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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kanarienvogel

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Kanarienvogel.

gen, früh belaubten Bäumen, legt fünf blaß meergrüne, rötlichbraun gefleckte Eier, welche denen des zahmen Vogels vollkommen entsprechen, und brütet wie dieser 13 Tage. In jedem Sommer finden 3-4 Bruten statt. Der Vogel fliegt etwa wie unser Hänfling. Außer der Paarungszeit thut er sich in zahlreichen Scharen zusammen, welche sich aber den größten Teil des Jahrs hindurch in kleinere Flüge auflösen. In der Gefangenschaft ist der frisch eingefangene Wildling sehr unruhig, er paart sich aber sehr leicht mit dem gezähmten und erzeugt hübsche Blendlinge. Linné, Brisson u. a. hielten den K. für einen Mischling von verschiedenen grünen Finken; erst Bolle stellte fest, daß die ursprüngliche Art auf den Kanarischen Inseln noch unverändert vorhanden ist. Die ältern Schriftsteller, wie Geßner, Aldrovandi u. a., kennen nur den grünen K., und niemand weiß anzugeben, wann und wie der Übergang vom grünen zum gelben Kleid stattgefunden. Nachdem die Spanier 1311 und 1473 die Kanarischen Inseln erobert, bildete der K. einen namhaften Handelsgegenstand. Es wurde Mode, daß sich vornehme Frauen nur mit dem Kanari auf dem Finger malen ließen. Die Spanier bewahrten diesen Handel ein volles Jahrhundert hindurch als Monopol. Durch ein gestrandetes spanisches Schiff wurden die Kanarienvögel nach Elba verpflanzt (Mitte des 16. Jahrh.), verwilderten hier, wurden von den Italienern bald wieder ausgerottet, dann aber in Italien und besonders in Deutschland (schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrh.) gezüchtet.

Vom gezähmten K. unterscheidet man die deutsche und die holländische Rasse, von der deutschen wiederum Farbenvögel u. Sänger oder Harzer Kanarienvögel, von der holländischen: Trompeter, Pariser, Lord-Mayor-, Brabanter, Brüsseler Kanarienvögel. Bei den Farbenvögeln unterscheidet man Loh- oder Gold-, strohgelbe, weiße, isabellfarbene oder Elberne, graugrüne, tief orangegelbe, gescheckte (Gelb-, Blaß, Isabellschecken, getigerte, Einflügel, Halbschwalben), Plättchen (Mückchen, Grau-, Grün-, Braun- und Schwarzplättchen), grau, grün, braun und schwarz gehäubte, Schwalben (Grau-, Grün-, Schwarz-, Isabell- und Flügelschwalben); außerdem unterscheidet man Glattköpfe und gehäubte, und als krankhafte Varietät die Kakerlaken oder Albinos. In England werden besondere Farbenvarietäten gezüchtet, die man Lizards (eidechsenartig gestreifte), Yorkshire Spangles (Goldflitter), Cinnamoms (zimtbraune), Turnkrests (verkehrt gehäubte) u. dgl. benennt. Auch erzieht man dort gelb- bis fuchsrote durch Fütterung von Cayennepfeffer. Die Harzer Kanarienvögel bezeichnet man als Nachtigallschläger oder Gluckvögel (Doppelglucker, Gluckroller), Kollervögel und Rollvögel (Baß-, Knarr-, Hohl-, Klingel- und Gluckroller). Im Äußern ist der Harzer von dem gemeinen deutschen K. nicht verschieden, doch der herrliche Gesang stellt jenen hoch obenan unter allen Singvögeln. Die Holländer Rasse zeigt große, schlanke Vögel mit sonderbar gekrümmtem Rücken und emporgezogenen Schultern nebst gekräuselten Federn an Brust und Flügeln (Jabot und Epauletten). Man füttert den gemeinen und holländischen K. mit einem Gemisch von Kanariensamen, Hanf und Rübsen nebst gelegentlicher Zugabe von Grünkraut (Miere, Kreuzkraut, Salat), auch Zucker, Obst und andern Leckereien. Der Harzer K. erhält nur besten, hederichfreien Sommerrübsen nebst Eifutter (Gemisch aus hart gekochtem Hühnerei und altbackenem, geriebenem Weizenbrot) oder Vogelbiskuit. Bei guter Pflege hält der einzelne Sänger sich wohl 20 Jahre im Käfig; Nistvögel sind nicht länger als bis zum vierten Jahr ergiebig. Für den Sänger muß der Käfig etwa 36 cm lang, 21 cm hoch und 17 cm tief, viereckig und oben von sanft gewölbter Form sein. Ein mindestens dreifach so großer Bauer ist zur Hecke für ein Männchen mit 1-3 Weibchen ausreichend. Die Zucht im großen wird in geräumigen Käfigen oder in Vogelstuben betrieben; man rechnet bis 200 Kanarienvögel, immer je ein Männchen mit 3-4, selbst 5 Weibchen, auf ein mittleres, einfensteriges Zimmer; doch ist eine geringere Bevölkerung ratsam. Die Nester bestehen in Holzkörbchen, Kästchen oder Blumentöpfen von 9 cm Weite und 6 cm Höhe, in sogen. Harzer Bauerchen befestigt, und diese werden 30 cm voneinander an den Wänden befestigt; sie sind etwa halb mit zartem, trocknem Moos gefüllt, auf welchem die Vögel aus halbfingerlanger Scharpie die Nester bauen. Eier und Brut gleichen denen des Wildlings. Die Zeit des Einwurfs ist Mitte Februar bis Mitte März. Alljährlich erzielt man 3-4 Bruten. Die Fütterung in der Nistzeit besteht für gemeine deutsche und Holländer Kanarienvögel in Zugabe von hart gekochtem geriebenem Hühnerei, für den Harzer K. in reichlichem Eifutter und neben dem trocknen in gebrühtem, zwischen Leinen gerolltem Sommerrübsen. Die vorzüglichsten Sänger müssen als Vorschläger für die jungen Männchen dienen, und ganze Stämme werden zu gleichem Gesang ausgebildet. Die Sänger befinden sich in verhängten Käfigen, damit sie ganz ungestört die Touren und Passagen lernen können. Der Wert stuft sich je nach der Begabung des einzelnen Vogels sehr bedeutend ab; er wechselt von 15 bis 24, selbst bis 90 Mk. Im Harz wird die Zucht bei 18-24° R. betrieben, deshalb sind die kostbarsten Harzer Kanarienvögel sehr weichlich. Dennoch werden sie selbst im Winter bis auf vier oder fünf Tagereisen in zweckmäßig eingerichteten Käfigen versandt. Beim Empfang ist allmähliche Gewöhnung an ein wärmeres Zimmer und dann gleichmäßige Wärme von mindestens 18° R. zu beachten; auch darf Eifutter oder Biskuit nicht entzogen werden, und der Sommerrübsen muß durchaus gut und rein sein. Zug, Nässe, Unreinlichkeit, starker Temperaturwechsel, z. B. beim Zimmerreinigen des Morgens, besonders aber verdorbenes oder unpassendes Futter (Hanfsame, Grünkraut oder Leckereien) sind Ursachen, an denen zahlreiche Harzer Kanarienvögel zu Grunde gehen. Kanarienbastarde werden gezogen vom Stieglitz, Hänfling, Zeisig, Grünfink, Gimpel und andern einheimischen Finken; der erstere Mischling ist geschätzt der Schönheit und der zweite des Gesangs wegen. Von fremdländischen Finken sind der Graugirlitz, Goldzeisig, Purpurfink, Butterfink, Hartlaubszeisig u. a. zur Bastardzucht mit Kanarienvögeln geeignet. Die Zucht des Kanarienvogels wird im Harz (besonders in St. Andreasberg), in Hannover, Thüringen, Franken, im Schwarzwald, in Nürnberg, Berlin, Leipzig, Belgien und in der Schweiz großartig betrieben; Tirol steht längst zurück. In ganz Deutschland werden alljährlich ca. 2 Mill. Kanarienvögel gezüchtet. Die Ausfuhr nach Nordamerika, England, Rußland, Südamerika, Ostindien und Australien beziffert sich auf etwa 1 Mill. Kanarienvögel. Für auswärtige Händler und Liebhaber besorgen sogen. Ausstecker das Abhören und den Einkauf der Vögel. Die Krankheiten der Kanarienvögel bestehen in Heiserkeit, Hals- und Lungenentzündung, Epilepsie, Krämpfen, Fallsucht, Verstopfung, Unterleibsentzündung, Durchfall, Schwitzkrankheit, Wunden, Geschwüren, Ausschlägen,