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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Irland

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Irland (Charakter der Iren, Religion, Bildung).

Protestant und Katholik, Orangeman und Papist. Bei gewissen nationalen Fragen gehen jedoch beide Parteien oft Hand in Hand, nur daß der protestantische Ire, seinem Ursprung getreu, besonnener und in seinen Ansprüchen gemäßigter ist als der beweglichere Kelte. Von einer keltischen Nationalsprache kann kaum noch die Rede sein, und die Bemühungen der Society for the preservation of the Irish language werden ohne nachhaltigen Erfolg bleiben, obgleich es ihr gelungen ist, Irisch als Unterrichtsgegenstand in einigen Schulen einzuführen. Indes bedienten sich 1881 immerhin noch 949,932 Menschen der irischen Sprache (gegen 1,204,684 im J. 1851, 714,313 im J. 1871), aber nur 64,167 Menschen waren des Englischen unkundig. Am zahlreichsten ist diese irisch sprechende Bevölkerung im W. und SW. des Landes und namentlich in Donegal, in Mayo, Galway und Clare, in Kerry und den abgelegenen Gegenden von Cork und Waterford. In der That nimmt die sächsische Rasse in Irland ein größeres Gebiet ein, als man gewöhnlich meint. Sie bildet die Mehrzahl im westlichen Ulster, wo namentlich Schotten und neben ihnen auch Engländer den Hauptstamm der Bevölkerung bilden. Sie erstreckt sich auch von Dublin aus durch die Mitte des Landes bis nach Tipperary hinein und zum Shannon; sie hat ferner in Wexford und Waterford festen Fuß gefaßt. Mit ihr vermischt leben die Abkömmlinge der skandinavischen Eroberer aus frühster Zeit. In der Baronie Forth, in Wexford, leben die Nachkommen keltischer Einwanderer aus Wales, die Strongbow 1169 hier ansiedelte, und die noch Ende des 18. Jahrh. ihre kymrische Muttersprache nicht vergessen hatten. Von untergeordneter Bedeutung waren die Spanier, die sich in Galway und Kinsale niederließen, und die protestantischen Pfälzer (Palatines), die Lord Southwell im 17. Jahrh. bei Limerick einführte, und die sich noch jetzt vorteilhaft vom umwohnenden Landvolk unterscheiden, wenn sie auch längst ihre Muttersprache verloren haben. Beim keltischen Grundstock der Bevölkerung lassen sich zwei Typen unterscheiden. Die sogen. Milesier (der Sage nach von den aus Spanien herübergekommenen Söhnen des Königs Milesius abstammend) haben schwarzes Haar, glänzende, dunkle Augen, ovales Gesicht, fein gebildete und nervige Formen. Sie herrschen im W. und S. vor. Das mittlere. I. und die Bergbezirke bewohnen die echten Iren, mit hohen Backenknochen, stumpfer Nase, rundem Gesicht, grauen Augen, grobem braunen Haar, muskulösem Körper und untersetztem Wuchs. Diese sämtlichen Elemente sind aber derart verschmolzen, daß man füglich von einer irischen Nationalität sprechen kann, die sich fester an das Land kettet als an Vorfahren und Muttersprache, und die, wenn auch großenteils englischer Abkunft, doch den Engländer als "Ausländer" betrachtet und fast einstimmig "Irland für die Iren" reklamiert.

Der Charakter der echten Iren ist ein höchst eigentümliches Gemisch von allerlei einander großenteils widersprechenden Eigenschaften, unter denen manche der schlechten freilich durch die ungünstigen Verhältnisse, in denen sich dieses Volk seit langer Zeit befindet, stärker entwickelt sind. Ein beweglicher, leichter Sinn bildet die Grundlage des irischen Charakters, und derselbe zeigt fast alle Tugenden, die mit solchem vereinbar sind, während seine Fehler meist in entsprechendem Mangel an Besonnenheit, Ausdauer und Selbstbeherrschung beruhen. Dichterische Begabung, Kunstsinn, Liebe zur Musik und Beredsamkeit lassen sich dem Irländer nicht absprechen. Er ist wißbegierig, schlau, scharfsinnig und witzig, obschon er aus List gern den Anschein von Stumpfheit und Einfalt annimmt. Aber bei allen geistigen Anlagen fehlt ihm die Tiefe; oberflächlich in seinem Thun und Denken, unzuverlässig bei der Arbeit, wenig ausdauernd und flatterhaft, ist er großen Aufgaben nicht gewachsen und erringt bei aller krampfhaften Thätigkeit keine nachhaltigen Erfolge. "Paddy" (wie man den Iren nach dem oft vorkommenden Namen Patrick nennt) ist gutherzig und träumerisch; sein Vertrauen ist leicht zu gewinnen und seine Freundschaft dann zu Lieberdiensten der unbesonnensten Art bereit. Dabei hängt er fest an seiner Familie und seinem Stamm. Aber der ihm ferner Stehende kann ihm kaum Vertrauen schenken, und nur zu oft hat sich das Sprichwort bewahrheitet, daß "wenn man einen Iren an den Spieß steckt, stets ein andrer Ire bereit ist, denselben zu drehen". Verräterei hat in allen irischen Erhebungen stets eine traurige Rolle gespielt. Gewissenhaftigkeit, wie sie den Engländer ganz besonders auszeichnet, geht dem Iren ab, und mit der Wahrheit nimmt er es bei großer Einbildungskraft nicht sehr genau. Reizbar, zur Rauferei und zu Gewaltthätigkeiten geneigt, liebt er auch laute Lustbarkeit. Gastfrei und verschwenderisch, vergißt er der Zukunft. Ebenso leicht, wie er sich der Völlerei ergibt, erträgt er auch den Mangel und ist zufrieden, wenn er nur Kartoffeln hat, das Leben zu fristen. Daß bei diesem Nationalcharakter die aus England nach I. verpflanzten Einrichtungen nicht stets einen günstigen Boden fanden, ist selbstverständlich.

Religion. Im J. 1881 zählte man 3,960,891 Katholiken (76,5 Proz.). 639,574 Mitglieder der bischöflichen Kirche (12,4 Proz.), 470,734 Presbyterianer (9,1 Proz.), 102,635 Methodisten und andre Dissidenten (1,9 Proz.) und 472 Juden. Dagegen bildeten die Katholiken 1731 nur 65 Proz., 1834 aber 81 Proz. der Bevölkerung. Die ehemalige protestantische Staatskirche wurde 1871 aufgehoben, ihr Vermögen (16,5 Mill. Pfd. Sterl.) eingezogen und aus ihm den Geistlichen etc. Leibrenten (zusammen 228,856 Pfd. Sterl.) ausgesetzt oder eine einmalige Entschädigung gezahlt. Ferner wurden der aus der ehemaligen Staatskirche hervorgegangenen Church of Ireland 1 Mill. Pfd. Sterl. als Entschädigung für Privatstiftungen gewährt; das katholische Maynooth College erhielt 372,330 Pfd. Sterl., die Presbyterianer 751,625 Pfd. Sterl., die ehemaligen Kirchenpatrone 740,510 Pfd. Sterl. Der Überschuß (etwa 5,2 Mill.) wird für allgemeine Zwecke verwendet. Die jetzige "Kirche von Irland" erfreut sich (1884) bereits wieder einer Jahreseinnahme von 190,611 Pfd. Sterl. An ihrer Spitze stehen 2 Erzbischöfe (zu Armagh und Dublin) und 10 Bischöfe. In ihrer Synode haben 207 Geistliche und 414 Laien Sitz und Stimme, während der aus ihr hervorgegangene Representative Church Body außer den Bischöfen aus 48 Mitgliedern besteht. Die römisch-katholische Kirche steht unter 4 Erzbischöfen (Armagh, Dublin, Cashel, Tuam) und 23 Bischöfen. Sie unterhält 2378 Kirchen mit 3171 Geistlichen, 97 Manns- und 270 Frauenklöster.

Bildung.

Was das Schulwesen anbelangt, so haben die seit 1845 eingerichteten konfessionslosen Nationalschulen viel geleistet, obwohl sie sich nie der Gunst des katholischen Klerus erfreuten und schon lange nicht mehr konfessionslose Schulen sind. Neben ihnen bestehen zahlreiche von religiösen Genossenschaften ohne Staatszuschuß geleitete Schulen. Der Zensus von 1881 führt an: 9151 Elementarschulen mit