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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kant

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Kant (Leben und Schriften).

Metaphysik zu teil, die er mit der Verteidigung der Dissertation "De mundi visibilis atque intelligibilis forma et principiis" eröffnete. In derselben war die Wurzel seiner eignen Philosophie, die transzendentale Ästhetik, und damit die Kritik der reinen Vernunft gleichsam als Programm und in nuce enthalten, so daß diese wichtige Schrift als Beginn seiner dritten, den Skeptizismus Humes wie vorher den Dogmatismus Wolfs hinter sich lassenden Periode betrachtet werden kann. Dennoch währte es noch mehr als zehn Jahre, ehe sein lange überlegtes, zuletzt in dem kurzen Zeitraum von vier Monaten niedergeschriebenes Hauptwerk: "Die Kritik der reinen Vernunft" (1781, 2. veränderte Aufl. 1787), ans Tageslicht trat, welchem in kurzen Zwischenräumen die übrigen Hauptwerke: 1783 die "Prolegomena zu einer künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können", 1785 die "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten", 1786 die "Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaften", 1788 die "Kritik der praktischen Vernunft", 1790 die "Kritik der Urteilskraft", 1793 die "Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft", 1797 die "Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre" und die "der Tugendlehre", 1798 "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht", nachfolgten. Kleinere Abhandlungen waren: "Über die Verschiedenheit der Menschenrassen" (1775); "Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht", "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" (beide 1784); die großes Aufsehen erregende "Rezension von Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" von 1785, welche Herder so übel aufnahm, daß er seitdem den vertrautern Verkehr mit K. vermied; die beiden Abhandlungen: "Über die Vulkane im Mond" und "Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks" (gleichfalls 1785); "Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte"; "Was heißt sich im Denken orientieren?"; "Bemerkungen zu Jacobis Prüfung der Mendelssohnschen Morgenstunden" (1786), "Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie" (1788); "Über Schwärmerei und die Mittel dagegen" (1790); "Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee" (1791); "Über die Fortschritte der Metaphysik seit Leibniz und Wolf" (aus demselben Jahr); "Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis" (1793); "Etwas über den Einfluß des Mondes auf die Witterung", "Das Ende aller Dinge", "Über Philosophie überhaupt" (sämtlich von 1794); "Zum ewigen Frieden, ein philosophischer Entwurf" (1795); "Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie", "Verkündigung eines nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie" (beide 1796); "Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen", in welcher K. als strenger Wahrheitsfreund die Notlüge unbedingt verwirft, "Der Streit der Fakultäten", "Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein" (sämtlich 1798). Aus einem angeblich in Kants Nachlaß vorgefundenen Manuskript: "Vom Übergang von der Metaphysik zur Physik", haben neuerlich Reicke und A. Krause Bruchstücke und Auszüge veröffentlicht.

Kants System erregte bald nach dem Erscheinen der ersten Hauptwerke in allen Teilen Deutschlands, auch in den katholischen, sowie im Ausland, insbesondere in England und in den Niederlanden, Sensation. Dagegen witterte man in seinem Vaterland Preußen nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms II., als der freisinnige Minister v. Zedlitz durch den vormaligen Prediger Wöllner (1788), den Urheber des Religionsedikts, ersetzt worden war, in K. einen gefährlichen Neuerer. Nach der Herausgabe seiner "Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" erschien 1794 eine Kabinettsorder, welche deren Verfasser wegen "Entstellung und Herabwürdigung des Christentums" einen Verweis erteilte und allen theologischen und philosophischen Dozenten der Königsberger Universität untersagte, über jenes Werk Vorlesungen zu halten. Dieser Gewaltstreich hatte zur Folge, daß K. teilweise, seit 1797 gänzlich seine Vorlesungen einstellte und sich in seinen letzten Lebensjahren fast ausschließlich mit der Ordnung seiner Papiere beschäftigte, bei welcher er sich durch jüngere Kräfte, wie Rink und Jäsche, unterstützen ließ. Nachdem in seinem letzten Lebensjahr Altersschwäche eingetreten war, starb er 12. Febr. 1804. Sein Kopf wurde vom Professor Knorr in Gips abgeformt. K. war von Person klein, kaum 5 Fuß groß, von schwachem Knochenbau und noch schwächerer Muskelkraft; seine Brust war sehr flach und fast eingebogen, der rechte Schulterknochen hinterwärts etwas verrenkt, womit der Befund bei der 1880 erfolgten Ausgrabung und Wiederbestattung übereinstimmt. (Vgl. Bessel-Hagen, Die Grabstätte Kants, Königsb. 1880.) Sein sanftes blaues und doch lebhaftes Auge zog unwiderstehlich an. Sein Gemüt wird von seinen Freunden mit voller Übereinstimmung als ein kindliches bezeichnet. Den öffentlichen Gottesdienst hielt er, wie das Äußere der Religion überhaupt, für ein höchst wichtiges, dem Denker aber entbehrliches Staatsinstitut. Zum kunstgerechten Redner war er nicht gemacht; in sozialer und politischer Hinsicht war er ein entschiedener Vertreter der Freiheit, unterwarf sich jedoch in der politischen Ordnung den Befehlen der Obrigkeit, selbst gegen seine bessere Überzeugung. Das Gesetz der Ordnung dehnte er selbst auf die Formen des geselligen Lebens aus; in seinem Hauswesen herrschte neben solider Einfachheit die größte Regelmäßigkeit. Durch Orden und Titel ist K. nicht ausgezeichnet worden; die Berliner Akademie der Wissenschaften ernannte ihn 1763 zu ihrem Mitglied, die Petersburger that dasselbe 1794. Das gelungenste Porträt Kants ist das von Döbler 1791 gefertigte Ölgemälde. Am 18. Okt. 1864 ward in Königsberg sein Standbild, das letzte Werk Rauchs, errichtet. An dem von K. seit 1783 bis zu seinem Tod bewohnten eignen Haus, unfern dem Schloß in der Prinzessinstraße, wurde in neuerer Zeit eine Inschrifttafel angebracht. Gesamtausgaben seiner Werke sind die von G. Hartenstein (Leipz. 1838-39, 10 Bde.), von K. Rosenkranz und F. W. Schubert (das. 1838-40, 12 Bde.), die beste "in chronologischer Folge" von G. Hartenstein (das. 1867-69, 8 Bde.), neben welchen noch die von Kirchmann (Leipz. 1874, 8 Bde. und Supplement, mit Erläuterungen) zu nennen ist. Eine brauchbare Ausgabe der Hauptschriften besorgte Kehrbach (in Reclams "Universalbibliothek"). Auch sind mehrere Schriften Kants ins Lateinische, Französische (von Tissot, Barni) und Englische (von Hayward, Abbott, Max Müller u. a.) übersetzt worden. Das Leben Kants haben geschildert: Borowski, Darstellung des Lebens und Charakters Kants (Königsb. 1804); Wasianski, K. in seinen letzten Lebensjahren (das. 1804); Jachmann, I. K., geschildert in Briefen (das. 1804); Schubert (im 11. Bd. der genannten Gesamtausgabe); Reicke, Kantiana (das. 1860); Saintes, Histoire de la vie et de la philosophie de K. (Par. 1844; Stuckenberg, The life of Imman. K. (Lond. 1882);