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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Keramik

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Keramik (Geschichtliches).

Bei weitem am wichtigsten und auch am gründlichsten erforscht sind die griechischen Vasen, früher oft fälschlich etruskische genannt. Sie kommen in den mannigfaltigsten Formen und Größen vor und werden nach ihrer Bestimmung in folgende fünf Hauptgruppen gebracht: 1) Vorratsgefäße, wie der Pithos, das Weinfaß, bauchig, mit weiter Öffnung und, weil zum Eingraben in die Erde bestimmt, ohne Fuß, 1 m und mehr hoch; der Amphoreus (Amphora), tragbares Weingefäß mit zwei Henkeln; die Hydria, der Wasserkrug, mit zwei engern (Öhren) und einem weitern Henkel; die Lagyllos, die Weinflasche, die auf die Tafel gesetzt wurde; die Lekythos, die Ölflasche, von schlanker Form, mit engem Hals und einem Henkel; der Kothon, die Feldflasche. 2) Mischgefäße: der weite Krater mit horizontal angesetzten Henkeln. 3) Schöpfgefäße. 4) Trinkgefäße, meist flache Schalen mit und ohne Henkel, wie die Phiale, die Kylix, der Kantharos, der Skyphos etc. 5) Speisegeschirr. Weiteres über die Bemalung der griechischen Vasen und die Geschichte der griechischen Gefäßbildnerei s. im Artikel Vasen (mit Tafel). Alle solche Gefäße sind gebrannter Thon (terra cotta), aus welchem auch Bauornamente sowie Figuren von Göttern, Heroen und allerlei Genrefiguren gebildet wurden. Die Gräberstraßen griechischer Städte liefern fortwährend reiche Funde von Terrakotten. Näheres s. im Artikel Terrakotten (mit Tafel). Die geschätztesten römischen Thongefäße waren die arretinischen (s. d.) aus der roten Erde von Arretium.

Während im Abendland in den Zeiten der Völkerwanderung aller Kunstbetrieb auch auf diesem Gebiet erlosch, brachten die Araber die im Orient wahrscheinlich aus dem Altertum lebendig gebliebene Kunst des Emaillierens der Thongefäße und der Thonplatten zum Bekleiden der Wände und Fußböden nach Europa. Die Moscheen Ägyptens, Persiens etc. zeigen bunt bemalte Fliesen mit Zinnglasur, zum Teil aus sehr frühen Zeiten; die maurischen Bauwerke in Spanien wurden ebenso verziert, und in Italien ahmte man sowohl diese Platten (s. Tafel "Ornamente III", Fig. 20) als auch die spanisch-maurischen Gefäße (s. Tafel "Keramik", Fig. 5) nach, deren Farben zum Teil Metallglanz haben. Einer frühen Zeit (13. Jahrh.) gehören auch die persischen oder sogen. persisch-rhodischen Fayencen an (s. Tafel, Fig. 3). Die Insel Majorca scheint der Stapelplatz für die nach Italien ausgeführten hispano-maurischen Thonwaren gewesen zu sein, woher die irdenen Gefäße mit farbiger Bemalung und Zinnglasur den Namen Majolika erhalten haben, während die Franzosen aus Faenza, von wo aus ihnen die Kenntnis derartiger Thonwaren zugekommen zu sein scheint, das Wort Faience machten. Übrigens gerieten die Italiener erst im 15. Jahrh. in den Besitz der Zinnglasur; bis dahin hatten sie nur Bleiglasur, welche die Grundfarbe des Thons durchscheinen ließ, weshalb man diesem einen weißen Überzug (Angußfarbe, engobe) gab. Zinnglasur haben die Reliefs, (s. Tafel, Fig. 12), Büsten etc. der berühmten Florentiner Bildhauerfamilie della Robbia (s. d.), die sogen. terra invetriata. In Pesaro, Gubbio, Urbino und andern Städten entstand um dieselbe Zeit die mezza majolica, unechte oder Halbmajolika, mit Malereien, auf denen der weiße Grund noch den Fleischton vertritt; in Faenza und Florenz in der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. die echte oder majolica fina (mit gelben Fleischpartien), für welche vielfach die Kompositionen der großen Maler des Cinquecento benutzt worden sind. Im 16. Jahrh. waren Hauptorte der italienischen Majolikafabrikation Caffagiolo bei Florenz (s. Tafel, Fig. 7), Gubbio, wo Maestro Giorgio (s. d.) Majoliken mit Rubinlüster (s. Tafel, Fig. 6) anfertigte, Urbino (s. Tafel, Fig. 8) und Castel Durante. Einzelne Fabrikorte lieferten die sogen. Sgraffiti, wobei das Ornament mittels eines Metallgriffels in die Angußfarbe graviert und hierauf farbig glasiert wurde. Man nimmt an, daß diese Methode in Città di Castello aufgekommen sei, und nennt das Genre auch à la Castellane. In Ferrara erfreute sich die Majolika besonderer Pflege unter Alfons I. im 16. Jahrh., gegen dessen Ende der Verfall der Majolika beginnt. Inzwischen hatten Veit Hirschvogel (s. d.) und dessen Söhne Augustin sowie Veit der jüngere in Nürnberg bereits im letzten Drittel desselben Jahrhunderts die deutsche Majolika geschaffen, welche vornehmlich für Krüge (s. Hirschvogelkrüge) und Ofenkacheln (s. Tafel, Fig. 1 u. 16) benutzt wurde, und in welcher sich die farbige Emailmalerei mit dem Relief verband. Dieser Zweig, aber auch die Fayence mit ebener bemalter Oberfläche, ferner das graue oder gelbliche Steingut mit Reliefverzierungen oder mit blauer Malerei fanden rasch über ganz Deutschland Verbreitung. Durch ein emailliertes Thongefäß, vermutlich deutschen Ursprungs, kam Bernard Palissy (s. d.) auf den Gedanken, etwas Ähnliches zu erfinden, und durch bewundernswürdige Ausdauer brachte er das nach ihm benannte Genre zu stande: Gefäße mit Pflanzen und Tieren, welche er nach der Natur abgeformt hatte, in Relief belegt und mit Emailfarben gemalt (s. Tafel, Fig. 9). Aus der Mitte des 16. Jahrh. stammen auch die Henri-deux (s. d.) genannten merkwürdigen Gefäße von gelblicher Färbung mit bräunlichen Ornamenten, aufgelegten Mascarons u. dgl., Dilettantenarbeiten aus Oiron (s. Tafel, Fig. 4). Die eigentliche französische Fayence, weißes Geschirr, mit Benutzung chinesischer, persischer und andrer Motive in Blau, Braun und Gelb bemalt, ist in Nevers zu Ende des 16. und in Rouen im 17. Jahrh. aufgekommen. In den Niederlanden wurde Delft im 16. Jahrh. der Hauptsitz einer Fayenceindustrie, deren Fabrikate, namentlich Krüge mit eiförmigem Körper, schlankem Hals und schön angesetztem Henkel (s. Tafel, Fig. 10), und Platten zum Belegen der Fußböden, Kamine, Tische etc., meist blau, doch auch braun bemalt, im 17. Jahrh. die größte Vollendung erreichten. Auf die Entwickelung dieser holländischen wie überhaupt der Fayenceindustrie der neuern Zeit gewann das Bekanntwerden des chinesischen Porzellans bestimmenden Einfluß. Überall bemühte man sich, das Porzellan zu erfinden, und aus den zahllosen Versuchen resultierte, da die Hauptsache, die Porzellanerde, mangelte, das Auftreten einer Menge verschiedener Arten der Fayence, deren Formen und Dekorationsstil wenigstens häufig Verwandtschaft mit den ostasiatischen Erzeugnissen hatten, während bei andern Fabrikaten, besonders im 18. Jahrh., die naturalistische Blumenmalerei oder die Landschaft im Geschmack der Zeit vorherrscht. Straßburg, Frankenthal, Höchst, Nürnberg, Baireuth, Holitsch in Mähren und zahlreiche andre deutsche Städte besaßen im vorigen Jahrhundert blühende Industrien, deren Erzeugnisse heute gesucht werden. Holländer und Deutsche verpflanzten ihre Technik und deren Stil nach England, wo in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Josiah Wedgwood zuerst in Burslem, seit 1770 in Etruria ein vorzügliches, in antikisierender Weise dekoriertes Steingut, namentlich die in schwachem Relief weiß auf Blau bemalte Queensware (s. Tafel, Fig. 11) herstellte. Die Fabriken von Rör-^[folgende Seite]