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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Italienische Litteratur

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Italienische Litteratur (14. Jahrhundert).

Sprache, die er zum Teil erst aus ungefügen und rohen Elementen schaffen mußte, stellt er in seinen weltumfassenden Gedanken und den tiefsinnigsten Bildern, welche je eines Dichters Phantasie formte, die gewaltigsten Ideen dar, welche den Menschengeist überhaupt erfüllen und den Geist seiner Zeit insbesondere bewegten. Seine Nachahmer und Zeitgenossen vermochten nicht, indem sie ihm in der Anwendung der Allegorie folgten, diese mit wirklich poetischem Leben auszustatten, und ihre Lehrgedichte arteten in leere Spielerei und dürre Nüchternheit aus. Unter den dahin gehörigen Werken sind zu nennen das "Quadriregio" des Federigo Frezzi aus Foligno, welches in 4 Büchern und 74 Capitoli eine treffende moralisch-allegorische Darstellung der Welt und der Menschen enthält; ferner Fazzio degli Ubertis (gestorben um 1366) "Dittamondo", welches für die irdische Welt das leisten sollte, was Dante für die übersinnliche beabsichtigte. Als Gegner Dantes ist bekannt Cecco (Francesco) d'Ascoli (1327 als Ketzer verbrannt), dessen Gedicht "Acerba" ein wunderliches unpoetisches Gemisch von Unsinn und Scharfsinn, Aberglauben und scholastischer Gelehrsamkeit ist. Noch unbedeutender als Dichter ist Francesco da Barberini (gest. 1348), dessen "Documenti d'amore" Regeln zu einem klugen und gottgefälligen Lebenswandel enthalten, während er in dem Buch "Del reggimento e de' costumi delle donne" Lehren für Frauen jedes Standes und Alters gibt. Neben solchen meist in allegorisches Gewand sich kleidenden ethischen, religiösen Dichtungen erscheint die rein lyrische Poesie der Italiener aus jener Zeit in glänzendem Lichte. Dieselbe (wie überhaupt die italienische Lyrik) hat ihren Gipfelpunkt in Francesco Petrarca (1304-74), dem Sänger der Liebe und des Liedes, dessen "Rime" (namentlich die Sonette und Kanzonen) sich durch höchste formelle Vollendung auszeichnen und nicht nur auf die italienische, sondern auf die gesamte moderne Litteratur einen unbestrittenen Einfluß ausübten. Von seinen Zeitgenossen, welche, mit Ausnahme des Cino da Pistoja (eigentlich Sinibaldi, gest. 1336) und des Boccaccio, in poetischer Hinsicht unendlich weit unter ihm stehen, genügt es, die Namen Antonio de Ferrara (gest. 1363), Francesco degli Albizzi (Freund und Verwandter des Petrarca, gest. 1348), Sennuccio del Bene (gest. 1349), ferner die beiden Montemagno (Oheim und Neffe) und Zenone de' Zenoni aus Pistoja zu erwähnen. Auch von der heil. Catarina da Siena (gest. 1380) haben wir einige geistliche Gedichte, die jedoch unbedeutend sind. Rittergedichte dieser Periode, nach dem Vorbild der "Teseide" des Boccaccio in Ottaven abgefaßt, sind: "Buovo d'Antona" (um 1300), "La Spagna" in 40 Gesängen, von Sostagno de' Zanobi, "La regina Ancroja" u. a. Nennenswert ist endlich noch Antonio Pucci, ein florentinischer Glockengießer (gest. 1373), welcher das erste Beispiel der burlesken Poesie gegeben und eine Chronik des Giovanni Villani unter dem Titel: "Centiloquio" von Anfang bis zu Ende in Reime gebracht hat.

Die Prosa des ersten Zeitraums italienischer Litteratur umfaßt die Proben erster unbehilflicher Versuche und zugleich die Erzeugnisse klassischer Vollendung. Als das älteste Produkt der dichterischen Prosa der Italiener ist anzusehen ein vom heil. Franziskus (gest. 1226) in rhythmischer Diktion verfaßtes Lob Gottes, bekannt unter dem Namen "Cantico del sole". Aus etwa der gleichen Zeit stammt eine trefflich geschriebene Übersetzung der Schrift des Cicero: "De oratore" von Fra Guidotto de Bologna, um 1257 dem König Manfred dediziert. Für die ältesten Geschichtswerke in italienischer Sprache galten bisher die "Diurnali" des Matteo Spinelli aus Giovenazzo, die florentinische Chronik des Ricordano und Francesco Malespini und die des Dino Compagni: Nachdem diese jedoch sämtlich in neuester Zeit als Fälschungen erkannt oder verdächtig geworden sind, muß Giovanni Villani (gest. 1348); der die Geschichte seiner Vaterstadt Florenz von ihrer Gründung an bis zu seinem Tod beschrieb, als der Vater der italienischen Geschichtschreibung betrachtet werden. Ein in mannigfacher Hinsicht merkwürdiges Buch aus jener Zeit ist der unter dem sonderbaren Namen "Il millione" bekannte Reisebericht des Venezianers Marco Polo (gest. 1323). Neben diesen Prosawerken ernster Gattung entstanden damals Aufzeichnungen von Ereignissen des alltäglichen Lebens, Sammlungen von Schwanken und Anekdoten voll Witz und Derbheit, Übermut und Lüsternheit. Wie die Geschichtschreibung, wollten diese Erzeugnisse der erzählenden Prosa die reale Welt darstellen, aber nur verfeinert und emporgehoben in die Sphäre des Künstlerischen. Die italienische Nation besaß oder besitzt gerade für solche Hervorbringungen eine angeborne große Begabung. Aus der Anekdote entwickelte sich die Gattung der Novelle, welche in Italien zur klassischen Vollendung gedieh. Die italienischen Novellisten schöpften, wie schon die älteste Novellensammlung der Italiener, die "Cento novelle antiche" (auch "Il novellino" genannt), gegen das Ende des 13. Jahrh. von verschiedenen unbekannten Dichtern verfaßt, bereits besonders gern aus den Fabliauxdichtungen der nordfranzösischen Trouvères. Der Preis in dieser Gattung der Erzählung wird allgemein dem Boccaccio (1313-75), dem dritten dichterischen Genius Italiens im 14. Jahrh., zuerkannt, dessen übrige zahlreiche und gelehrte Werke durch seine Novellensammlung, das berühmte "Decamerone", fast in Vergessenheit gebracht worden sind. Durch Boccaccio ist die Novelle zu einer Lieblingsdichtung der Italiener geworden, welche davon viele Sammlungen, die mehr oder weniger Nachahmungen des "Decamerone" sind, besitzen, wovon indessen nur zwei dieser ersten Periode angehören, nämlich die Novellen des Franco Sacchetti (gestorben nach 1400), welche sich durch einfach natürliche Erzählung und reine Sprache auszeichnen, aber mehr Anekdoten, Stadtgeschichten und Schwänke als eigentliche Novellen sind, und das sogen. "Pecorone", eine Sammlung von 50 Novellen von Ser Giovanni, wahrscheinlich einem Verbannten aus Florenz, der das Werk 1378 zu Dovadala bei Forli begann. Kunstloser in der Sprache, meist aus dem Provençalischen und Französischen frei übersetzt, zum Teil nur aus der Sage geschöpft oder selbst erfundenen Stoff willkürlich behandelnd sind die damals vielgelesenen Volksbücher: "I reali di Francia", in 6 Büchern in Prosa, ursprünglich vielleicht lateinisch abgefaßt, aber schon Ende des 13. oder im 14. Jahrh. ins Italienische übersetzt und verarbeitet, die märchenhafte Genealogie Karls d. Gr. und seines Geschlechts enthaltend; ferner "Guerrino di Durazzo" oder "Il Meschino", welches bis in die neueste Zeit, aber mit mancherlei Veränderungen und Verstümmelungen wieder abgedruckt worden ist; "Dell' illustre e famose historia di Lancilotto del Lago", schon vor Dante ein beliebtes Buch; "Delle opere magnanime de' due Tristani, cavallieri invitti della tavola rotonda" u. a., welche ungedruckt geblieben sind. Erst in neuerer