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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kanäle

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Kanäle (Geschichtliches).

den Bau eines 35¼ km langen Tunnels in Angriff genommen; die Arbeiten mußten ab er 1884 eingestellt werden, weil sich die englische Regierung aus militärischen Gründen dem Unternehmen widersetzte. Eine Übersicht der Verkehrslinien im K. gibt unsre Karte des Weltverkehrs bei "Dampfschiffahrt".

Kanäle, künstlich hergestellte Wasserläufe, welche verschiedenen Zwecken dienen. Ihrer Bestimmung nach unterscheidet man hauptsächlich K. für Wasserzu- und Abfuhr und K. für Verkehrszwecke. K. für Wasserzufuhr und Wasserabfuhr dienen der Bewässerung trockner Ländereien als Bewässerungskanäle, der Entwässerung nasser Ländereien als Entwässerungskanäle, der Wasserversorgung von bewohnten Ortschaften, dem Betrieb von Mühlen und Fabrikwerkstätten als Mühlgräben und Fabrikkanäle, der Ableitung des Wassers aus natürlichen Wasserläufen als Flutgräben, der Abfuhr von Wasser und Unratstoffen aus städtischen Wohnstätten als Kloaken etc. Die systematische Anlage unterirdischer K. zur Ableitung von Abfallstoffen aus bewohnten Orten bezeichnet man als Kanalisation (s. d.).

Bei den Kanälen für Verkehrszwecke dient das Wasser als Beförderungsmittel für den Transport von Menschen und Gütern; man unterscheidet: Triftkanäle zur Beförderung von Holz, Flößkanäle zum Flößen, Schiffahrtskanäle für den Betrieb der Schiffahrt und zwar sowohl der Binnen- als der Seeschiffahrt. Die der letztern dienenden maritimen K. können von Seeschiffen befahren werden. Kanalisierung nennt man die Schiffbarmachung natürlicher Wasserläufe durch künstliche Mittel.

[Geschichtliches.] Die K. dienten in der ältesten Zeit mehr dazu, die Bewässerung des Landes zu fördern, als den Verkehr zwischen einzelnen Ländern zu vermitteln. Jenen Zweck hatten namentlich die K. im alten Ägypten, mittels deren das Nilwasser in die höher gelegenen dürren Gegenden des Landes geleitet ward. Dergleichen K. finden sich noch jetzt in den meisten Ländern. So bewässert der oberhalb Lingen abzweigende Emskanal zugleich einen Teil des sogen. Ochsenbruchs; der Canal de l'Ourcq versorgt Paris mit Wasser und trägt gleichzeitig kleinere Schiffe; der Naviglio Grande und der Kanal von Pavia nach Mailand dienen gleichzeitig der Schiffahrt und Wiesenbewässerung, während die K. in den Torfmooren Hollands, Ostfrieslands und Oldenburgs sowohl für die Schiffahrt als auch für die Entwässerung bestimmt sind. Jedoch hatten auch die Alten schon eine hohe Meinung von der Wichtigkeit der K. für Schiffahrtszwecke. Schon unter den ägyptischen Pharaonen und den Ptolemäern wurden große Arbeiten zur Verbindung des Nils mit dem Roten Meer ausgeführt. In Griechenland wurde schon in alten Zeiten ernstlich das Projekt eines Durchstichs des Isthmus von Korinth in Erwägung gezogen. Die Römer nahmen zwar keine Kunstbauten für Binnenschiffahrt vor, aber die riesigen Wasserleitungen, welche zur Wasserversorgung der Städte erbaut wurden, legen Zeugnis von dem hohen Stande der Kanalbautechnik unter ihrer Herrschaft ab. In China existieren schon seit alten Zeiten sowohl Bewässerungs- als Schiffahrtskanäle. Der berühmteste der letztern ist der Kaiserkanal, welcher eine Verbindung zwischen Peking und Kanton herstellt.

In Europa hatte Italien seit dem 11. Jahrh. K. zu Handelszwecken. Verkehrs- und Bewässerungszwecken zugleich dienen die zahlreichen K. der Niederlande, insofern man sie, da sie meist höher liegen als das Weideland, im Winter übertreten und letzteres überschwemmen läßt. Die bedeutendsten in neuerer Zeit vollendeten K. dieser Art sind der Zuyd-Willemskanal (1822-26), von Maastricht nach Herzogenbusch, der großen Seeschiffen zugängliche Nordkanal (1810-24), von Amsterdam nach dem Texel, der Kanal von Voorne (1827-30), von Rotterdam nach Helvoetsluys. In Rußland wurde 1732 der von Peter d. Gr. angelegte, 110 km lange Ladogakanal vollendet, welcher die Verbindung zwischen der Ostsee und dem Kaspischen Meer herstellt, indem er die mit der Wolga vereinigte Wolchow von Neu-Ladoga ab mit Schlüsselburg verbindet. Ein sehr ausgebildetes Kanalsystem entstand in Frankreich. Der älteste der dortigen K. ist der von Briare, welcher zur Verbindung der Seine mit der Loire dient, von 1604 bis 1642 gebaut ist und mit dem 1675 begonnenen Kanal von Orléans in Verbindung steht. Der bei weitem wichtigste ist der Kanal von Languedoc oder du Midi, welcher das Mittelmeer mit dem Atlantischen Ozean verbindet und 1667-81 nach Andréossys Plan mit einem Aufwand von 33 Mill. Frank erbaut worden ist. Er ist 244 km lang, 20 m breit, 2 m tief und trägt Fahrzeuge bis zu 2400 Ztr. Last. Bei Béziers durchschneidet er auf eine Länge von 250 m und 6 m Breite den Berg Malpas, und auf dem höchsten Punkte desselben, bei St.-Ferréol, ist ein Reservoir durch Führung einer Riesenmauer zwischen zwei Bergen gebildet, aus welchem die Schleusen, deren Zahl gegen 100 beträgt, mit Wasser versehen werden. Andre bemerkenswerte K. Frankreichs sind: der Canal du Centre oder Charolais, welcher die südlichen Provinzen des Reichs durch den Rhône, die Saône, Loire und Seine mit Paris und der Nordsee verbindet, 1782-90 erbaut wurde und 81 Schleusen besitzt; der Kanal von St.-Quentin, der die Somme mit der Schelde verbindet, erst mittels 6 Schleusen 12 m steigend, später wieder durch 18 Schleusen 42 m fallend und teilweise unterirdisch geführt; der Kanal des Doubs, der, über 300 km lang, in 4 Abteilungen den Rhône, die Ill, den Doubs u. die Saône verbindet u. 1852 vollendet wurde (vgl. die weitern Angaben im Art. "Frankreich", S. 529). Eine 1872 veranstaltete parlamentarische Enquete hat ergeben, daß das in den französischen Kanälen (5037 km) niedergelegte Anlagekapital 818,467,912 Frank oder 654,774,329 Mk. beträgt, daß dieses Kapital durch die Kanalabgaben aber nur zu kaum ½ Proz. verzinst wird. Dieses ungünstige Finanzergebnis erklärt sich einesteils aus einem äußerst niedrigen Tarif, hauptsächlich aber aus dem Umstand, daß die meisten K. auf Linien angelegt sind, auf denen es seit der Entstehung der Eisenbahnen an der nötigen Fracht mangelt. Englands erster Kanal war der 84 km lange Kanal zwischen dem Sankeybach und Merseyfluß, 1755 angelegt, den bald der Bridgewaterkanal (s. d.) folgte, von Brindley im Auftrag des Herzogs von Bridgewater 1758-72 ausgeführt und durch den Manchesterkanal mit den Kohlenwerken von Worsley, durch einen andern Arm mit Liverpool in Verbindung gebracht. Gleichfalls nach Brindleys Plan wurde 1766 bis 1777 der Grand-Trunkkanal ausgeführt, welcher, 145 km lang, die Verbindung zwischen Liverpool, Hull, London, Oxford und Bristol vermittelt. Darauf ward der große Kaledonische Kanal (s. d.) in Angriff genommen, welcher das Atlantische Meer mit der Nordsee verbindet. Eine große Anzahl der K. in England ist mit zu geringem Tiefgang und zu engen hölzernen Schleusen ausgeführt und verfiel deshalb, als die Eisenbahnen dem Bedürfnis des Verkehrs