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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kasan

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Kasan.

steigt es zu einem wirklichen Hügelland an, dessen Höhen fast 200 m erreichen. Fast das ganze Gebiet gehört der permischen Formation an, nur im äußersten Süden tritt die Juraformation zu Tage. Tertiäre Ablagerungen gibt es am linken Ufer der Wolga, besonders im NW. des Gouvernements. Von Mineralien finden sich Lehm, Sandstein, Gips, etwas Kupfer, Alabaster, Kalk, sogen. brennender Schiefer. (½ kg davon gibt 80 Lit. Leuchtgas) und einige Mineralquellen, besonders Schwefelquellen, an der Tscheremuschka und der Bystraja. Der Boden ist lehmig oder sandig, bis auf den südlichen Teil aber vorherrschend aus Schwarzerde bestehend. Das Areal besteht aus 49 Proz. Ackerland, 11 Proz. Wiesen, 35 Proz. Wald und 5 Proz. Unland. Das Klima ist meist streng, aber sehr veränderlich. Der Unterschied zwischen der mittlern Temperatur im Sommer und im Winter bewegt sich zwischen -29,4° und +36,5° C.; dabei kommen an einem Tag oft Unterschiede von 22° vor. Die Bevölkerung beträgt (1883) 1,992,985 Seelen (28 pro QKilometer), in den Städten 206,239, auf dem Land 1,786,746, welche der Hauptmasse nach zur griechisch-orthodoxen Kirche gehören. Der Rest setzt sich aus Mohammedanern, Sektierern, Römisch-Katholischen, Protestanten, Armeno-Gregorianern, Juden und Heiden zusammen. Die Zahl der Eheschließungen betrug 1883: 18,146, der Gebornen 92,010, der Gestorbenen 70,860. Der Acker- und Gartenbau ist die Hauptbeschäftigung der Bevölkerung. Die Ernte war pro Hektar der betreffenden Ackerfläche bei Roggen (1884) 11,9, bei Sommerweizen 5,5, bei Hafer 11,7, bei Kartoffeln 53,2 hl. Der Viehstand belief sich 1883 auf 435,962 Pferde, 374,236 Stück Hornvieh, 1,015,870 einfache, 7064 feinwollige Schafe, 154,122 Schweine, 44,437 Ziegen. Der Fischfang ist ergiebig. An Fabriken und industriellen Anstalten bestanden 1882: 293 mit 7527 Arbeitern und 13,8 Mill. Rubel Produktionswert. Namentlich Getreidemüllerei (3,8 Mill. Rub.), Branntweinbrennerei (1,6 Mill. Rub.), Destillation (1,1 Mill. Rub.), Talg-, Stearin-, Seife- (2,7 Mill. Rub.) und Lederfabrikation (1½ Mill. Rub.) wird getrieben; auch gibt es mechanische Werkstätten, Gießereien, Meiereien, Seilereien, Wachs- und Mattenfabriken u. a. Auf 72 abgehaltenen Jahrmärkten betrug der Umsatz 567,000 Rub., bei einer Zufuhr im Wert von 1,497,000 Rub. Die Zahl sämtlicher Lehranstalten ist (1883) 684, die der Lernenden 34,489; nämlich eine Universität mit 939 Studierenden, 670 mittlere und elementare Schulen mit 32,140 Schülern und 13 Fachschulen mit 1410 Lernenden. Eingeteilt ist das Gouvernement in zwölf Kreise: K., Zarewokokschaisk, Kosmodemjansk, Tscheboksary, Jadrin, Zywilsk, Tetjuschi, Swijashsk, Spask, Laischew, Mamadysch und Tschisstopol. Das Reich K. wurde bis zum 13. Jahrh. von den Bulgaren bewohnt, dann kam es unter die Herrschaft der Tataren. Als Grenznachbarn gerieten die Bulgaren mit den Russen in viele Streitigkeiten, wovon die Kriegszüge Wladimirs d. Gr. (988) gegen die Bulgaren, des Georgi Wladimirowitsch (1123) und spätere (1166, 1171 und 1183) zeugen. Interessant ist die Angabe der Historiker des 11-13. Jahrh., wonach der Schnee selbst im Sommer nicht überall auftaute und man im Winter des hohen Schnees wegen nur mit Hunden fahren konnte. Von den mehr als 30 Städten aus jener Zeit ist jetzt nichts mehr vorhanden, außer einigen Ruinen der Stadt Bolgar (s. Bolgary) u. a. Dafür sind in neuester Zeit viele alte Münzen gefunden worden, namentlich aus den Jahren 789-913 und aus dem 12.-14. Jahrh. Um 1437 gründete Ulu Machmet aus dem alten Bulgarien das Zarenreich K., welches jedoch bald (1467) in Kriege mit Rußland geriet, die damit endigten, daß ganz K. 1550 von Iwan Wasiljewitsch Rußland einverleibt wurde. Erst 1836 entdeckte man im Saratowschen Gouvernement, nahe bei der Stadt Zarew, die Trümmer von Sarai, der alten Residenz jenes Reichs, welches sich ehemals noch weit über Astrachan hin erstreckte und vom 13.-15. Jahrh. halb Europa in Schrecken setzte.

Die Stadt K. (tscheremiss. Oson), Hauptstadt des ehemaligen Tatarenreichs und des jetzigen Gouvernements K., liegt 58 m ü. M. und 4½ km vom linken Wolgaufer, von der Kasanka und vier andern Flüßchen durchflossen, und ist auf sieben Hügeln erbaut. Sie besteht aus dem Kreml, der eigentlichen Stadt und den Vorstädten oder Sloboden. Der Kreml liegt am nördlichen Ende der Stadt auf einer Anhöhe und bildet ein längliches, von einer mit fünf Türmen geschmückten Mauer umgebenes Viereck, das auf drei Seiten von schroffen Abhängen, auf der vierten von einem tiefen Graben umgeben ist. Von den Mauertürmen sind zwei mit Thoren versehen, deren eins mittels einer steinernen Brücke die Stadt mit dem Kreml verbindet. Innerhalb des Kremls befinden sich mehrere Kirchen, darunter die Kathedrale der Verkündigung Mariä (1552 gegründet) mit zahlreichen Türmen und Kuppeln und dem wunderthätigen Bilde der "Mutter Gottes von K.", dabei ein prächtiges Kloster (1555 gegründet) und ein Waisenhaus für Popentöchter; ferner ein Artilleriearsenal, das Haus des Generalgouverneurs etc. Die eigentliche Stadt zerfällt in drei Viertel, hat kleine, einstöckige, von Gärten umgebene Häuser, 41 griechisch-kath. Kirchen und 5 Klöster, 2 Kirchen der Altgläubigen, eine lutherische und eine römisch-kath. Kirche sowie 12 mohammedanische Moscheen; sie wird vorzugsweise von Russen bewohnt, während in den Vorstädten meist Tataren zu Hause sind. Die Zahl der Bewohner beträgt (1883) 140,726. Die Industrie Kasans erstreckt sich auf Fabrikation von Juften, Seife, Matten und Stricken, Stearin- und Talglichten, Leder (besonders Saffian), Branntwein, Bier, Wachslichten, Tuch, Kattun, Heiligenbildern und geistlichen Gewändern, Goldwirkerei auf Leder, Flachsspinnerei, Mühlenbetrieb, Glockengießerei. In der Nähe befindet sich auch eine große Werfte, auf welcher Peter d. Gr. seine kaspische Flotte bauen ließ. Der Handel ist besonders nach Vorderasien bedeutend, und der Bazar von K. bildet ein überaus buntes Bild. K. hat 5 Buchhandlungen, eine Pulvermühle und eine Bank (eine der größern in Rußland). An Bildungsanstalten besitzt K. eine Universität (1804 von Alexander I. gestiftet) mit einer historisch-philologischen, physiko-mathematischen, juristischen und medizinischen Fakultät (1883 Zahl der Zuhörer: 939), einer Bibliothek von 78,000 Bänden, einer Sternwarte, einem botanischen Garten und verschiedenen Sammlungen; 5 Gymnasien (eins davon mit adliger Pension, 2 für Mädchen); 2 geistliche Akademien, 3 Lehrerseminare, eins zur Ausbildung von Lehrerinnen, eine Infanterie-Junkerschule, eine Realschule, ein Institut adliger Fräulein; außerdem ein Irrenhaus, ferner ein Theater und mehrere Hospitäler. K. ist Sitz eines griechisch-katholischen Erzbistums (K. und Swiaschk) und eines Militärbezirks. Die malerischen Umgebungen der Stadt werden als die Kasansche Schweiz bezeichnet. - K. bestand wahrscheinlich schon vor dem 13. Jahrh., lag aber ursprünglich 45 km nordöstlich von der jetzigen Stadt, wo noch jetzt ein ovaler Erd-^[folgende Seite]