1827 bis 1828, 10 Bde., denen seine Witwe Micheline, geborne Rorer, 5 Bände Supplemente (Stuttg. 1839) beifügte, welche die Erzählungen aus seinen letzten Lebensjahren und die 3. Auflage von Hitzigs trefflicher Biographie ("Hoffmanns Leben und Nachlaß", zuerst Berl. 1823) enthalten. Eine neue Ausgabe erschien unter dem Titel: "Gesammelte Schriften" (Berl. 1871-73, 12 Bde.) und in der Hempelschen Sammlung (das. 1879-83, 15 Tle.); eine Auswahl gab H. Kurz heraus (Hildburgh. 1870, 2 Bde.). H. war auch geschickter Karikaturenzeichner, von dem mehrere Karikaturen auf Napoleon I. herrühren. Funck gab interessante Erinnerungen an H. in seiner Schrift "Aus dem Leben zweier Dichter, Ernst Theod. Wilh. H. und Fr. G. Wetzel" (Leipz. 1836). Im Ausland, besonders in Frankreich, ist H. vielfach übersetzt und nachgeahmt worden.

12) August Heinrich, Sprachforscher und Dichter, geb. 2. April 1798 zu Fallersleben im Braunschweigischen, wonach er sich H. von Fallersleben nannte, besuchte 1816 die Universität Göttingen, um Theologie zu studieren, widmete sich aber, von Benecke angeregt, mit Vorliebe dem Studium der vaterländischen Litteratur, dem er auch in Bonn, wohin er sich 1819 wandte, treu blieb. Nachdem er 1821 in Leiden ein halbes Jahr lang Forschungen über die altniederländische Litteratur angestellt, privatisierte er in Berlin, wurde 1823 Kustos an der Universitätsbibliothek in Breslau, 1830 außerordentlicher und 1835 ordentlicher Professor der deutschen Sprache daselbst. Wiederholte Reisen nach Österreich (1827 und 1834), Dänemark (1836), Holland und Belgien (1837), in die Schweiz (1839) hingen mit seinen wissenschaftlichen Bestrebungen eng zusammen. Sein Amt bei der Bibliothek hatte er bereits 1838 freiwillig niedergelegt, als er durch Dekret vom 20. Dez. 1842 wegen politisch anstößiger Grundsätze und Tendenzen, die er in den "Unpolitischen