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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Humus

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Humus (Humustheorie).

Humusstoffe als solche die größte Aufmerksamkeit, sondern vielmehr die Gesamtheit der chemischen Prozesse, durch welche sie entstehen, sich ineinander umwandeln und zersetzt werden. Die Humussäuren besitzen eine gewisse Beständigkeit, aber sie gehen aus sehr wandelbaren Stoffen hervor, und durch alle diese Prozesse wird im Boden eine chemische Thätigkeit hervorgerufen, welche auf die Wurzeln nicht ohne Einfluß sein kann. Die Humussubstanzen gehen besonders unter dem Einfluß von Alkalien allmählich in Kohlensäure, Wasser und Ammoniak über, und die Kohlensäure ist ein direktes Pflanzennahrungsmittel, trägt aber besonders auch dazu bei, mineralische Stoffe im Boden zu zersetzen und zu lösen. Die Oxydation der Humusstoffe erfolgt nicht immer auf Kosten des atmosphärischen Sauerstoffs; das Vereinigungsstreben derselben zum Sauerstoff ist vielmehr ein so starkes, daß Metalloxyde reduziert werden können. Eisen würde nicht in die Pflanze gelangen, wenn das im Boden enthaltene Eisenoxyd, welches durchaus unlöslich ist, nicht durch die Humusstoffe reduziert werden könnte. Das gebildete kohlensaure Eisenoxydul gelangt dann leicht in Lösung. Die Humussäuren bewirken ein Binden und Lösen der anorganischen Stoffe des Bodens, wie dies aus den Eigenschaften ihrer Salze hervorgeht; wenn aber die Humussäuren in großem Überschuß vorhanden sind, so entstehen saure humussaure Salze, und diese werden vom Regenwasser allmählich ausgewaschen. Daher kommt es, daß Torfboden sehr arm und undankbar, ja sogar ganz und gar untauglich für die Vegetation ist. Fast unübertroffen ist das Bindungsvermögen der Humussäuren für Ammoniak; beide Körper sind selbst durch stark wirkende chemische Agenzien nur schwierig zu trennen, und es wird daher niemals ein Verlust an Ammoniak entstehen, wenn nur so viel Humussäuren im Boden vorhanden sind, daß neutrale Ammoniaksalze gebildet werden können. Nicht minder wichtig ist das Vermögen des H., große Mengen Wasser zu absorbieren und dadurch einen leicht austrocknenden Boden längere Zeit feucht, einen nassen Boden aber poröser und insofern auch trockner zu machen. 100 Teile Lauberde können 400-480 Teile Wasser zurückhalten. Die große Hygroskopizität des H. bewirkt, daß derselbe aus der Luft Feuchtigkeit anzieht und so selbst in regenloser Zeit dem Boden etwas Wasser zuführt. Ebenso bedeutend ist das Aufsaugungsvermögen des H. für Gase, infolgedessen Sauerstoff, Ammoniak und Kohlensäure in verdichtetem Zustand und zwar in viel günstigerm Verhältnis, als dies in der Atmosphäre der Fall ist, im Boden aufgespeichert werden und nun eine energische chemische Wirkung hervorbringen können.

Früher und besonders so lange, als die Bedeutung der Kohlensäure und des Ammoniaks für die Ernährung der Pflanzen noch unbekannt war, glaubte man, die Pflanzen bezögen auch ihre organischen Stoffe nur aus dem Boden, und man hielt besonders die braunen humusartigen Materien für das Material, welches von den Pflanzen als Nahrung aufgenommen würde. Diese Lehre (Humustheorie) ist jetzt in dem angedeuteten Sinn vollständig aufgegeben, weil direkte Versuche erwiesen haben, daß Pflanzen in ausgeglühter Erde (welche also frei ist von organischen Substanzen) bei Zufuhr von Ammoniak und Kohlensäure sich entwickeln können, und einfache Berechnungen anderseits lehren, daß der Kohlenstoff, welcher in einer Ernte dem Boden entnommen wird, nicht vollständig vom H. abstammen kann. Die Humustheorie läßt sich auf den Satz zurückführen, daß es eine gewisse Quantität organischen Stoffes gibt, welche in der Weise zwischen Pflanze und Tierwelt zirkuliert, daß allemal die Produkte, Auswurfstoffe und Leichen des einen Reichs die Nahrung für das andre hergeben. Nun zeigen aber die Thatsachen, daß überall organische Substanz zerstört wird (Fäulnis, Gärung, Verwesung, Verbrennung), und auch die Tiere liefern in ihren Exkrementen viel weniger organische Materie, als sie in den Nahrungsmitteln aufgenommen haben. Eine ungeheure Menge organischer Substanzen führen die Ströme dem Meer zu. Die Humustheorie fand ihren entschiedensten Bekämpfer in Liebig, welcher so weit ging, den organischen Stoffen des Bodens jeden andern Nutzen für das Pflanzenleben abzusprechen als den, daß sie durch ihre Verwesung Kohlensäure und Ammoniak liefern, welche sowohl als direktes Pflanzennahrungsmittel dienen, wie auch die mineralischen Bestandteile des Bodens löslich machen. Hierüber entbrannte ein heftiger Streit, der sich auf die Ernährung der Pflanzen überhaupt und auf die Düngung erstreckte. Genauere Untersuchungen über die Rolle, welche der H. im Boden spielt, lieferte vorzüglich Mulder, und er gelangte zu Resultaten von so großer Bedeutung, daß dieselbe nicht übersehen werden konnte. Die praktischen Landwirte legen daher auf den H. ein sehr großes Gewicht und sorgen dafür, daß die organische Substanz in ihren Feldern sich nicht vermindere. Um aber verarmten Feldern Humussubstanz zuzuführen, gibt man am besten eine Gründüngung. Dies ist vorteilhafter als eine Düngung mit Torf, weil die Stoffe, indem sie sich in H. verwandeln, belebend auf den Acker einwirken. Will man mit Torf düngen, so regt man in demselben zunächst durch Vermischen mit leicht sich zersetzenden organischen Substanzen, namentlich mit tierischen Abfällen, eine Zersetzung an und mischt ihn mit Mergel oder Kalk. Guter Boden enthält durchschnittlich 5-6 Proz. organische Substanz; indes kommen auch bedeutend ärmere und viel reichere Ackererden vor, die doch nicht zu den unfruchtbaren gerechnet werden können. Die Fruchtbarkeit ist also nicht direkt abhängig vom Humusgehalt; jedenfalls genügt eine geringe Menge H. im Boden, um alle die chemischen Funktionen zu erfüllen, die man vom H. überhaupt erwarten darf. Soll der H. die physikalischen Eigenschaften des Bodens verbessern, so muß er oft in viel größerer Menge vorhanden sein; aber in dieser Beziehung kann er durch gewisse Mischungen mineralischer Substanzen zum Teil ersetzt werden. Von besonderm Interesse ist wegen seiner Ausdehnung, Fruchtbarkeit und Zusammensetzung der humusreiche Boden, welcher sich über den südlichen und südwestlichen Teil des europäischen Rußland unter dem Namen Schwarzerde (Tschernosem) erstreckt. Er ist daselbst in solcher Gleichförmigkeit und Mächtigkeit verbreitet, daß er nicht als eine spezielle Lokalbildung, sondern vielmehr als eine durch allgemeine Einflüsse entstandene jüngste Formation der Erdoberfläche angesehen werden muß; er bildet die Grundlage des russischen Reichtums an Bodenerzeugnissen. Wie bedeutend die Humussubstanzen an geologischen Bildungen sich beteiligen, sieht man ferner an den Marschen, wo fein zerteilter kohliger H. durch Wasserfluten mit erdigem Mineral-, namentlich Lehm- und Thonschlamm innig gemengt ist und mächtige Ablagerungen bildet. Im Torf haben wir den H. in noch reiner oder fast reiner Gestalt; besondere Verhältnisse begünstigten seine Aufhäufung, und es bedarf dann wieder nur