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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Knochenentzündung; Knochenerde; Knochenerweichung; Knochenfett; Knochenfische; Knochenfraß

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Knochenentzündung - Knochenfraß.

müssen, beschädigt werden könne, so sprechen doch unableugbare Beobachtungen und Erfahrungen für das wirkliche Vorkommen von Knochenverletzungen der Frucht während der Schwangerschaft. Auch sind Knochenverletzungen während der Geburt vorgekommen, ohne daß Instrumente gebraucht wurden.

Knochenentzündung, s. Knochenfraß.

Knochenerde, die mineralischen Bestandteile des Knochens, s. Knochen und Knochenasche.

Knochenerweichung (Osteomalacia), eine höchst merkwürdige, im ganzen nur selten vorkommende Krankheit des Skeletts, die bei Menschen sowohl als auch bei Tieren, namentlich Rindern, vorkommt, welche aber nicht mit der Rhachitis (englischen Krankheit) verwechselt werden darf. Die K. kommt fast nur beim weiblichen Geschlecht vor, wenigstens tritt sie beim männlichen Geschlecht in ungleich geringerer Ausdehnung auf. Sie erscheint vornehmlich bei erschöpften, durch Elend, schlechte Nahrung, ungesunde Wohnung etc. herabgekommenen Personen und wurde fast immer nur als sekundäres Leiden entweder während der Schwangerschaft, was das Gewöhnlichste ist, oder im Verlauf andrer Krankheiten, bei welchen an das der Blutbildung dienende Knochenmark zu hohe Anforderungen gestellt werden, beobachtet. Die eigentliche Ursache der K. ist unbekannt; nur so viel weiß man, daß endemische, namentlich tellurische, Verhältnisse, Beschaffenheit des Bodens, Trinkwassers etc. von Einfluß sind. So ist die Krankheit in gewissen Teilen Mitteleuropas, Hollands, des Rheinlandes relativ häufig, während sie sonst nur sporadisch vorkommt. Bei der K. werden gewöhnlich eine größere Anzahl von Knochen oder auch das ganze Skelett zugleich befallen, doch werden einzelne Knochen immer mehr als andre davon betroffen. Am meisten sind die Knochen des Rumpfes affiziert, sehr beträchtlich gewöhnlich auch die Knochen der Extremitäten, während die des Kopfes im geringsten Grad heimgesucht werden. Die Knochen verlieren bei der K. ihre erdigen Bestandteile, es bleibt nur das organische, weiche und biegsame knorpelartige Substrat der Knochen zurück, welches sich hochgradig porotisch und in den Markräumen mit rötlichem Fett gefüllt zeigt. Die Krankheit beginnt damit, daß sich zuerst leichte reißende Schmerzen in verschiedenen Teilen des Körpers zeigen. Die Schmerzen nehmen bald zu, werden heftig, bohrend und nagend. Die Kranken selbst geben an, daß die Schmerzen von den Knochen ausgehen. Am heftigsten sind die Schmerzen in den Gliedern, im Becken und im Brustbein. Ist die Kranke (wie gesagt, werden fast nur Frauen von der Krankheit befallen) noch nicht bettlägerig, so wird der Gang schwierig, schwankend, unbeholfen und nach und nach unmöglich. Die Knochen verbiegen und knicken sich unter der Last des Körpers oder durch das Gewicht einzelner Glieder, durch die Zusammenziehung der Muskeln wie durch äußere Veranlassungen. In ganz charakteristischer Weise wird das Becken verunstaltet. Dasselbe wird gewissermaßen von rechts nach links zusammengedrückt, so daß die Schambeinverbindung schnabelartig nach vorn sich zuspitzt, während das Kreuzbein sich stärker wölbt und den Beckenausgang beträchtlich verengert. Die Extremitäten werden nach den verschiedensten Richtungen verbogen, und meist stellen sich bei hohem Grad von K. mehrfache Knochenbrüche ein. In keinem Fall von Osteomalacie wurde bis jetzt mit Sicherheit eine vollkommene Herstellung erzielt; doch lassen die Erscheinungen öfters zeitweilig nach, um sich später in ihrem ganzen Umfang wieder einzustellen.

Ein besonderes geburtshilfliches Interesse gewährt das osteomalacische Becken. Selbst wenn der Raum des kleinen Beckens fast auf Null reduziert ist, können gleichwohl natürliche Geburten in ganz leichter Weise erfolgen. Die austreibende Kraft der Gebärmutter, welche auf den Körper des zu gebärenden Kindes drückt, bringt die aneinander gerückten, abnorm weichen, fast elastischen Beckenknochen leicht in die ihnen normal zukommende Distanz, der Beckenkanal wird bei der Geburt gleichsam wie ein Gummischlauch ausgedehnt und nimmt nach der Geburt sofort wieder seine ursprüngliche fehlerhafte Gestaltung an. Vgl. Litzmann, Die Formen des weiblichen Beckens nebst einem Anhang über Osteomalacie (Berl. 1861); Virchow im "Archiv für pathologische Anatomie", Bd. 4; Billroth, Allgemeine chirurgische Pathologie u. Therapie (13. Aufl., Berl. 1887); Rindfleisch, Lehrbuch der pathologischen Gewebelehre (6. Aufl., Leipz. 1886).

Knochenfett (Knochenöl), das in den Knochen enthaltene flüssige Fett, wird durch Auskochen mit Wasser oder durch Dämpfen unter erhöhtem Druck, vorteilhafter aber durch kontinuierliche Extraktion mit einem zwischen 60 und 70° siedenden Petroleumbenzin in geschlossenen Apparaten dargestellt. Man gewinnt nach ersterer Methode, welche die Nachbarschaft durch stinkende Abfallwasser belästigt, 2-5 Proz., durch Extrahieren 7,5 Proz. Dabei vermeidet letztere Methode einen Verlust an Knochensubstanz (Leim) von 3 Proz., der durch das Auskochen entsteht, gibt beim Zerkleinern der Knochen 10 Proz. mehr Körnungen und entsprechend weniger Mehl und liefert eine kohlenstoffreichere Knochenkohle. K. aus frischen Knochen ist ein gutes Schmiermaterial, das aus alten Knochen erhaltene dient zur Seifenfabrikation.

Knochenfische, s. Fische, S. 297 f.

Knochenfraß (Caries), eine Eiterung im harten Knochengewebe, also eiterige Knochenentzündung (Ostitis). Sie nimmt ihren Ausgang von den Weichgebilden des Knochens, von der Beinhaut oder dem Markgewebe oder den Gefäßen, da die kompakte harte Knochensubstanz natürlich niemals Eiter liefern, sondern nur als leidender Teil in den Prozeß einbezogen werden kann. Diese zerfällt daher auf dem Weg der langsamen Einschmelzung; ein Stück nach dem andern bricht zusammen (colliquatio), so daß ein derart zerstörter Skelettteil nach dem Macerieren und Trocknen wie zerfressen aussieht, woher der Name K. abgeleitet ist. Jedweder Knochen kann durch eiterige Entzündungen, Geschwürsbildungen in seiner Umgebung, z. B. durch Gelenkentzündungen, dem K. verfallen; allein vorzugsweise leiden daran die mehr weichen, schwammigen Wirbelknochen, die Mittelohrknochen, die kleinern Knochen der Hand- und Fußwurzel. Sehr oft ist das Übel eine Teilerscheinung allgemeiner skrofulöser oder tuberkulöser Dyskrasie, daher auch vielfach mit wirklicher Tuberkelbildung verbunden, wie das Pottsche Übel (s. d.) und die als Tumor albus bekannte fungöse Gelenkentzündung am Knie. Zuweilen gehen durch den K. größere oder kleinere Knochenstücke aus Mangel an Blutzufuhr in Knochenbrand über, so daß bei allen alten Prozessen derart beide Vorgänge gepaart verlaufen und deshalb der Name Cario-Necrosis durchaus am Platze ist. Nur eine Form der fressenden Ostitis geht ohne Eiterbildung vor sich, die schleichende, von Virchow Caries sicca (trockner K.) genannte Beinhautentzündung bei syphilitischen Personen. Sie ist eigentlich eine Schmelzung der Knochenrinde durch Entwickelung flacher, vernarbender