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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Irland

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Irland (Geschichte bis zur Gegenwart).

Burke, wurde nicht erreicht; dagegen kostete die That zahlreichen Personen aus dem nächstliegenden Stadtteil, welcher größtenteils von der niedern Klasse der Bevölkerung bewohnt war, das Leben. Durch diese Attentate und infolge von Zerwürfnissen der Leiter der fenischen Sache in Amerika verlor dieselbe alle Sympathien, die sie etwa noch gehabt hatte. Infolgedessen nahm die Bewegung in I. für einige Zeit einen ruhigern Charakter an, wozu einerseits die Versuche der herrschenden Dynastie, sich der irischen Bevölkerung mehr zu nähern (dahin gehören der Besuch des Prinzen von Wales im April 1868 und später die Ernennung eines jüngern Sohns der Königin zum Herzog des irischen Connaught), anderseits die gesetzgeberischen Maßregeln, welche die englische Regierung unter Gladstones Ministerium für I. traf, wesentlich beitrugen. Eine irische Reformbill von 1868 setzte den Zensus in den Städten von 12 auf 4 Pfd. Sterl. herab und erhöhte dadurch die Zahl der Wähler. Eine weitere wichtige Maßregel in diesem Sinn war das nach langem Widerstreben des Oberhauses endlich durchgebrachte Gesetz über die "Entstaatlichung der irischen Kirche" (Disestablishment of the Irish Church), wodurch eine seit drei Jahrhunderten bestehende Ungerechtigkeit, welche einem überwiegend katholischen Land eine reichdotierte protestantische Staatskirche aufdrängte, endlich beseitigt wurde. Indem die Güter der Kirche, wenigstens zum Teil, den auf ihnen lebenden Pachtern verkauft wurden, die den Kaufpreis in Jahresraten abtrugen, wurden gegen 6000 freie Bauerngüter auf irischem Boden geschaffen. Von noch größerer Bedeutung aber war die irische Landakte, die Gladstone in der Session von 1870 durchsetzte. Die Lage der irischen Pachter war seit lange eine sehr günstige. Die irischen Gutsbesitzer haben nur in wenigen Fällen ihren Pachtern Häuser gebaut oder die Unkosten der Urbarmachung des Landes getragen, trotzdem beanspruchten sie häufig einen Pachtzins, der dem vollen Werte des Pachtgutes entsprach (eine sogen. Rackrent). In Ulster war dies von jeher anders. Dort war es der Brauch, daß der neue Ankömmling dem abgehenden Pachter eine angemessene Entschädigung für die von ihm vorgenommenen Ameliorationen zahlte, um in friedlichen Besitz des Pachtgutes zu gelangen. Diesen "Ulsterbrauch" versuchte man durch die Landakte auf ganz I. auszudehnen. Sie verbesserte die Lage der Pachter, indem sie denselben einen gewissen Schutz gegen willkürliche Aufhebung des Pachtvertrags durch die Grundherren und gegen einseitige Erhöhung des Pachtzinses gewährte und ihnen eine Entschädigung für die von ihnen auf den Pachtgütern vorgenommenen Ameliorationen sicherte; sie wollte außerdem durch Vorschüsse aus Staatsmitteln den Pachtern den Ankauf der von ihnen bewirtschafteten Grundstücke erleichtern. Diese letztere Bestimmung kam indessen nur denjenigen Pachtern zu gute, welche wenigstens über gewisse Geldmittel verfügten, und der großen Masse des irischen Proletariats war damit nicht geholfen. Ein viertes Reformgesetz, das in der Session von 1873 vorgelegt wurde und durch die Regelung des irischen Universitätsunterrichts dringenden Beschwerden der Katholiken abhelfen sollte, wurde im Unterhaus verworfen, und nicht lange danach machte der Rücktritt des Ministeriums Gladstone im Februar 1874 dieser ersten Phase der irischen Reformgesetzgebung ein Ende.

Homerulebewegung und Landliga.

Inzwischen war die Agitation in I. zwar in ein ruhigeres Fahrwasser eingelenkt, aber sie hatte darum keineswegs überhaupt aufgehört. Bei der Eröffnung der Parlamentssession von 1872 zuerst trat ein beträchtlicher Teil der irischen Abgeordneten unter Führung von Isaak Butt (s. d.) und Sullivan als eine eigne, von Konservativen und Liberalen getrennte parlamentarische Partei auf. Das Stichwort dieser Partei war Home-rule, d. h. Selbstregierung Irlands durch ein eignes, in Dublin tagendes, dem britischen nur in gewissen Dingen untergeordnetes Parlament und ein diesem verantwortliches Ministerium. Die Partei der Homerulers vereinigte allmählich den größten. Teil aller irischen Abgeordneten in sich, wodurch ihr parlamentarischer Einfluß wuchs, wenn auch die von derselben vorgeschlagenen gesetzgeberischen Maßnahmen regelmäßig abgelehnt wurden. Als nach Butts Tod (1879) die Führung der Partei zunächst auf Shaw, dann seit 1880 auf Charles Parnell (s. d.) überging, gewannen die radikalen Elemente innerhalb der Partei völlig die Oberhand. Ihre Waffe im Parlament war die systematische Obstruktion: mit allen Mitteln, welche die laxe Geschäftsordnung des englischen Unterhauses nur zu reichlich darbot, suchten sie die ruhige und ordnungsmäßige Erledigung der parlamentarischen Geschäfte zu stören und die parlamentarische Regierung unmöglich zu machen, um so ihren Forderungen und Beschwerden Gehör zu verschaffen und wirklich war es selbst durch wiederholte Änderungen der Geschäftsordnung des Unterhauses nicht zu verhindern, daß die ganze Gesetzgebung ins Stocken geriet. Im Land schuf Parnell 1880 die überaus geschickte Organisation. der Landliga, und indem er und seine Parteigenossen in zahlreichen Volksversammlungen eine Fülle gefährlichsten Brandstoffes in die leicht aufzureizende Menge hineinwarfen, gerieten alle Verhältnisse in I. von neuem in die schwerste Erschütterung. Wiederum kam es zu agrarischen Verbrechen schlimmster Art; die weithin gefürchteten "Mondscheinbanden" durchzogen das Land und mißachteten die Autorität der Gesetze und der Behörden auf das schnödeste; ihre offenen Gewaltthaten und das System des "Boycotting" (s. Boycott) erzwangen den Anordnungen der Führer der Landliga Gehorsam und spotteten aller Maßregeln der Regierung.

Einerseits durch harte Zwangsgesetze, welche ganz I. unter einen Ausnahmezustand stellten, anderseits durch neue Reformgesetze versuchte Gladstone, der 1880 wiederum an die Spitze der Regierung getreten war, dieser Agitation entgegenzuwirken. Ein zweites Landgesetz, das er im J. 1881 nach hartem Kampf durchbrachte, schuf in I. eigne Gerichtshöfe, welche befugt sein sollten, auf. Anrufen der Pachter oder der Grundherren einen gerechten Pachtzins auf einen Zeitraum von 15 Jahren ihrerseits festzusetzen. Es gab ferner den Pachtern die Erlaubnis, ihr Pachtrecht jederzeit zu verkaufen, wobei dem Grundherrn nur ein Vorkaufsrecht eingeräumt wurde. Es gewährte endlich neue und sehr bedeutende Erleichterungen für die Umwandlung des Pachtbesitzes in freies Eigentum. Allein Parnell und seine Anhänger verwarfen diese Zugeständnisse auf einer Konvention der Landliga im September 1881 unbedingt und wollten nur eine völlige Abschaffung der Pachtzinsen, d. h. eine Expropriierung der Grundherren, als eine befriedigende Lösung der Landfrage ansehen; außerdem erhielten sie das Programm des Homerule im vollen Umfang aufrecht. Mochte nun auch die Regierung einschreiten, die Liga auflösen, Parnell und andre Führer verhaften (Oktober 1881), so dauerten darum die Unruhen in I. nichtsdestoweniger fort;